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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

seiner Bedeutung -- wir denken an die Zeit der Schützenfeste und des National¬
vereins -- einigermaßen begreiflich machen könnte.

Es war in der Zeit nach der Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich
Wilhelm, dem Herzog Ernst brieflich zur Annahme derselben geraten und er¬
klärt hatte, er werde ihn mit Freuden an der Spitze Deutschlands sehen (S. 327).
Die Aufstände der republikanischen und anarchistischen Elemente in Sachsen,
Baden und der Pfalz hatten stattgefunden, mit Beseitigung Gagerns und Ein¬
setzung des jämmerlichen Ministeriums Grävell-Jochmus waren in Frankfurt
auch die letzte" Rücksichten des Reichsverwesers auf Preußen gefallen. Preußen
hatte seine Abgeordneten aus der Paulskirche heimberufen. Die Nation sah die
Hoffnungen untergehen, die mit dem "Völkerfrühling" von 1848 ihre Erfüllung
zu finden schienen. In dieser Not kamen dem Herzoge Ernst, wie er S. 336
sagt, zahlreiche Aufforderungen zu, sich an die Spitze einer großen nationalen
Erhebung zu stellen. Eine Probe davon, welche nach Ansicht unsers Buches
"für die politische Lage der Zeit vielleicht bezeichnender war als alle in öffent¬
lichen Blättern gelieferte Artikel." wird in Gestalt eines Briefes vom 11. Mai 1349
mitgeteilt, in welchem ein dem Herzoge bekannter, leider nicht von ihm genannter
Mann, ein Koburger oder Gothaer jedenfalls, u. a. sich mit folgenden Worten
an seinen "wahrhaft geliebten und verehrten Fürsten" wendet: "In dieser schrecken -
erregenden Lage sieht Deutschland sich nach einem Retter um, und dieser Retter
ist kein andrer als Sie, Hoheit. . . . Alle Besonnenen -- ihre Zahl ist groß --
die ebenso vor dem Verrat der deutschen Sache wie vor der entsetzenerregenden
roten Republik zurückschrecken, sprechen laut aus, daß nur Rettung zu finden
sei, wenn ein deutscher Fürst sich für Ein- und Durchführung der Reichsver-
fassung an die Spitze der Bewegung stellt, daß kein andrer Fürst den deutschen
Sinn, die Hingebung an die deutsche Sache, den Heldenmut, die Hochherzigkeit
hierzu besitze als Sie, Hoheit, der Sieger bei Eckernförde; daß kein andrer Fürst
als Sie, der Zweig eines hochberühmten Fürstenstammes, welcher die Geschicke
der Nationen Europas zu lenken augenfällig berufen ist, dieses Heldenwerk zu
vollbringen vermag, daß, wenn Ew. Hoheit mit einer Schar deutscher Krieger,
mit einem Aufruf an das deutsche Volk, für die Reichsverfassung, für die deutsche
Sache sich um Sie zu scharen, auftreten würden, die Waffenfähigen aller
deutschen Stämme zu Ihnen stoßen, daß Sie in kürzester Zeit Herr einer Macht
sein würden, die der deutschen Sache sofort den Sieg verleihen, die den ver¬
derbenbringenden Bruderkrieg mit einemmale, ja vielleicht ohne Schwertstreich
ein Ende machen, daß Ihnen die Liebe, die Verehrung, der Dank einer großen
Nation werden und die Geschichte Sie den ersten und edelsten Helden beizählen
würde."

Der Herzog scherzt über diese "Zumutung," überschreibt sie "Seltsame
Phantasien," vergleicht sie mit dem Ansinnen der aufständischen fränkischen
Bauern an Götz von Berlichingen und spielt auf das Leberleiden des Brief-


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

seiner Bedeutung — wir denken an die Zeit der Schützenfeste und des National¬
vereins — einigermaßen begreiflich machen könnte.

Es war in der Zeit nach der Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich
Wilhelm, dem Herzog Ernst brieflich zur Annahme derselben geraten und er¬
klärt hatte, er werde ihn mit Freuden an der Spitze Deutschlands sehen (S. 327).
Die Aufstände der republikanischen und anarchistischen Elemente in Sachsen,
Baden und der Pfalz hatten stattgefunden, mit Beseitigung Gagerns und Ein¬
setzung des jämmerlichen Ministeriums Grävell-Jochmus waren in Frankfurt
auch die letzte» Rücksichten des Reichsverwesers auf Preußen gefallen. Preußen
hatte seine Abgeordneten aus der Paulskirche heimberufen. Die Nation sah die
Hoffnungen untergehen, die mit dem „Völkerfrühling" von 1848 ihre Erfüllung
zu finden schienen. In dieser Not kamen dem Herzoge Ernst, wie er S. 336
sagt, zahlreiche Aufforderungen zu, sich an die Spitze einer großen nationalen
Erhebung zu stellen. Eine Probe davon, welche nach Ansicht unsers Buches
„für die politische Lage der Zeit vielleicht bezeichnender war als alle in öffent¬
lichen Blättern gelieferte Artikel." wird in Gestalt eines Briefes vom 11. Mai 1349
mitgeteilt, in welchem ein dem Herzoge bekannter, leider nicht von ihm genannter
Mann, ein Koburger oder Gothaer jedenfalls, u. a. sich mit folgenden Worten
an seinen „wahrhaft geliebten und verehrten Fürsten" wendet: „In dieser schrecken -
erregenden Lage sieht Deutschland sich nach einem Retter um, und dieser Retter
ist kein andrer als Sie, Hoheit. . . . Alle Besonnenen — ihre Zahl ist groß —
die ebenso vor dem Verrat der deutschen Sache wie vor der entsetzenerregenden
roten Republik zurückschrecken, sprechen laut aus, daß nur Rettung zu finden
sei, wenn ein deutscher Fürst sich für Ein- und Durchführung der Reichsver-
fassung an die Spitze der Bewegung stellt, daß kein andrer Fürst den deutschen
Sinn, die Hingebung an die deutsche Sache, den Heldenmut, die Hochherzigkeit
hierzu besitze als Sie, Hoheit, der Sieger bei Eckernförde; daß kein andrer Fürst
als Sie, der Zweig eines hochberühmten Fürstenstammes, welcher die Geschicke
der Nationen Europas zu lenken augenfällig berufen ist, dieses Heldenwerk zu
vollbringen vermag, daß, wenn Ew. Hoheit mit einer Schar deutscher Krieger,
mit einem Aufruf an das deutsche Volk, für die Reichsverfassung, für die deutsche
Sache sich um Sie zu scharen, auftreten würden, die Waffenfähigen aller
deutschen Stämme zu Ihnen stoßen, daß Sie in kürzester Zeit Herr einer Macht
sein würden, die der deutschen Sache sofort den Sieg verleihen, die den ver¬
derbenbringenden Bruderkrieg mit einemmale, ja vielleicht ohne Schwertstreich
ein Ende machen, daß Ihnen die Liebe, die Verehrung, der Dank einer großen
Nation werden und die Geschichte Sie den ersten und edelsten Helden beizählen
würde."

Der Herzog scherzt über diese „Zumutung," überschreibt sie „Seltsame
Phantasien," vergleicht sie mit dem Ansinnen der aufständischen fränkischen
Bauern an Götz von Berlichingen und spielt auf das Leberleiden des Brief-


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[0370] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst. seiner Bedeutung — wir denken an die Zeit der Schützenfeste und des National¬ vereins — einigermaßen begreiflich machen könnte. Es war in der Zeit nach der Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm, dem Herzog Ernst brieflich zur Annahme derselben geraten und er¬ klärt hatte, er werde ihn mit Freuden an der Spitze Deutschlands sehen (S. 327). Die Aufstände der republikanischen und anarchistischen Elemente in Sachsen, Baden und der Pfalz hatten stattgefunden, mit Beseitigung Gagerns und Ein¬ setzung des jämmerlichen Ministeriums Grävell-Jochmus waren in Frankfurt auch die letzte» Rücksichten des Reichsverwesers auf Preußen gefallen. Preußen hatte seine Abgeordneten aus der Paulskirche heimberufen. Die Nation sah die Hoffnungen untergehen, die mit dem „Völkerfrühling" von 1848 ihre Erfüllung zu finden schienen. In dieser Not kamen dem Herzoge Ernst, wie er S. 336 sagt, zahlreiche Aufforderungen zu, sich an die Spitze einer großen nationalen Erhebung zu stellen. Eine Probe davon, welche nach Ansicht unsers Buches „für die politische Lage der Zeit vielleicht bezeichnender war als alle in öffent¬ lichen Blättern gelieferte Artikel." wird in Gestalt eines Briefes vom 11. Mai 1349 mitgeteilt, in welchem ein dem Herzoge bekannter, leider nicht von ihm genannter Mann, ein Koburger oder Gothaer jedenfalls, u. a. sich mit folgenden Worten an seinen „wahrhaft geliebten und verehrten Fürsten" wendet: „In dieser schrecken - erregenden Lage sieht Deutschland sich nach einem Retter um, und dieser Retter ist kein andrer als Sie, Hoheit. . . . Alle Besonnenen — ihre Zahl ist groß — die ebenso vor dem Verrat der deutschen Sache wie vor der entsetzenerregenden roten Republik zurückschrecken, sprechen laut aus, daß nur Rettung zu finden sei, wenn ein deutscher Fürst sich für Ein- und Durchführung der Reichsver- fassung an die Spitze der Bewegung stellt, daß kein andrer Fürst den deutschen Sinn, die Hingebung an die deutsche Sache, den Heldenmut, die Hochherzigkeit hierzu besitze als Sie, Hoheit, der Sieger bei Eckernförde; daß kein andrer Fürst als Sie, der Zweig eines hochberühmten Fürstenstammes, welcher die Geschicke der Nationen Europas zu lenken augenfällig berufen ist, dieses Heldenwerk zu vollbringen vermag, daß, wenn Ew. Hoheit mit einer Schar deutscher Krieger, mit einem Aufruf an das deutsche Volk, für die Reichsverfassung, für die deutsche Sache sich um Sie zu scharen, auftreten würden, die Waffenfähigen aller deutschen Stämme zu Ihnen stoßen, daß Sie in kürzester Zeit Herr einer Macht sein würden, die der deutschen Sache sofort den Sieg verleihen, die den ver¬ derbenbringenden Bruderkrieg mit einemmale, ja vielleicht ohne Schwertstreich ein Ende machen, daß Ihnen die Liebe, die Verehrung, der Dank einer großen Nation werden und die Geschichte Sie den ersten und edelsten Helden beizählen würde." Der Herzog scherzt über diese „Zumutung," überschreibt sie „Seltsame Phantasien," vergleicht sie mit dem Ansinnen der aufständischen fränkischen Bauern an Götz von Berlichingen und spielt auf das Leberleiden des Brief-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/370>, abgerufen am 15.05.2024.