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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Erst diese Worte Jeschkas riefen in Rebekka die Erinnerung wieder wach,
daß auch noch andre als sie allein ein Interesse an Davids Leben hätten.
Was würde Salome sagen? War es ratsam, ihr die Kunde sofort mitzuteilen?
Aber David war ja, wie die Karaltin sagte, weit entfernt.

Mit lautlosen, schnellen Schritten gingen die beiden Frauen dem Städtchen
zu. Jeschka versuchte ihre frühere Wohnung zu erkennen in der tiefen Dunkel¬
heit, doch Rebekka erlaubte ihr nicht, stehen zu bleiben. Ihre Hand zog sie
schnell vorüber, durch die Straßen weiter, bis zu dem Hause der Veronski, in
dem ein schwaches Licht schimmerte. Es war in Salomcs Gemach, sie konnte
nicht im Dunkeln weilen. Die Angst, die sie so oft überfiel, wurde dann so
überwältigend, daß ihr aus krankhaft gepreßter Brust kommender Schrei die
alte Frau wie die kleine Rebekka zum Tode erschreckte.

Laß mich erst allein hinein gehen, flüsterte Rebekka, und den Vorhang hebend
verschwand sie in das Zimmer, in dem David einst den letzten Blick auf seine
schlafende Gattin geworfen hatte. Nach wenigen Minuten kam sie wieder heraus.

Sie schläft so fest und ruhig wie selten, und ich mag sie nicht wecken,
flüsterte sie.

Jeschka trat mit ihr ein. Auf dem niedrigen Lager erblickte sie die Frau
Davids, deren Züge sie von früher genau kannte. Ein Schauer überrieselte
sie. Wie hatte sich dies immer so wenig anmutige Antlitz noch verändert!
Wachsbleich, mit blaugeränderten Augen, der Mund halb offen, hinter den
schmalen, blutlosen Lippen die Zähne zeigend. Die eine Hand lag zusammen¬
geballt auf der Brust, als wolle sie einen heftigen Schmerz bannen, die andre
hing schlaff zum Boden herab.

Jeschka beugte sich über die Regungslose.

Wecke sie nicht, was thust du? fragte Rebekka erschrocken, als das Mädchen
niederkniete, die Hand auf Salomes Brust legte und das Ohr an ihren Mund
hielt. Dann befühlte sie Stirn und Hände.

Salome ist tot! sagte sie, entsetzt zu der alten Frau aufblickend.

Rebekka erschrak.

Tot!

Sie befühlte die kalte Stirne, hob die schweren Hände auf, horchte auf
den Herzschlag -- ja" sie war tot. Der Mund konnte nie wieder böse, harte
Worte sagen, und die Hand sich nicht wieder heben gegen die Mutter des
Mannes, den sie erst geliebt, dann gehaßt hatte. Tot! Rebekka brauchte ihr
nicht mehr zu sagen, daß David lebte.

Die Sterne blickten die ganze Nacht durch in das Gemach und auf das
Lager, auf dem einsam und verlassen die Tote lag. Kein liebendes Auge hielt
die Leichenwache, keine schmerzzitterude Freundesstimme ließ die Leichengesänge
ertönen. Die Liebe, die sie im Leben nicht hatte erringen mögen, ließ sie auch
auf ihrem letzten Lager allein -- einsam.


David Beronski.

Erst diese Worte Jeschkas riefen in Rebekka die Erinnerung wieder wach,
daß auch noch andre als sie allein ein Interesse an Davids Leben hätten.
Was würde Salome sagen? War es ratsam, ihr die Kunde sofort mitzuteilen?
Aber David war ja, wie die Karaltin sagte, weit entfernt.

Mit lautlosen, schnellen Schritten gingen die beiden Frauen dem Städtchen
zu. Jeschka versuchte ihre frühere Wohnung zu erkennen in der tiefen Dunkel¬
heit, doch Rebekka erlaubte ihr nicht, stehen zu bleiben. Ihre Hand zog sie
schnell vorüber, durch die Straßen weiter, bis zu dem Hause der Veronski, in
dem ein schwaches Licht schimmerte. Es war in Salomcs Gemach, sie konnte
nicht im Dunkeln weilen. Die Angst, die sie so oft überfiel, wurde dann so
überwältigend, daß ihr aus krankhaft gepreßter Brust kommender Schrei die
alte Frau wie die kleine Rebekka zum Tode erschreckte.

Laß mich erst allein hinein gehen, flüsterte Rebekka, und den Vorhang hebend
verschwand sie in das Zimmer, in dem David einst den letzten Blick auf seine
schlafende Gattin geworfen hatte. Nach wenigen Minuten kam sie wieder heraus.

Sie schläft so fest und ruhig wie selten, und ich mag sie nicht wecken,
flüsterte sie.

Jeschka trat mit ihr ein. Auf dem niedrigen Lager erblickte sie die Frau
Davids, deren Züge sie von früher genau kannte. Ein Schauer überrieselte
sie. Wie hatte sich dies immer so wenig anmutige Antlitz noch verändert!
Wachsbleich, mit blaugeränderten Augen, der Mund halb offen, hinter den
schmalen, blutlosen Lippen die Zähne zeigend. Die eine Hand lag zusammen¬
geballt auf der Brust, als wolle sie einen heftigen Schmerz bannen, die andre
hing schlaff zum Boden herab.

Jeschka beugte sich über die Regungslose.

Wecke sie nicht, was thust du? fragte Rebekka erschrocken, als das Mädchen
niederkniete, die Hand auf Salomes Brust legte und das Ohr an ihren Mund
hielt. Dann befühlte sie Stirn und Hände.

Salome ist tot! sagte sie, entsetzt zu der alten Frau aufblickend.

Rebekka erschrak.

Tot!

Sie befühlte die kalte Stirne, hob die schweren Hände auf, horchte auf
den Herzschlag — ja» sie war tot. Der Mund konnte nie wieder böse, harte
Worte sagen, und die Hand sich nicht wieder heben gegen die Mutter des
Mannes, den sie erst geliebt, dann gehaßt hatte. Tot! Rebekka brauchte ihr
nicht mehr zu sagen, daß David lebte.

Die Sterne blickten die ganze Nacht durch in das Gemach und auf das
Lager, auf dem einsam und verlassen die Tote lag. Kein liebendes Auge hielt
die Leichenwache, keine schmerzzitterude Freundesstimme ließ die Leichengesänge
ertönen. Die Liebe, die sie im Leben nicht hatte erringen mögen, ließ sie auch
auf ihrem letzten Lager allein — einsam.


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[0471] David Beronski. Erst diese Worte Jeschkas riefen in Rebekka die Erinnerung wieder wach, daß auch noch andre als sie allein ein Interesse an Davids Leben hätten. Was würde Salome sagen? War es ratsam, ihr die Kunde sofort mitzuteilen? Aber David war ja, wie die Karaltin sagte, weit entfernt. Mit lautlosen, schnellen Schritten gingen die beiden Frauen dem Städtchen zu. Jeschka versuchte ihre frühere Wohnung zu erkennen in der tiefen Dunkel¬ heit, doch Rebekka erlaubte ihr nicht, stehen zu bleiben. Ihre Hand zog sie schnell vorüber, durch die Straßen weiter, bis zu dem Hause der Veronski, in dem ein schwaches Licht schimmerte. Es war in Salomcs Gemach, sie konnte nicht im Dunkeln weilen. Die Angst, die sie so oft überfiel, wurde dann so überwältigend, daß ihr aus krankhaft gepreßter Brust kommender Schrei die alte Frau wie die kleine Rebekka zum Tode erschreckte. Laß mich erst allein hinein gehen, flüsterte Rebekka, und den Vorhang hebend verschwand sie in das Zimmer, in dem David einst den letzten Blick auf seine schlafende Gattin geworfen hatte. Nach wenigen Minuten kam sie wieder heraus. Sie schläft so fest und ruhig wie selten, und ich mag sie nicht wecken, flüsterte sie. Jeschka trat mit ihr ein. Auf dem niedrigen Lager erblickte sie die Frau Davids, deren Züge sie von früher genau kannte. Ein Schauer überrieselte sie. Wie hatte sich dies immer so wenig anmutige Antlitz noch verändert! Wachsbleich, mit blaugeränderten Augen, der Mund halb offen, hinter den schmalen, blutlosen Lippen die Zähne zeigend. Die eine Hand lag zusammen¬ geballt auf der Brust, als wolle sie einen heftigen Schmerz bannen, die andre hing schlaff zum Boden herab. Jeschka beugte sich über die Regungslose. Wecke sie nicht, was thust du? fragte Rebekka erschrocken, als das Mädchen niederkniete, die Hand auf Salomes Brust legte und das Ohr an ihren Mund hielt. Dann befühlte sie Stirn und Hände. Salome ist tot! sagte sie, entsetzt zu der alten Frau aufblickend. Rebekka erschrak. Tot! Sie befühlte die kalte Stirne, hob die schweren Hände auf, horchte auf den Herzschlag — ja» sie war tot. Der Mund konnte nie wieder böse, harte Worte sagen, und die Hand sich nicht wieder heben gegen die Mutter des Mannes, den sie erst geliebt, dann gehaßt hatte. Tot! Rebekka brauchte ihr nicht mehr zu sagen, daß David lebte. Die Sterne blickten die ganze Nacht durch in das Gemach und auf das Lager, auf dem einsam und verlassen die Tote lag. Kein liebendes Auge hielt die Leichenwache, keine schmerzzitterude Freundesstimme ließ die Leichengesänge ertönen. Die Liebe, die sie im Leben nicht hatte erringen mögen, ließ sie auch auf ihrem letzten Lager allein — einsam.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/471>, abgerufen am 22.05.2024.