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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

der Werke, Tagebücher und Briefe, von denen die beiden letztern in der Weise, wie
sie hier ohne alle Erläuterung geboten werden, nur den Kenner anziehen können.

In die Sache führt uns Suphaus "Vorbericht." Zunächst begründet er
die Trennung in vier Abteilungen. Aber Tagebücher und Briefe fallen gar
nicht in den Kreis der eigentlichen "Werke," wenn sie nicht vorher zur Veröffent¬
lichung bearbeitet worden sind, und Goethe würde es nicht billigen, daß man
bei einer "Monumentalausgabe" das, worauf er oft mehr Wert legte als auf
seine Dichtungen, die naturwissenschaftlichen Schriften, von seinen Werken trennt.
Daß diese "nach Goethes eigner Auffassung als Supplement zu den Werken
behandelt werden sollten," ist nicht richtig. Nur weil die Bändezahl durch sie
übermäßig gestiegen wäre, ging er darauf ein, daß diese "in einigen Supplement¬
bänden nachgebracht werden sollten"; er richtete sich hierbei nach den Wünschen
des Verlegers. Eine Ausgabe, die an eine solche Rücksicht keineswegs gebunden ist,
durfte sich uicht zu einer derartigen Absonderung bestimmen lassen, vielmehr
hätte sie es als eine Ehrensache betrachten sollen, daß der Käufer seiner Werke
die naturwissenschaftlichen, ohne die Goethe nicht Goethe wäre, mitlaufen müsse.

Was weiter zur Begründung der Ansicht angeführt wird, daß Goethe
selbst in der Ausgabe letzter Hand die Norm für den Druck der Werke ange¬
geben habe, zeigt nur, wie sehr bei der Aufstellung der Grundsätze der neuen Aus¬
gabe ein Haupterfordernis mangelte: die genaue Kenntnis, wie sich unser Text
gebildet hat. Von den dazu gehörenden Vorstudien, der eingehenden Vergleichung
der von Goethe veranstalteten Gesamtausgaben in allen ihren Teilen, findet sich
keine Spur. Die Ausgabe letzter Hand ist weit entfernt, ganz gleichmäßig be¬
handelt zu sein; die Redaktoren folgten nicht immer denselben Grundsätzen, und
der ihnen vorliegende Text war nach den verschiednen Quellen, aus denen er
geflossen war, ganz ungleichartig; ist es doch schon von wesentlicher Bedeutung, ob
eine Dichtung bereits in der ersten oder der zweiten Ausgabe erschienen, oder
erst in der dritten oder nur einmal besonders oder noch gar uicht gedruckt
worden ist. Suphan bemerkt, Goethe habe bei der Aufgabe letzter Hand mit
größter Umsicht, mit einer Sorgfalt, wie bei keiner frühern, sich um die Rein¬
heit und Vollkommenheit derselben bemüht, wovon der Briefwechsel mit Göttling
und dem Faktor Reiche! zeuge, ja auch die Oktavausgabe habe er noch durch
Göttling durchsehen lassen und dessen Änderungen begutachtet. Die Oktavaus¬
gabe leidet aber, wenn sie auch an einzelnen Stellen das Nichtige hergestellt hat,
an neuen Druckfehlern. Von Göttlings Veränderungen, zu denen Goethe seine
Einwilligung gegeben hatte, hat der Dichter selbst manche als ungehörig erkannt; sehr
möglich ist es, daß er dies auch bei andern gethan hat, von denen wir es nicht
wissen, sodaß wir mit voller Sicherheit diese nur da aufnehmen können, wo sie
als zweckmäßig sich erweisen, selbst auf die Gefahr hin, Goethe habe sie auch später
"och für nötig gehalten. Reichel hat nur offenbare Druckfehler verbessert, die
in der als Handschrift zu Grunde gelegten frühern Ausgabe sich fanden, wie


Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

der Werke, Tagebücher und Briefe, von denen die beiden letztern in der Weise, wie
sie hier ohne alle Erläuterung geboten werden, nur den Kenner anziehen können.

In die Sache führt uns Suphaus „Vorbericht." Zunächst begründet er
die Trennung in vier Abteilungen. Aber Tagebücher und Briefe fallen gar
nicht in den Kreis der eigentlichen „Werke," wenn sie nicht vorher zur Veröffent¬
lichung bearbeitet worden sind, und Goethe würde es nicht billigen, daß man
bei einer „Monumentalausgabe" das, worauf er oft mehr Wert legte als auf
seine Dichtungen, die naturwissenschaftlichen Schriften, von seinen Werken trennt.
Daß diese „nach Goethes eigner Auffassung als Supplement zu den Werken
behandelt werden sollten," ist nicht richtig. Nur weil die Bändezahl durch sie
übermäßig gestiegen wäre, ging er darauf ein, daß diese „in einigen Supplement¬
bänden nachgebracht werden sollten"; er richtete sich hierbei nach den Wünschen
des Verlegers. Eine Ausgabe, die an eine solche Rücksicht keineswegs gebunden ist,
durfte sich uicht zu einer derartigen Absonderung bestimmen lassen, vielmehr
hätte sie es als eine Ehrensache betrachten sollen, daß der Käufer seiner Werke
die naturwissenschaftlichen, ohne die Goethe nicht Goethe wäre, mitlaufen müsse.

Was weiter zur Begründung der Ansicht angeführt wird, daß Goethe
selbst in der Ausgabe letzter Hand die Norm für den Druck der Werke ange¬
geben habe, zeigt nur, wie sehr bei der Aufstellung der Grundsätze der neuen Aus¬
gabe ein Haupterfordernis mangelte: die genaue Kenntnis, wie sich unser Text
gebildet hat. Von den dazu gehörenden Vorstudien, der eingehenden Vergleichung
der von Goethe veranstalteten Gesamtausgaben in allen ihren Teilen, findet sich
keine Spur. Die Ausgabe letzter Hand ist weit entfernt, ganz gleichmäßig be¬
handelt zu sein; die Redaktoren folgten nicht immer denselben Grundsätzen, und
der ihnen vorliegende Text war nach den verschiednen Quellen, aus denen er
geflossen war, ganz ungleichartig; ist es doch schon von wesentlicher Bedeutung, ob
eine Dichtung bereits in der ersten oder der zweiten Ausgabe erschienen, oder
erst in der dritten oder nur einmal besonders oder noch gar uicht gedruckt
worden ist. Suphan bemerkt, Goethe habe bei der Aufgabe letzter Hand mit
größter Umsicht, mit einer Sorgfalt, wie bei keiner frühern, sich um die Rein¬
heit und Vollkommenheit derselben bemüht, wovon der Briefwechsel mit Göttling
und dem Faktor Reiche! zeuge, ja auch die Oktavausgabe habe er noch durch
Göttling durchsehen lassen und dessen Änderungen begutachtet. Die Oktavaus¬
gabe leidet aber, wenn sie auch an einzelnen Stellen das Nichtige hergestellt hat,
an neuen Druckfehlern. Von Göttlings Veränderungen, zu denen Goethe seine
Einwilligung gegeben hatte, hat der Dichter selbst manche als ungehörig erkannt; sehr
möglich ist es, daß er dies auch bei andern gethan hat, von denen wir es nicht
wissen, sodaß wir mit voller Sicherheit diese nur da aufnehmen können, wo sie
als zweckmäßig sich erweisen, selbst auf die Gefahr hin, Goethe habe sie auch später
»och für nötig gehalten. Reichel hat nur offenbare Druckfehler verbessert, die
in der als Handschrift zu Grunde gelegten frühern Ausgabe sich fanden, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/40>, abgerufen am 16.05.2024.