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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

der Kritik wäre, welche eben das Vorurteil, die Ausgabe letzter Hand sei die
zuverlässige Grundlage des Textes, gründlich zerstört.

Aber trotzdem soll diese auch maßgebend für Rechtschreibung und Satz¬
zeichnung sein. Freilich hören wir, das Zufällige und Willkürliche wolle man
nicht fortpflanzen, Fehlerhaftes berichtigen, Schwankungen und Unregelmäßig¬
keiten im Buchstäblichen, im Lautzeichen nach Maßgabe der Statistik beseitigen und,
wo diese kein klares Ergebnis biete, dem heutigen Gebrauch den Vorzug geben.
Aber mit dieser Gleichmäßigkeit nach der Statistik ist es übel bestellt. Während
diese ergiebt, daß bei den Abbiegungen der mit el und er abgeleiteten Wörter
in den erstern das zweite, in den andern meistenteils das erste e ausfüllt,
sammeln, sammelt, schmeichelnd, dagegen edlen, dunklen, saurem,
eurem geschrieben wird, hat sich verzweiflend, äugten, manglen, sammlen,
gauklend. edeln, dunkeln, sauerm, euerm, wackrer, besond'rem, hö h'rem
an einzelnen Stellen der beiden vorliegenden Bände erhalten. Hätte eine Sta¬
tistik über diese Fälle vorgelegen, so wäre dies unmöglich. Ich hatte eine solche
über die vier ersten Bände der Ausgabe letzter Hand a. ni. O. S. 246 gegeben;
Pflicht der Redaktion war es, sich eine solche über alle vierzig zu verschaffen.
Dort hatte ich auch über andre Verschiedenheiten gesprochen. Goethe schrieb
und sprach ergötzen, aber in die Ausgabe drang ergetzen ein, dennoch hat sich
ergötz' einmal in unsrer Ausgabe (I, 44) außerhalb des Reimes erhalten. Regel¬
mäßig findet sich im ersten Bande der Ausgabe letzter Hand bekriegen, in den
drei folgenden betrügen, wie Goethe sprach. Im "Faust" ist zweimal betrügen
statt bekriegen geschrieben, weil letzteres als Reim anfingen unerträglich sei; als
ob Goethe den Reim von i auf ü sich nicht auch sonst gestattet hätte! Neben
Wiegeln I. 304 steht Bügel F. 669. Auch ohngefähr hat sich I, 39 statt
des sonst eingeführten ungefähr erhalten, knetet I, 192 neben guckt' F. 3969.
Leider hat die neue Ausgabe aus ihrer Vorgängerin die lächerlich etymologi-
sirenden Formen blas't, sans't, grans't. wachs't, heilt'se, erlich't bei¬
behalten, aber daneben stehen wächst (I, 319). hältst (F. 1148), grapst (I, 209),
liest (I, 297). Ähnlich lesen wir neben Samstag I, 161 Samstags F. 844^
So wenig ist Gleichmäßigkeit der Schreibung an der Hand der Statistik durch¬
geführt.

Aber nicht allein ist die versprochene Gleichmäßigkeit der Schreibung nicht
erreicht, wir halten den Grundsatz, daß noch heute, wo eine verbesserte Schreibung
auch in unsern Schulen eingeführt ist, die "Monnmcntalausgabe" Goethes die
veraltete Rechtschreibung und Satzzeichnung der Ausgabe letzter Hand beibehält,
für einen bedauerlichen Fehler. Goethe überließ die Regelung derselben seinen
Freunden und der Druckerei, da er selbst sich dazu für unfähig, ja. gestehen wir
es, auch für zu gut hielt. Wenn andre Schriftsteller, wie besonders Lessing, großen
Wert darauf legten, daß ihre Grundsätze darüber streug befolgt wurden, so kam
es Goethe nur darauf an, daß in seinen Werken Rechtschreibung und Satz-


Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

der Kritik wäre, welche eben das Vorurteil, die Ausgabe letzter Hand sei die
zuverlässige Grundlage des Textes, gründlich zerstört.

Aber trotzdem soll diese auch maßgebend für Rechtschreibung und Satz¬
zeichnung sein. Freilich hören wir, das Zufällige und Willkürliche wolle man
nicht fortpflanzen, Fehlerhaftes berichtigen, Schwankungen und Unregelmäßig¬
keiten im Buchstäblichen, im Lautzeichen nach Maßgabe der Statistik beseitigen und,
wo diese kein klares Ergebnis biete, dem heutigen Gebrauch den Vorzug geben.
Aber mit dieser Gleichmäßigkeit nach der Statistik ist es übel bestellt. Während
diese ergiebt, daß bei den Abbiegungen der mit el und er abgeleiteten Wörter
in den erstern das zweite, in den andern meistenteils das erste e ausfüllt,
sammeln, sammelt, schmeichelnd, dagegen edlen, dunklen, saurem,
eurem geschrieben wird, hat sich verzweiflend, äugten, manglen, sammlen,
gauklend. edeln, dunkeln, sauerm, euerm, wackrer, besond'rem, hö h'rem
an einzelnen Stellen der beiden vorliegenden Bände erhalten. Hätte eine Sta¬
tistik über diese Fälle vorgelegen, so wäre dies unmöglich. Ich hatte eine solche
über die vier ersten Bände der Ausgabe letzter Hand a. ni. O. S. 246 gegeben;
Pflicht der Redaktion war es, sich eine solche über alle vierzig zu verschaffen.
Dort hatte ich auch über andre Verschiedenheiten gesprochen. Goethe schrieb
und sprach ergötzen, aber in die Ausgabe drang ergetzen ein, dennoch hat sich
ergötz' einmal in unsrer Ausgabe (I, 44) außerhalb des Reimes erhalten. Regel¬
mäßig findet sich im ersten Bande der Ausgabe letzter Hand bekriegen, in den
drei folgenden betrügen, wie Goethe sprach. Im „Faust" ist zweimal betrügen
statt bekriegen geschrieben, weil letzteres als Reim anfingen unerträglich sei; als
ob Goethe den Reim von i auf ü sich nicht auch sonst gestattet hätte! Neben
Wiegeln I. 304 steht Bügel F. 669. Auch ohngefähr hat sich I, 39 statt
des sonst eingeführten ungefähr erhalten, knetet I, 192 neben guckt' F. 3969.
Leider hat die neue Ausgabe aus ihrer Vorgängerin die lächerlich etymologi-
sirenden Formen blas't, sans't, grans't. wachs't, heilt'se, erlich't bei¬
behalten, aber daneben stehen wächst (I, 319). hältst (F. 1148), grapst (I, 209),
liest (I, 297). Ähnlich lesen wir neben Samstag I, 161 Samstags F. 844^
So wenig ist Gleichmäßigkeit der Schreibung an der Hand der Statistik durch¬
geführt.

Aber nicht allein ist die versprochene Gleichmäßigkeit der Schreibung nicht
erreicht, wir halten den Grundsatz, daß noch heute, wo eine verbesserte Schreibung
auch in unsern Schulen eingeführt ist, die „Monnmcntalausgabe" Goethes die
veraltete Rechtschreibung und Satzzeichnung der Ausgabe letzter Hand beibehält,
für einen bedauerlichen Fehler. Goethe überließ die Regelung derselben seinen
Freunden und der Druckerei, da er selbst sich dazu für unfähig, ja. gestehen wir
es, auch für zu gut hielt. Wenn andre Schriftsteller, wie besonders Lessing, großen
Wert darauf legten, daß ihre Grundsätze darüber streug befolgt wurden, so kam
es Goethe nur darauf an, daß in seinen Werken Rechtschreibung und Satz-


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[0044] Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken. der Kritik wäre, welche eben das Vorurteil, die Ausgabe letzter Hand sei die zuverlässige Grundlage des Textes, gründlich zerstört. Aber trotzdem soll diese auch maßgebend für Rechtschreibung und Satz¬ zeichnung sein. Freilich hören wir, das Zufällige und Willkürliche wolle man nicht fortpflanzen, Fehlerhaftes berichtigen, Schwankungen und Unregelmäßig¬ keiten im Buchstäblichen, im Lautzeichen nach Maßgabe der Statistik beseitigen und, wo diese kein klares Ergebnis biete, dem heutigen Gebrauch den Vorzug geben. Aber mit dieser Gleichmäßigkeit nach der Statistik ist es übel bestellt. Während diese ergiebt, daß bei den Abbiegungen der mit el und er abgeleiteten Wörter in den erstern das zweite, in den andern meistenteils das erste e ausfüllt, sammeln, sammelt, schmeichelnd, dagegen edlen, dunklen, saurem, eurem geschrieben wird, hat sich verzweiflend, äugten, manglen, sammlen, gauklend. edeln, dunkeln, sauerm, euerm, wackrer, besond'rem, hö h'rem an einzelnen Stellen der beiden vorliegenden Bände erhalten. Hätte eine Sta¬ tistik über diese Fälle vorgelegen, so wäre dies unmöglich. Ich hatte eine solche über die vier ersten Bände der Ausgabe letzter Hand a. ni. O. S. 246 gegeben; Pflicht der Redaktion war es, sich eine solche über alle vierzig zu verschaffen. Dort hatte ich auch über andre Verschiedenheiten gesprochen. Goethe schrieb und sprach ergötzen, aber in die Ausgabe drang ergetzen ein, dennoch hat sich ergötz' einmal in unsrer Ausgabe (I, 44) außerhalb des Reimes erhalten. Regel¬ mäßig findet sich im ersten Bande der Ausgabe letzter Hand bekriegen, in den drei folgenden betrügen, wie Goethe sprach. Im „Faust" ist zweimal betrügen statt bekriegen geschrieben, weil letzteres als Reim anfingen unerträglich sei; als ob Goethe den Reim von i auf ü sich nicht auch sonst gestattet hätte! Neben Wiegeln I. 304 steht Bügel F. 669. Auch ohngefähr hat sich I, 39 statt des sonst eingeführten ungefähr erhalten, knetet I, 192 neben guckt' F. 3969. Leider hat die neue Ausgabe aus ihrer Vorgängerin die lächerlich etymologi- sirenden Formen blas't, sans't, grans't. wachs't, heilt'se, erlich't bei¬ behalten, aber daneben stehen wächst (I, 319). hältst (F. 1148), grapst (I, 209), liest (I, 297). Ähnlich lesen wir neben Samstag I, 161 Samstags F. 844^ So wenig ist Gleichmäßigkeit der Schreibung an der Hand der Statistik durch¬ geführt. Aber nicht allein ist die versprochene Gleichmäßigkeit der Schreibung nicht erreicht, wir halten den Grundsatz, daß noch heute, wo eine verbesserte Schreibung auch in unsern Schulen eingeführt ist, die „Monnmcntalausgabe" Goethes die veraltete Rechtschreibung und Satzzeichnung der Ausgabe letzter Hand beibehält, für einen bedauerlichen Fehler. Goethe überließ die Regelung derselben seinen Freunden und der Druckerei, da er selbst sich dazu für unfähig, ja. gestehen wir es, auch für zu gut hielt. Wenn andre Schriftsteller, wie besonders Lessing, großen Wert darauf legten, daß ihre Grundsätze darüber streug befolgt wurden, so kam es Goethe nur darauf an, daß in seinen Werken Rechtschreibung und Satz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/44>, abgerufen am 22.05.2024.