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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Lin böser Geist im heutigen England.

Heuchelei aufgefaßt, bezeichnet zu haben. Macaulay schreibt in seiner Kistor^
AllAlanä (II, S. 61 der Tauchnitzschen Ausgabe), wo er von dem Prozesse
gegen Richard Baxter, den berühmten Führer der Puritaner, den Verfasser
von Laints 6vör1g.se.inA rest, einem in England und Amerika weitverbreiteten
Andachtsbuche, erzählt, welcher von ihm als "gottseliger, maßvoller Geistlicher"
gerühmt wird*): "Jeffreys ^der bekannte blutige Richter Jakobs 11.^ sagte bei
dieser Gelegenheit: "Dieser da ist ein alter Hallunke, ein schismatischer Schurke,
ein heuchlerischer Taugenichts. Er haßt pis NonkonformW die Liturgie. Er
möchte am liebsten nichts haben als langatmigen Carl ohne Buch." Und dann
verdrehte Seine Lordschaft die Augen nach oben, klatschte in die Hände und
begann durch die Nase zu singen, indem er damit die Weise nachahmte, in der
Baxter nach seiner Meinung predigte: "Herr, wir sind dein Volk, dein aus¬
erwähltes Volk, dein geliebtes Volk!""

Ganz andrer Meinung über die Puritaner als deren Henker ist Carlyle,
und auf ganz andrer Seite als jener erblickt er die Untugend des Carl, wenn
er in seinem Werke: 0. Oroinvolls I>6t>t"zrs unä Lpsseliös wiederholt auf die
Sache zu sprechen kommt. Im ersten Bande der dritten Auflage der Tauch¬
nitzschen Ausgabe sagt er S. 4 in seinem wunderlichen, krausen und halbdunkeln
Stile, nachdem er sich mißbilligend über die flache, trockne, pedantische Methode
geäußert hat, in welcher sein "bändereicher Freund Dryasdust," von den wesent¬
lichen Beweggründen, die in den Eigenschaften und Bedürfnissen des Menschen¬
herzens liegen, absehend und nur Ereignisse aneinander reihend, die Geschichte
der Puritaner schreibt und "neben die lebensvolle Jliade eine unbeschreiblich
tote Cromwelliade hinstellt": "Gewiß mangelt es dieser Schreibweise nicht an
Emphase, aber alle geistreichen Erforscher der Vergangenheit werden sagen, es
ist zuviel Wahrheit darin. Ja es kommt zu der traurigen Beschaffenheit unsrer
geschichtlichen Werke und zu dem, was im letzten Grunde die Ursache und der Ur¬
sprung dieser Beschaffenheit ist, "och hinzu, daß unsre spirituellen Begriffe, wenn
überhaupt einer unsrer Begriffe spirituell genannt zu werden verdient, verhängnis¬
voll für ein richtiges Verständnis jenes siebzehnten Jahrhunderts sind. Die christ¬
lichen Lehren, die damals lebendig in jedem Herzen wohnten, sind jetzt gewisser¬
maßen in allen Herzen abgestorben -- ein sehr trauriger Anblick -- und in
keiner Weise mehr die Leitsterne in dieser Welt. Ja schlimmer noch, selbst der
Carl von ihnen wohnt nicht mehr lebendig in uns -- ein wenig Zweifel, daß
es Carl ist --, in welchem verhängnisvollen Zwischenzustande die ewige Heilig¬
keit des Alls selbst, des Menschenlebens selbst den meisten von uns dunkel ge¬
worden ist und wir auch das für Carl und Bekenntnis halten. So lassen
uns die alten Namen an neue Dinge denken, nicht an erhabene und fromme,



*) Der Prozeß fand 1686 statt, und Baxter war wegen seines Kommentars zum Neuen
Testamente angeklagt.
Lin böser Geist im heutigen England.

Heuchelei aufgefaßt, bezeichnet zu haben. Macaulay schreibt in seiner Kistor^
AllAlanä (II, S. 61 der Tauchnitzschen Ausgabe), wo er von dem Prozesse
gegen Richard Baxter, den berühmten Führer der Puritaner, den Verfasser
von Laints 6vör1g.se.inA rest, einem in England und Amerika weitverbreiteten
Andachtsbuche, erzählt, welcher von ihm als „gottseliger, maßvoller Geistlicher"
gerühmt wird*): „Jeffreys ^der bekannte blutige Richter Jakobs 11.^ sagte bei
dieser Gelegenheit: »Dieser da ist ein alter Hallunke, ein schismatischer Schurke,
ein heuchlerischer Taugenichts. Er haßt pis NonkonformW die Liturgie. Er
möchte am liebsten nichts haben als langatmigen Carl ohne Buch.« Und dann
verdrehte Seine Lordschaft die Augen nach oben, klatschte in die Hände und
begann durch die Nase zu singen, indem er damit die Weise nachahmte, in der
Baxter nach seiner Meinung predigte: »Herr, wir sind dein Volk, dein aus¬
erwähltes Volk, dein geliebtes Volk!«"

Ganz andrer Meinung über die Puritaner als deren Henker ist Carlyle,
und auf ganz andrer Seite als jener erblickt er die Untugend des Carl, wenn
er in seinem Werke: 0. Oroinvolls I>6t>t«zrs unä Lpsseliös wiederholt auf die
Sache zu sprechen kommt. Im ersten Bande der dritten Auflage der Tauch¬
nitzschen Ausgabe sagt er S. 4 in seinem wunderlichen, krausen und halbdunkeln
Stile, nachdem er sich mißbilligend über die flache, trockne, pedantische Methode
geäußert hat, in welcher sein „bändereicher Freund Dryasdust," von den wesent¬
lichen Beweggründen, die in den Eigenschaften und Bedürfnissen des Menschen¬
herzens liegen, absehend und nur Ereignisse aneinander reihend, die Geschichte
der Puritaner schreibt und „neben die lebensvolle Jliade eine unbeschreiblich
tote Cromwelliade hinstellt": „Gewiß mangelt es dieser Schreibweise nicht an
Emphase, aber alle geistreichen Erforscher der Vergangenheit werden sagen, es
ist zuviel Wahrheit darin. Ja es kommt zu der traurigen Beschaffenheit unsrer
geschichtlichen Werke und zu dem, was im letzten Grunde die Ursache und der Ur¬
sprung dieser Beschaffenheit ist, »och hinzu, daß unsre spirituellen Begriffe, wenn
überhaupt einer unsrer Begriffe spirituell genannt zu werden verdient, verhängnis¬
voll für ein richtiges Verständnis jenes siebzehnten Jahrhunderts sind. Die christ¬
lichen Lehren, die damals lebendig in jedem Herzen wohnten, sind jetzt gewisser¬
maßen in allen Herzen abgestorben — ein sehr trauriger Anblick — und in
keiner Weise mehr die Leitsterne in dieser Welt. Ja schlimmer noch, selbst der
Carl von ihnen wohnt nicht mehr lebendig in uns — ein wenig Zweifel, daß
es Carl ist —, in welchem verhängnisvollen Zwischenzustande die ewige Heilig¬
keit des Alls selbst, des Menschenlebens selbst den meisten von uns dunkel ge¬
worden ist und wir auch das für Carl und Bekenntnis halten. So lassen
uns die alten Namen an neue Dinge denken, nicht an erhabene und fromme,



*) Der Prozeß fand 1686 statt, und Baxter war wegen seines Kommentars zum Neuen
Testamente angeklagt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/386>, abgerufen am 22.05.2024.