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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Freiherr von Lichendorff.

in dem kleinen bescheidnen Häuschen an der Elbe, das zum "Linkischen Bade"
gehört, ist die Muse gern bei ihm eingekehrt. Umstünde fügten es dann, daß
sich seine Dresdner Pläne zerschlugen; doch hat Eichendorffs Liebe zu der schönen
Stadt am Elbstrome sich wenigstens auf eins seiner Kinder vererbt: eine Tochter
und eine Enkelin des Jubilars wohnen in Dresden und verschönerten durch ihre
Gegenwart kürzlich das im Dresdner litterarischen Vereine festlich begangene
Eichendorff-Jubiläum.

Zum Schluß noch eine freundliche Mahnung. Wir haben zu Eichendorff
meist nur ein musikalisches Verhältnis, und bei vielen seiner Lieder, die uns
durch das Ohr zu innigen Vertrauten wurden, wissen wir nicht einmal, daß
es Eichendorffsche Lieder sind. Möchten wir doch von heute an dankbar seiner
gedenken, wenn wir entzückt Liedern lauschen, wie: "Die Höhen und Wälder
schon steigen" oder "Es war, als hätt' der Himmel," "Hörst du nicht die
Quellen gehen," "Es weiß und rät es doch keiner," "Wohin ich geh und
schaue," "Übern Garten durch die Lüfte" und so unzählige andre, bei denen
wir nur an den Komponisten zu denken pflegen. Möchten wir überhaupt tiefer
in das eigentliche Wesen dieses bedeutenden Menschen eindringen. Er hatte
einen Charakter, von dem sich lernen läßt. Was die wenigsten beim Hören
seiner Lieder ahnen mögen: er war von heftigen Wallungen und starken Leiden¬
schaften bewegt; auch seine Schmerzen waren gewaltiger Art. Aber über alle
Erregungen hat ihm, was heute so wenigen beschieden ist, die glückliche Fähig¬
keit fortgeholfen, an eine höhere, liebevolle Weltordnung nicht nur felsenfest zu
glauben, nein, in ihr auch unablässig die Krönung des ganzen Wunderbaues
der Schöpfung mit solcher Seherklarheit zu erblicken, daß ihm die Erde nach
jedem Schicksalsschläge immer wieder zu einem blühenden Garten geworden ist.
Mit solchen Geistern zu Verkehren, selbst wenn wir ihnen in mancher Stimmung
nur staunend zuschauen können, thut uns, den Kindern einer anders gearteten
Zeit, zuweilen recht not.

Und so mögen diese ihm gewidmeten Zeilen, um in seinem Sinne auszu-
klingen, mit einem seiner spätesten Gedichte schließen:


Mein Gott, dir sag' ich Dank,
Daß du die Jugend mir bis über alle Wipfel
In Morgenrot getaucht und Klang,
Und auf des Lebens Gipfel
Bevor der Tag geendet.
Vom Herzen unbewacht
Den falschen Glanz gewendet.
Daß ich nicht kannte ruhmgeblendet,
Da nun herein die Nacht
Dunkele in ernster Pracht.



Joseph Freiherr von Lichendorff.

in dem kleinen bescheidnen Häuschen an der Elbe, das zum „Linkischen Bade"
gehört, ist die Muse gern bei ihm eingekehrt. Umstünde fügten es dann, daß
sich seine Dresdner Pläne zerschlugen; doch hat Eichendorffs Liebe zu der schönen
Stadt am Elbstrome sich wenigstens auf eins seiner Kinder vererbt: eine Tochter
und eine Enkelin des Jubilars wohnen in Dresden und verschönerten durch ihre
Gegenwart kürzlich das im Dresdner litterarischen Vereine festlich begangene
Eichendorff-Jubiläum.

Zum Schluß noch eine freundliche Mahnung. Wir haben zu Eichendorff
meist nur ein musikalisches Verhältnis, und bei vielen seiner Lieder, die uns
durch das Ohr zu innigen Vertrauten wurden, wissen wir nicht einmal, daß
es Eichendorffsche Lieder sind. Möchten wir doch von heute an dankbar seiner
gedenken, wenn wir entzückt Liedern lauschen, wie: „Die Höhen und Wälder
schon steigen" oder „Es war, als hätt' der Himmel," „Hörst du nicht die
Quellen gehen," „Es weiß und rät es doch keiner," „Wohin ich geh und
schaue," „Übern Garten durch die Lüfte" und so unzählige andre, bei denen
wir nur an den Komponisten zu denken pflegen. Möchten wir überhaupt tiefer
in das eigentliche Wesen dieses bedeutenden Menschen eindringen. Er hatte
einen Charakter, von dem sich lernen läßt. Was die wenigsten beim Hören
seiner Lieder ahnen mögen: er war von heftigen Wallungen und starken Leiden¬
schaften bewegt; auch seine Schmerzen waren gewaltiger Art. Aber über alle
Erregungen hat ihm, was heute so wenigen beschieden ist, die glückliche Fähig¬
keit fortgeholfen, an eine höhere, liebevolle Weltordnung nicht nur felsenfest zu
glauben, nein, in ihr auch unablässig die Krönung des ganzen Wunderbaues
der Schöpfung mit solcher Seherklarheit zu erblicken, daß ihm die Erde nach
jedem Schicksalsschläge immer wieder zu einem blühenden Garten geworden ist.
Mit solchen Geistern zu Verkehren, selbst wenn wir ihnen in mancher Stimmung
nur staunend zuschauen können, thut uns, den Kindern einer anders gearteten
Zeit, zuweilen recht not.

Und so mögen diese ihm gewidmeten Zeilen, um in seinem Sinne auszu-
klingen, mit einem seiner spätesten Gedichte schließen:


Mein Gott, dir sag' ich Dank,
Daß du die Jugend mir bis über alle Wipfel
In Morgenrot getaucht und Klang,
Und auf des Lebens Gipfel
Bevor der Tag geendet.
Vom Herzen unbewacht
Den falschen Glanz gewendet.
Daß ich nicht kannte ruhmgeblendet,
Da nun herein die Nacht
Dunkele in ernster Pracht.



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[0467] Joseph Freiherr von Lichendorff. in dem kleinen bescheidnen Häuschen an der Elbe, das zum „Linkischen Bade" gehört, ist die Muse gern bei ihm eingekehrt. Umstünde fügten es dann, daß sich seine Dresdner Pläne zerschlugen; doch hat Eichendorffs Liebe zu der schönen Stadt am Elbstrome sich wenigstens auf eins seiner Kinder vererbt: eine Tochter und eine Enkelin des Jubilars wohnen in Dresden und verschönerten durch ihre Gegenwart kürzlich das im Dresdner litterarischen Vereine festlich begangene Eichendorff-Jubiläum. Zum Schluß noch eine freundliche Mahnung. Wir haben zu Eichendorff meist nur ein musikalisches Verhältnis, und bei vielen seiner Lieder, die uns durch das Ohr zu innigen Vertrauten wurden, wissen wir nicht einmal, daß es Eichendorffsche Lieder sind. Möchten wir doch von heute an dankbar seiner gedenken, wenn wir entzückt Liedern lauschen, wie: „Die Höhen und Wälder schon steigen" oder „Es war, als hätt' der Himmel," „Hörst du nicht die Quellen gehen," „Es weiß und rät es doch keiner," „Wohin ich geh und schaue," „Übern Garten durch die Lüfte" und so unzählige andre, bei denen wir nur an den Komponisten zu denken pflegen. Möchten wir überhaupt tiefer in das eigentliche Wesen dieses bedeutenden Menschen eindringen. Er hatte einen Charakter, von dem sich lernen läßt. Was die wenigsten beim Hören seiner Lieder ahnen mögen: er war von heftigen Wallungen und starken Leiden¬ schaften bewegt; auch seine Schmerzen waren gewaltiger Art. Aber über alle Erregungen hat ihm, was heute so wenigen beschieden ist, die glückliche Fähig¬ keit fortgeholfen, an eine höhere, liebevolle Weltordnung nicht nur felsenfest zu glauben, nein, in ihr auch unablässig die Krönung des ganzen Wunderbaues der Schöpfung mit solcher Seherklarheit zu erblicken, daß ihm die Erde nach jedem Schicksalsschläge immer wieder zu einem blühenden Garten geworden ist. Mit solchen Geistern zu Verkehren, selbst wenn wir ihnen in mancher Stimmung nur staunend zuschauen können, thut uns, den Kindern einer anders gearteten Zeit, zuweilen recht not. Und so mögen diese ihm gewidmeten Zeilen, um in seinem Sinne auszu- klingen, mit einem seiner spätesten Gedichte schließen: Mein Gott, dir sag' ich Dank, Daß du die Jugend mir bis über alle Wipfel In Morgenrot getaucht und Klang, Und auf des Lebens Gipfel Bevor der Tag geendet. Vom Herzen unbewacht Den falschen Glanz gewendet. Daß ich nicht kannte ruhmgeblendet, Da nun herein die Nacht Dunkele in ernster Pracht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/467>, abgerufen am 22.05.2024.