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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie und die Schweiz.

Schweiz bilden sie den Lehr- und Nährstoff für die von deutschen Revolutionären
in das Reich ausgesendeten Boten. In Deutschland sind revolutionäre Vereine
verboten, in der Schweiz halten sie ihre Verbandstage ab, auf denen gegen die
deutschen Regierungen Umsturzpläne beraten und zur Ausführung gebracht
werden. Das ist ein unerträglicher Zustand. Wenn sich deutsche Regierungen
dagegen bisher dadurch zu schützen suchten, daß sie durch geheime Agenten den
in der Schweiz geplanten und von der Schweiz begünstigten verbrecherischen
Thaten auf die Spur zu kommen suchten, so ist dies eine Pflicht, welche ge¬
boten ist. Das kann die Schweizer Bevölkerung nicht verlangen, daß wir aus
Achtung vor den schweizerischen Gesetzen ruhig zusehen, wie unter ihrem
Schutze der Mord gegen unsern Kaiser und unsre Fürsten, der gewaltsame Um¬
sturz unsrer Zustände geplant und ins Werk gesetzt wird.

Die Schweiz würde sich gewiß nicht gestatten, den Herd des internatio¬
nalen revolutionären Verbrechertums zu bilden, wenn sie sich nicht durch ihre
Neutralität vor der letzten Folge begründeter Reklamationen sicher hielte, und
daß sie das thut, ist ein Zeichen von geringer Einsicht. Frankreich hat
seiner Zeit mit der Ziehung eines militärischen Kordons gedroht, als die
Schweiz den französischen Flüchtlingen in ihren Plänen gegen Napoleon
den Dritten volle Freiheit gewährte. Österreich hat diesen militärischen
Korton gezogen, als Mazzini von Tessin aus Versuche machte, die italienischen
Provinzen Österreichs in Aufruhr zu versetzen. Nicht bloß Könige, auch eine
Republik sollte aus der Geschichte lernen. Und die Schweiz hat doppelt Ur¬
sache, dem deutschen Reiche freundlich zu sein, denn dieses ist der natürliche und
uneigennützige Schützer ihrer Neutralität. Wer die Geschichte des Wiener Kon¬
gresses studirt hat, wird sich der großen Verdienste erinnern, welche preußische
Staatsmänner um die Ausbildung der Schweizer Neutralität hatten. Preußen
hat von seiner Rücksicht auf die Schweiz in den Neuenburger Streitigkeiten den
vollsten Beweis geliefert. Im Jahre 1870, bei Ausbruch des Krieges, war
Deutschland die erste kriegführende Macht, welche feierlich anerkannt hat, die
Schweizer Neutralität beobachten zu wollen, während Frankreich immer wieder
Neigungen zeigt, Festungen gegen die Savoyische Grenze anzulegen, welche ihr
Ziel gegen diese Neutralität richten würden. Es ist also ein sehr kleinlicher
Polnischer Gesichtspunkt, der die Schweiz leitet, wenn sie sich ihren besten
Nachbarn und Freund zum Feinde macht, indem sie dessen Revolutionäre be¬
günstigt. Auch eine andre Lehre sollte die Schweiz noch aus der Geschichte
ziehen. In den Vereinigten Staaten wurde die irischen Feiner und Dynamit¬
verbrecher so lange begünstigt, bis die Bevölkerung der Vereinigten Staaten selbst
von den verbrecherischen Ideen durchseucht wurde, die in dem großen Bomben¬
attentat in Chicago im Jahre 1886 in die Wirklichkeit übertragen wurden. Ob
die Schweizer Freiheit solchen Stößen gegenüber fest bleiben würde, ist doch
sehr zweifelhaft. Keinesfalls aber würden die europäischen Mächte es dulden


Die Sozialdemokratie und die Schweiz.

Schweiz bilden sie den Lehr- und Nährstoff für die von deutschen Revolutionären
in das Reich ausgesendeten Boten. In Deutschland sind revolutionäre Vereine
verboten, in der Schweiz halten sie ihre Verbandstage ab, auf denen gegen die
deutschen Regierungen Umsturzpläne beraten und zur Ausführung gebracht
werden. Das ist ein unerträglicher Zustand. Wenn sich deutsche Regierungen
dagegen bisher dadurch zu schützen suchten, daß sie durch geheime Agenten den
in der Schweiz geplanten und von der Schweiz begünstigten verbrecherischen
Thaten auf die Spur zu kommen suchten, so ist dies eine Pflicht, welche ge¬
boten ist. Das kann die Schweizer Bevölkerung nicht verlangen, daß wir aus
Achtung vor den schweizerischen Gesetzen ruhig zusehen, wie unter ihrem
Schutze der Mord gegen unsern Kaiser und unsre Fürsten, der gewaltsame Um¬
sturz unsrer Zustände geplant und ins Werk gesetzt wird.

Die Schweiz würde sich gewiß nicht gestatten, den Herd des internatio¬
nalen revolutionären Verbrechertums zu bilden, wenn sie sich nicht durch ihre
Neutralität vor der letzten Folge begründeter Reklamationen sicher hielte, und
daß sie das thut, ist ein Zeichen von geringer Einsicht. Frankreich hat
seiner Zeit mit der Ziehung eines militärischen Kordons gedroht, als die
Schweiz den französischen Flüchtlingen in ihren Plänen gegen Napoleon
den Dritten volle Freiheit gewährte. Österreich hat diesen militärischen
Korton gezogen, als Mazzini von Tessin aus Versuche machte, die italienischen
Provinzen Österreichs in Aufruhr zu versetzen. Nicht bloß Könige, auch eine
Republik sollte aus der Geschichte lernen. Und die Schweiz hat doppelt Ur¬
sache, dem deutschen Reiche freundlich zu sein, denn dieses ist der natürliche und
uneigennützige Schützer ihrer Neutralität. Wer die Geschichte des Wiener Kon¬
gresses studirt hat, wird sich der großen Verdienste erinnern, welche preußische
Staatsmänner um die Ausbildung der Schweizer Neutralität hatten. Preußen
hat von seiner Rücksicht auf die Schweiz in den Neuenburger Streitigkeiten den
vollsten Beweis geliefert. Im Jahre 1870, bei Ausbruch des Krieges, war
Deutschland die erste kriegführende Macht, welche feierlich anerkannt hat, die
Schweizer Neutralität beobachten zu wollen, während Frankreich immer wieder
Neigungen zeigt, Festungen gegen die Savoyische Grenze anzulegen, welche ihr
Ziel gegen diese Neutralität richten würden. Es ist also ein sehr kleinlicher
Polnischer Gesichtspunkt, der die Schweiz leitet, wenn sie sich ihren besten
Nachbarn und Freund zum Feinde macht, indem sie dessen Revolutionäre be¬
günstigt. Auch eine andre Lehre sollte die Schweiz noch aus der Geschichte
ziehen. In den Vereinigten Staaten wurde die irischen Feiner und Dynamit¬
verbrecher so lange begünstigt, bis die Bevölkerung der Vereinigten Staaten selbst
von den verbrecherischen Ideen durchseucht wurde, die in dem großen Bomben¬
attentat in Chicago im Jahre 1886 in die Wirklichkeit übertragen wurden. Ob
die Schweizer Freiheit solchen Stößen gegenüber fest bleiben würde, ist doch
sehr zweifelhaft. Keinesfalls aber würden die europäischen Mächte es dulden


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[0485] Die Sozialdemokratie und die Schweiz. Schweiz bilden sie den Lehr- und Nährstoff für die von deutschen Revolutionären in das Reich ausgesendeten Boten. In Deutschland sind revolutionäre Vereine verboten, in der Schweiz halten sie ihre Verbandstage ab, auf denen gegen die deutschen Regierungen Umsturzpläne beraten und zur Ausführung gebracht werden. Das ist ein unerträglicher Zustand. Wenn sich deutsche Regierungen dagegen bisher dadurch zu schützen suchten, daß sie durch geheime Agenten den in der Schweiz geplanten und von der Schweiz begünstigten verbrecherischen Thaten auf die Spur zu kommen suchten, so ist dies eine Pflicht, welche ge¬ boten ist. Das kann die Schweizer Bevölkerung nicht verlangen, daß wir aus Achtung vor den schweizerischen Gesetzen ruhig zusehen, wie unter ihrem Schutze der Mord gegen unsern Kaiser und unsre Fürsten, der gewaltsame Um¬ sturz unsrer Zustände geplant und ins Werk gesetzt wird. Die Schweiz würde sich gewiß nicht gestatten, den Herd des internatio¬ nalen revolutionären Verbrechertums zu bilden, wenn sie sich nicht durch ihre Neutralität vor der letzten Folge begründeter Reklamationen sicher hielte, und daß sie das thut, ist ein Zeichen von geringer Einsicht. Frankreich hat seiner Zeit mit der Ziehung eines militärischen Kordons gedroht, als die Schweiz den französischen Flüchtlingen in ihren Plänen gegen Napoleon den Dritten volle Freiheit gewährte. Österreich hat diesen militärischen Korton gezogen, als Mazzini von Tessin aus Versuche machte, die italienischen Provinzen Österreichs in Aufruhr zu versetzen. Nicht bloß Könige, auch eine Republik sollte aus der Geschichte lernen. Und die Schweiz hat doppelt Ur¬ sache, dem deutschen Reiche freundlich zu sein, denn dieses ist der natürliche und uneigennützige Schützer ihrer Neutralität. Wer die Geschichte des Wiener Kon¬ gresses studirt hat, wird sich der großen Verdienste erinnern, welche preußische Staatsmänner um die Ausbildung der Schweizer Neutralität hatten. Preußen hat von seiner Rücksicht auf die Schweiz in den Neuenburger Streitigkeiten den vollsten Beweis geliefert. Im Jahre 1870, bei Ausbruch des Krieges, war Deutschland die erste kriegführende Macht, welche feierlich anerkannt hat, die Schweizer Neutralität beobachten zu wollen, während Frankreich immer wieder Neigungen zeigt, Festungen gegen die Savoyische Grenze anzulegen, welche ihr Ziel gegen diese Neutralität richten würden. Es ist also ein sehr kleinlicher Polnischer Gesichtspunkt, der die Schweiz leitet, wenn sie sich ihren besten Nachbarn und Freund zum Feinde macht, indem sie dessen Revolutionäre be¬ günstigt. Auch eine andre Lehre sollte die Schweiz noch aus der Geschichte ziehen. In den Vereinigten Staaten wurde die irischen Feiner und Dynamit¬ verbrecher so lange begünstigt, bis die Bevölkerung der Vereinigten Staaten selbst von den verbrecherischen Ideen durchseucht wurde, die in dem großen Bomben¬ attentat in Chicago im Jahre 1886 in die Wirklichkeit übertragen wurden. Ob die Schweizer Freiheit solchen Stößen gegenüber fest bleiben würde, ist doch sehr zweifelhaft. Keinesfalls aber würden die europäischen Mächte es dulden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/485>, abgerufen am 22.05.2024.