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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

Herzog in einem Briefe an seinen Londoner Bruder, dcitirt Gottorf den 6. April
und in unserm Werke S. 399 abgedruckt, mit eigner Hand berichtet: "Ich selbst
hielt über zwei Stunden im Kartätschenfeuer aus." Abgesehen davon, daß der
General nicht oder doch nur im äußersten Notfalle ins Kartätschenfeuer gehört,
wo er selbstverständlich nicht das kalte Blut und den Überblick, die zur Leitung
des Ganzen erforderlich sind, bewahren kann, und daß hier durchaus kein solcher
Notfall vorlag -- was in aller Welt müßte das für ein Kartätschenfeuer ge¬
wesen sein, wie schlecht müßten die dänischen Kanoniere geschossen haben, wenn
sie über zwei Stunden gefeuert hätten, ohne den herzoglichen Reiter, der über
alle in seiner Umgebung als vornehmstes Ziel hervorragte, auch mir an einem
Finger zu verletzen! Das lange Halten im Kartätschenfeuer ist also wohl --
nur eine Redensart, bei der man sich auch eine sehr respektable Entfernung von
den Stellen denken kann, wo Kugeln einschlagen können. Von dem Heldentum,
welches in persönlichem Mute besteht, bliebe dann allerdings nicht viel übrig,
aber wir hätten dann den General übrig, welcher sich der Pflicht, sich nicht
auszusetzen, als einer solchen bewußt ist, die für ihn über der Tapferkeit steht.
Wir würden uns freuen, wenn ein andrer Bericht über das Verhalten des
Herzogs bei diesen Vorgängen, der uns von einem Augenzeugen zukam, ganz
richtig wäre, wiewohl er uns aus gewisse" psychologischen Gründen, die wir
verschweigen müssen, nur höchst wahrscheinlich vorkommt. Darnach hielt der
Herzog während des Schießens der dänischen Schiffe ziemlich weit von der Stadt,
am Eingange des Gottesackers, ganz außerhalb des Bereiches der Kartätschen,
und als eine Hohlkugel in ein Ackerstück vier- bis fünfhundert Schritte vor ihm
einschlug und Erde aufwarf, verließ er mit seinem Gefolge unverzüglich den ihm
gefährlich scheinenden Ort und jagte im Galopp nach dem Nvor hinter der
Stadt hinab und auf dessen Hintergrund zu, wohin damalige Kugeln nicht
reichten. Wir müssen diese Vorsicht des Generals loben, können sie aber nicht
gerade als Heldenmut bewundern. Der wäre auch deshalb überflüssig gewesen,
weil er da, wohin er allerdings gehörte, bei den Kauvnieren der Süd- und
Nordbatterie und der nasfauischen, reichlich vorhanden war. As auiä minus!

Hübsch sind die Schilderungen im vierten Kapitel, das "Politik und Ge¬
sellschaft im Feldlager" überschrieben ist, zutreffend die Charakteristiken der
Augustenburger, der Statthalter und der Parteien im damaligen Schleswig-
Holstein, interessant die Ansichten von der Sachlage und der Stellung des
Herzogs zu ihr, welche er in einem vom 11. April datirten Briefe an den
Prinzen Albert aussprach. Es heißt da u. a.: "So wie der Krieg hier geführt
wird, ist nicht abzusehen, einmal, wie lange er dauert, das andre mal, zu welchen
Verwicklungen er noch führen kann. Die Dänen sind Herren der See und
haben im Besitze der Insel Alsen eine Stellung, welche es ihnen möglich macht,
den Krieg ü. 1'wüiü auszudehnen. . . . Uns aus Schleswig zu vertreiben, ist
ganz unmöglich; wir sind zu stark, und die Mehrzahl der Bevölkerung ist auf


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

Herzog in einem Briefe an seinen Londoner Bruder, dcitirt Gottorf den 6. April
und in unserm Werke S. 399 abgedruckt, mit eigner Hand berichtet: „Ich selbst
hielt über zwei Stunden im Kartätschenfeuer aus." Abgesehen davon, daß der
General nicht oder doch nur im äußersten Notfalle ins Kartätschenfeuer gehört,
wo er selbstverständlich nicht das kalte Blut und den Überblick, die zur Leitung
des Ganzen erforderlich sind, bewahren kann, und daß hier durchaus kein solcher
Notfall vorlag — was in aller Welt müßte das für ein Kartätschenfeuer ge¬
wesen sein, wie schlecht müßten die dänischen Kanoniere geschossen haben, wenn
sie über zwei Stunden gefeuert hätten, ohne den herzoglichen Reiter, der über
alle in seiner Umgebung als vornehmstes Ziel hervorragte, auch mir an einem
Finger zu verletzen! Das lange Halten im Kartätschenfeuer ist also wohl —
nur eine Redensart, bei der man sich auch eine sehr respektable Entfernung von
den Stellen denken kann, wo Kugeln einschlagen können. Von dem Heldentum,
welches in persönlichem Mute besteht, bliebe dann allerdings nicht viel übrig,
aber wir hätten dann den General übrig, welcher sich der Pflicht, sich nicht
auszusetzen, als einer solchen bewußt ist, die für ihn über der Tapferkeit steht.
Wir würden uns freuen, wenn ein andrer Bericht über das Verhalten des
Herzogs bei diesen Vorgängen, der uns von einem Augenzeugen zukam, ganz
richtig wäre, wiewohl er uns aus gewisse» psychologischen Gründen, die wir
verschweigen müssen, nur höchst wahrscheinlich vorkommt. Darnach hielt der
Herzog während des Schießens der dänischen Schiffe ziemlich weit von der Stadt,
am Eingange des Gottesackers, ganz außerhalb des Bereiches der Kartätschen,
und als eine Hohlkugel in ein Ackerstück vier- bis fünfhundert Schritte vor ihm
einschlug und Erde aufwarf, verließ er mit seinem Gefolge unverzüglich den ihm
gefährlich scheinenden Ort und jagte im Galopp nach dem Nvor hinter der
Stadt hinab und auf dessen Hintergrund zu, wohin damalige Kugeln nicht
reichten. Wir müssen diese Vorsicht des Generals loben, können sie aber nicht
gerade als Heldenmut bewundern. Der wäre auch deshalb überflüssig gewesen,
weil er da, wohin er allerdings gehörte, bei den Kauvnieren der Süd- und
Nordbatterie und der nasfauischen, reichlich vorhanden war. As auiä minus!

Hübsch sind die Schilderungen im vierten Kapitel, das „Politik und Ge¬
sellschaft im Feldlager" überschrieben ist, zutreffend die Charakteristiken der
Augustenburger, der Statthalter und der Parteien im damaligen Schleswig-
Holstein, interessant die Ansichten von der Sachlage und der Stellung des
Herzogs zu ihr, welche er in einem vom 11. April datirten Briefe an den
Prinzen Albert aussprach. Es heißt da u. a.: „So wie der Krieg hier geführt
wird, ist nicht abzusehen, einmal, wie lange er dauert, das andre mal, zu welchen
Verwicklungen er noch führen kann. Die Dänen sind Herren der See und
haben im Besitze der Insel Alsen eine Stellung, welche es ihnen möglich macht,
den Krieg ü. 1'wüiü auszudehnen. . . . Uns aus Schleswig zu vertreiben, ist
ganz unmöglich; wir sind zu stark, und die Mehrzahl der Bevölkerung ist auf


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[0439] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst. Herzog in einem Briefe an seinen Londoner Bruder, dcitirt Gottorf den 6. April und in unserm Werke S. 399 abgedruckt, mit eigner Hand berichtet: „Ich selbst hielt über zwei Stunden im Kartätschenfeuer aus." Abgesehen davon, daß der General nicht oder doch nur im äußersten Notfalle ins Kartätschenfeuer gehört, wo er selbstverständlich nicht das kalte Blut und den Überblick, die zur Leitung des Ganzen erforderlich sind, bewahren kann, und daß hier durchaus kein solcher Notfall vorlag — was in aller Welt müßte das für ein Kartätschenfeuer ge¬ wesen sein, wie schlecht müßten die dänischen Kanoniere geschossen haben, wenn sie über zwei Stunden gefeuert hätten, ohne den herzoglichen Reiter, der über alle in seiner Umgebung als vornehmstes Ziel hervorragte, auch mir an einem Finger zu verletzen! Das lange Halten im Kartätschenfeuer ist also wohl — nur eine Redensart, bei der man sich auch eine sehr respektable Entfernung von den Stellen denken kann, wo Kugeln einschlagen können. Von dem Heldentum, welches in persönlichem Mute besteht, bliebe dann allerdings nicht viel übrig, aber wir hätten dann den General übrig, welcher sich der Pflicht, sich nicht auszusetzen, als einer solchen bewußt ist, die für ihn über der Tapferkeit steht. Wir würden uns freuen, wenn ein andrer Bericht über das Verhalten des Herzogs bei diesen Vorgängen, der uns von einem Augenzeugen zukam, ganz richtig wäre, wiewohl er uns aus gewisse» psychologischen Gründen, die wir verschweigen müssen, nur höchst wahrscheinlich vorkommt. Darnach hielt der Herzog während des Schießens der dänischen Schiffe ziemlich weit von der Stadt, am Eingange des Gottesackers, ganz außerhalb des Bereiches der Kartätschen, und als eine Hohlkugel in ein Ackerstück vier- bis fünfhundert Schritte vor ihm einschlug und Erde aufwarf, verließ er mit seinem Gefolge unverzüglich den ihm gefährlich scheinenden Ort und jagte im Galopp nach dem Nvor hinter der Stadt hinab und auf dessen Hintergrund zu, wohin damalige Kugeln nicht reichten. Wir müssen diese Vorsicht des Generals loben, können sie aber nicht gerade als Heldenmut bewundern. Der wäre auch deshalb überflüssig gewesen, weil er da, wohin er allerdings gehörte, bei den Kauvnieren der Süd- und Nordbatterie und der nasfauischen, reichlich vorhanden war. As auiä minus! Hübsch sind die Schilderungen im vierten Kapitel, das „Politik und Ge¬ sellschaft im Feldlager" überschrieben ist, zutreffend die Charakteristiken der Augustenburger, der Statthalter und der Parteien im damaligen Schleswig- Holstein, interessant die Ansichten von der Sachlage und der Stellung des Herzogs zu ihr, welche er in einem vom 11. April datirten Briefe an den Prinzen Albert aussprach. Es heißt da u. a.: „So wie der Krieg hier geführt wird, ist nicht abzusehen, einmal, wie lange er dauert, das andre mal, zu welchen Verwicklungen er noch führen kann. Die Dänen sind Herren der See und haben im Besitze der Insel Alsen eine Stellung, welche es ihnen möglich macht, den Krieg ü. 1'wüiü auszudehnen. . . . Uns aus Schleswig zu vertreiben, ist ganz unmöglich; wir sind zu stark, und die Mehrzahl der Bevölkerung ist auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/439>, abgerufen am 15.05.2024.