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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

das Läuten naher Glocken etwas Gewohntes war. Und er wußte, ohne es sich
bewußt zu sein, daß nach dem Läuten schöner, feierlicher Gesang an sein Ohr
schlagen und dann einzelne Worte einer ernsten, lauten Stimme bis in das
Zimmerchen hinein tönen würden. Dann kam wieder Gesang und zuletzt ein
Summen, wie von vielen Menschen. Darauf war alles still, und der Blumen-
duft flutete in das sonnenhelle Stübchen, gedämpfter Schall zugemachter Thüren
erklang und dann plötzlich -- silberhelles Kinderlachen.

Wie lange war es doch, seit er das gehört hatte! Plötzlich knüpfte sich das
Band seiner zerstreuten Gedanken an einander. So hatten seine Kinder gelacht.
Seine Kinder! Wo waren sie? Im Fluge hatte sein Geist sich gesammelt und
den langen Zwischenraum durchflogen, bis zu dem Augenblicke, wo er das Häuschen
an der hohen Mauer betreten hatte.

Rahel! brach es mit einem Weherufe von seinen Lippen. Sie mußte tot
sein! Es war ja nicht möglich, daß das zarte Kind, nach allem, was es erlitten,
noch hier auf Erden weilte. Und er war ihr Mörder -- ja kein andrer Name
gebührte ihm. Und doch durchzuckte ihn zugleich ein schneidendes Weh, daß er
die andre ihm anvertraute Seele nicht auch von dem Joche der Finsternis er¬
löst, daß er sie dort gelassen, dort hatte lassen müssen. Alles, was er gethan,
erschien ihm als ein entsetzlicher Irrtum. Tief unglücklich, namenlos verlassen,
geistig elend verbarg er sein Antlitz. Die dunkeln Schatten seiner Vergangen¬
heit legten sich über ihn, die Zukunft schien ihm ein Grab ohne Hoffnung, ohne
Licht. Er hörte wieder die'Fluchesworte seiner Mutter, sah im Geiste, wie
seine kleine Rebekka heranwuchs, im günstigsten Falle nichts von ihm erfuhr,
vielleicht aber auch seiner mit Abscheu und Verachtung gedachte, dem ewigen,
allein Heil und Seligkeit bringenden Lichte auf immer entrückt. Ja, fort zu
gehen war ein entsetzlicher Irrtum gewesen, ja mehr als das, ein Unrecht,
welches er nie wieder gut machen konnte, es hatte ihm beide Lieblinge gekostet.
Er hätte dort bleiben und kämpfen muss"", nicht feig das Feld verlcisfen, auf
welches er gestellt war. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust.

Mein Gott, mein Gott! Was kann ich elender, armer Mensch thun, um
wieder gut zu machen, was ich versäumt habe?

Da fühlte er sich umschlungen von weichen Ärmchen, ein rosiges, rundes
Kinderantlitz legte sich schmeichelnd an seine Wangen, kleine, weiche Hände
streichelten ihn und Stammelnde Lippen riefen ihn bei dem süßen Vaternamen.
Verwirre, seinen Augen kaum glaubend, rief er staunend: Ist das Rahel? Kann
das Rahel sein?

Gott hat sie Ihnen wieder geschenkt, erhalten Sie sich nun ihr, sagte der
alte, ehrwürdige Pfarrer neben ihm. In Davids Träumen war er schon
oft erschienen, David erkannte ihn und neben ihm Jeschka, welche Rahel ge¬
halten hatte.

Wie kann ich dir danken? flüsterte er ihr zu.


David Beronski.

das Läuten naher Glocken etwas Gewohntes war. Und er wußte, ohne es sich
bewußt zu sein, daß nach dem Läuten schöner, feierlicher Gesang an sein Ohr
schlagen und dann einzelne Worte einer ernsten, lauten Stimme bis in das
Zimmerchen hinein tönen würden. Dann kam wieder Gesang und zuletzt ein
Summen, wie von vielen Menschen. Darauf war alles still, und der Blumen-
duft flutete in das sonnenhelle Stübchen, gedämpfter Schall zugemachter Thüren
erklang und dann plötzlich — silberhelles Kinderlachen.

Wie lange war es doch, seit er das gehört hatte! Plötzlich knüpfte sich das
Band seiner zerstreuten Gedanken an einander. So hatten seine Kinder gelacht.
Seine Kinder! Wo waren sie? Im Fluge hatte sein Geist sich gesammelt und
den langen Zwischenraum durchflogen, bis zu dem Augenblicke, wo er das Häuschen
an der hohen Mauer betreten hatte.

Rahel! brach es mit einem Weherufe von seinen Lippen. Sie mußte tot
sein! Es war ja nicht möglich, daß das zarte Kind, nach allem, was es erlitten,
noch hier auf Erden weilte. Und er war ihr Mörder — ja kein andrer Name
gebührte ihm. Und doch durchzuckte ihn zugleich ein schneidendes Weh, daß er
die andre ihm anvertraute Seele nicht auch von dem Joche der Finsternis er¬
löst, daß er sie dort gelassen, dort hatte lassen müssen. Alles, was er gethan,
erschien ihm als ein entsetzlicher Irrtum. Tief unglücklich, namenlos verlassen,
geistig elend verbarg er sein Antlitz. Die dunkeln Schatten seiner Vergangen¬
heit legten sich über ihn, die Zukunft schien ihm ein Grab ohne Hoffnung, ohne
Licht. Er hörte wieder die'Fluchesworte seiner Mutter, sah im Geiste, wie
seine kleine Rebekka heranwuchs, im günstigsten Falle nichts von ihm erfuhr,
vielleicht aber auch seiner mit Abscheu und Verachtung gedachte, dem ewigen,
allein Heil und Seligkeit bringenden Lichte auf immer entrückt. Ja, fort zu
gehen war ein entsetzlicher Irrtum gewesen, ja mehr als das, ein Unrecht,
welches er nie wieder gut machen konnte, es hatte ihm beide Lieblinge gekostet.
Er hätte dort bleiben und kämpfen muss"", nicht feig das Feld verlcisfen, auf
welches er gestellt war. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust.

Mein Gott, mein Gott! Was kann ich elender, armer Mensch thun, um
wieder gut zu machen, was ich versäumt habe?

Da fühlte er sich umschlungen von weichen Ärmchen, ein rosiges, rundes
Kinderantlitz legte sich schmeichelnd an seine Wangen, kleine, weiche Hände
streichelten ihn und Stammelnde Lippen riefen ihn bei dem süßen Vaternamen.
Verwirre, seinen Augen kaum glaubend, rief er staunend: Ist das Rahel? Kann
das Rahel sein?

Gott hat sie Ihnen wieder geschenkt, erhalten Sie sich nun ihr, sagte der
alte, ehrwürdige Pfarrer neben ihm. In Davids Träumen war er schon
oft erschienen, David erkannte ihn und neben ihm Jeschka, welche Rahel ge¬
halten hatte.

Wie kann ich dir danken? flüsterte er ihr zu.


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[0376] David Beronski. das Läuten naher Glocken etwas Gewohntes war. Und er wußte, ohne es sich bewußt zu sein, daß nach dem Läuten schöner, feierlicher Gesang an sein Ohr schlagen und dann einzelne Worte einer ernsten, lauten Stimme bis in das Zimmerchen hinein tönen würden. Dann kam wieder Gesang und zuletzt ein Summen, wie von vielen Menschen. Darauf war alles still, und der Blumen- duft flutete in das sonnenhelle Stübchen, gedämpfter Schall zugemachter Thüren erklang und dann plötzlich — silberhelles Kinderlachen. Wie lange war es doch, seit er das gehört hatte! Plötzlich knüpfte sich das Band seiner zerstreuten Gedanken an einander. So hatten seine Kinder gelacht. Seine Kinder! Wo waren sie? Im Fluge hatte sein Geist sich gesammelt und den langen Zwischenraum durchflogen, bis zu dem Augenblicke, wo er das Häuschen an der hohen Mauer betreten hatte. Rahel! brach es mit einem Weherufe von seinen Lippen. Sie mußte tot sein! Es war ja nicht möglich, daß das zarte Kind, nach allem, was es erlitten, noch hier auf Erden weilte. Und er war ihr Mörder — ja kein andrer Name gebührte ihm. Und doch durchzuckte ihn zugleich ein schneidendes Weh, daß er die andre ihm anvertraute Seele nicht auch von dem Joche der Finsternis er¬ löst, daß er sie dort gelassen, dort hatte lassen müssen. Alles, was er gethan, erschien ihm als ein entsetzlicher Irrtum. Tief unglücklich, namenlos verlassen, geistig elend verbarg er sein Antlitz. Die dunkeln Schatten seiner Vergangen¬ heit legten sich über ihn, die Zukunft schien ihm ein Grab ohne Hoffnung, ohne Licht. Er hörte wieder die'Fluchesworte seiner Mutter, sah im Geiste, wie seine kleine Rebekka heranwuchs, im günstigsten Falle nichts von ihm erfuhr, vielleicht aber auch seiner mit Abscheu und Verachtung gedachte, dem ewigen, allein Heil und Seligkeit bringenden Lichte auf immer entrückt. Ja, fort zu gehen war ein entsetzlicher Irrtum gewesen, ja mehr als das, ein Unrecht, welches er nie wieder gut machen konnte, es hatte ihm beide Lieblinge gekostet. Er hätte dort bleiben und kämpfen muss"", nicht feig das Feld verlcisfen, auf welches er gestellt war. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. Mein Gott, mein Gott! Was kann ich elender, armer Mensch thun, um wieder gut zu machen, was ich versäumt habe? Da fühlte er sich umschlungen von weichen Ärmchen, ein rosiges, rundes Kinderantlitz legte sich schmeichelnd an seine Wangen, kleine, weiche Hände streichelten ihn und Stammelnde Lippen riefen ihn bei dem süßen Vaternamen. Verwirre, seinen Augen kaum glaubend, rief er staunend: Ist das Rahel? Kann das Rahel sein? Gott hat sie Ihnen wieder geschenkt, erhalten Sie sich nun ihr, sagte der alte, ehrwürdige Pfarrer neben ihm. In Davids Träumen war er schon oft erschienen, David erkannte ihn und neben ihm Jeschka, welche Rahel ge¬ halten hatte. Wie kann ich dir danken? flüsterte er ihr zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/376>, abgerufen am 16.05.2024.