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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Arbeitcransstände in dem Steinkohlenbecken ponnsylvaniens.

freien Vereinigungen der Arbeiter, der Farmer, der Gewerken nicht als Ver¬
suche zum Aufbau eines bessern und gerechter" Gesellschafts- und Staatslebens
ansieht, sondern nur als gefährliche und niederzuhaltende Mitbewerber auf dem
politischen Parteifelde. Es gilt, an einem großen Beispiele zu zeigen und den
Beweis zu liefern, daß außerhalb und neben dem Mechanismus des alten
Staates und seiner Organe eine neue Welt im Aufbau begriffen ist, die, sobald
sie sich vollen Inhalt und klarere, festere Formen geschaffen haben wird, eines
schönen Morgens dem jetzigen Staatswesen den Abschied erteilen und sich an
seine Stelle setzen wird.

Wie wir im deutschen Mittelalter statt einer kraftvollen Einheit der Ge¬
samtleitung nur eine zerrissene Vielheit halb oder nahezu ganz unabhängiger
Fürsten, Neichsritter und Städtebünde haben, deren ewige Kämpfe nur durch
vorübergehende Waffenstillstande, durch Gottes- oder Landfrieden gemildert er¬
scheinen, wie sich alles um den Besitz größerer Landesstrecken, unbeschränktere
Selbstherrlichkeit dreht, so haben wir in der thatsächlichen Anarchie des amerika¬
nischen Geschäftslebens, des Eisenbahn- und Telegraphenbetriebes u. s. w. ein
ungeheures Feld des Daseinskampfes vor uns, in welchem auf längere oder
kürzere Zeit geschlossene, wenn auch nicht immer gehaltene Verträge zwischen
Arbeitern und Arbeitgebern, Vereinbarungen zwischen den verschiednen Gruppen
der Großausbeutcr der Gütererzeuger, zwischen Eisenbahngesellschaften und
Großindustriellen die Ruhepausen und Windstillen bilden. Die ungemessene
Selbstsucht der Großen wird so lange mit der Notwehr der Kleinen kämpfen, bis die
Gefahr für das ganze Gemeinwesen eine Höhe erreicht, die nur durch Neugestal¬
tung des Staates selbst auf sozialpolitischen Grundlagen zu beschwören sein wird.

Die Geschichte der Kämpfe zwischen den Kvhlengräbern und den Kohlen-
und Eisenbcchnlnrds in Pennsylvanien, welche seit länger als zwanzig Jahren
geführt, sich jetzt in gewaltigstem Ausbruch befinden, wird den oben aufgestellten
Allgemeinsätzen die lebensvolle Erklärung und Bestätigung am besten zu geben
imstande sein. An der Gestalt, welche dies Ringen zwischen Ausbeutern und
Ausgebeuteten allmählich gewonnen, an der Phalangenschlachtordnung, zu welcher
es die beiden sich bekämpfenden Seiten zuletzt gezwungen hat, sowie an der
Mitleidenschaft, in welche durch diese ewigen, bald freiwilligen, bald von den
Kohlcnlords erzwungenen Aufstände der Kohlengräber die Zuschauer, d. h. die
kohlenverbrauchenden Fabrikanten, Geschäftsleute und das große Publikum, im
allgemeinen gezogen werden, läßt sich die auch auf andern Geschäftsgebieten
fortschreitende Ausbildung und Ausartung von Niesensyndikaten und mittels
Auflaufs zu Preisbestimmern der wichtigsten Lebensbedürfnisse sich erhebenden
Kapitalistenjunker auf der einen, wie die in der Form von Granger-Logen,
Rittern der Arbeit, Gewerkvereinen zu Niesenverbänden sich vereinigenden Farmer,
Handwerker und Arbeiter in ihrer Bedeutung für die Zukunft am besten be¬
greifen und im voraus ermessen.


Die Arbeitcransstände in dem Steinkohlenbecken ponnsylvaniens.

freien Vereinigungen der Arbeiter, der Farmer, der Gewerken nicht als Ver¬
suche zum Aufbau eines bessern und gerechter« Gesellschafts- und Staatslebens
ansieht, sondern nur als gefährliche und niederzuhaltende Mitbewerber auf dem
politischen Parteifelde. Es gilt, an einem großen Beispiele zu zeigen und den
Beweis zu liefern, daß außerhalb und neben dem Mechanismus des alten
Staates und seiner Organe eine neue Welt im Aufbau begriffen ist, die, sobald
sie sich vollen Inhalt und klarere, festere Formen geschaffen haben wird, eines
schönen Morgens dem jetzigen Staatswesen den Abschied erteilen und sich an
seine Stelle setzen wird.

Wie wir im deutschen Mittelalter statt einer kraftvollen Einheit der Ge¬
samtleitung nur eine zerrissene Vielheit halb oder nahezu ganz unabhängiger
Fürsten, Neichsritter und Städtebünde haben, deren ewige Kämpfe nur durch
vorübergehende Waffenstillstande, durch Gottes- oder Landfrieden gemildert er¬
scheinen, wie sich alles um den Besitz größerer Landesstrecken, unbeschränktere
Selbstherrlichkeit dreht, so haben wir in der thatsächlichen Anarchie des amerika¬
nischen Geschäftslebens, des Eisenbahn- und Telegraphenbetriebes u. s. w. ein
ungeheures Feld des Daseinskampfes vor uns, in welchem auf längere oder
kürzere Zeit geschlossene, wenn auch nicht immer gehaltene Verträge zwischen
Arbeitern und Arbeitgebern, Vereinbarungen zwischen den verschiednen Gruppen
der Großausbeutcr der Gütererzeuger, zwischen Eisenbahngesellschaften und
Großindustriellen die Ruhepausen und Windstillen bilden. Die ungemessene
Selbstsucht der Großen wird so lange mit der Notwehr der Kleinen kämpfen, bis die
Gefahr für das ganze Gemeinwesen eine Höhe erreicht, die nur durch Neugestal¬
tung des Staates selbst auf sozialpolitischen Grundlagen zu beschwören sein wird.

Die Geschichte der Kämpfe zwischen den Kvhlengräbern und den Kohlen-
und Eisenbcchnlnrds in Pennsylvanien, welche seit länger als zwanzig Jahren
geführt, sich jetzt in gewaltigstem Ausbruch befinden, wird den oben aufgestellten
Allgemeinsätzen die lebensvolle Erklärung und Bestätigung am besten zu geben
imstande sein. An der Gestalt, welche dies Ringen zwischen Ausbeutern und
Ausgebeuteten allmählich gewonnen, an der Phalangenschlachtordnung, zu welcher
es die beiden sich bekämpfenden Seiten zuletzt gezwungen hat, sowie an der
Mitleidenschaft, in welche durch diese ewigen, bald freiwilligen, bald von den
Kohlcnlords erzwungenen Aufstände der Kohlengräber die Zuschauer, d. h. die
kohlenverbrauchenden Fabrikanten, Geschäftsleute und das große Publikum, im
allgemeinen gezogen werden, läßt sich die auch auf andern Geschäftsgebieten
fortschreitende Ausbildung und Ausartung von Niesensyndikaten und mittels
Auflaufs zu Preisbestimmern der wichtigsten Lebensbedürfnisse sich erhebenden
Kapitalistenjunker auf der einen, wie die in der Form von Granger-Logen,
Rittern der Arbeit, Gewerkvereinen zu Niesenverbänden sich vereinigenden Farmer,
Handwerker und Arbeiter in ihrer Bedeutung für die Zukunft am besten be¬
greifen und im voraus ermessen.


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[0494] Die Arbeitcransstände in dem Steinkohlenbecken ponnsylvaniens. freien Vereinigungen der Arbeiter, der Farmer, der Gewerken nicht als Ver¬ suche zum Aufbau eines bessern und gerechter« Gesellschafts- und Staatslebens ansieht, sondern nur als gefährliche und niederzuhaltende Mitbewerber auf dem politischen Parteifelde. Es gilt, an einem großen Beispiele zu zeigen und den Beweis zu liefern, daß außerhalb und neben dem Mechanismus des alten Staates und seiner Organe eine neue Welt im Aufbau begriffen ist, die, sobald sie sich vollen Inhalt und klarere, festere Formen geschaffen haben wird, eines schönen Morgens dem jetzigen Staatswesen den Abschied erteilen und sich an seine Stelle setzen wird. Wie wir im deutschen Mittelalter statt einer kraftvollen Einheit der Ge¬ samtleitung nur eine zerrissene Vielheit halb oder nahezu ganz unabhängiger Fürsten, Neichsritter und Städtebünde haben, deren ewige Kämpfe nur durch vorübergehende Waffenstillstande, durch Gottes- oder Landfrieden gemildert er¬ scheinen, wie sich alles um den Besitz größerer Landesstrecken, unbeschränktere Selbstherrlichkeit dreht, so haben wir in der thatsächlichen Anarchie des amerika¬ nischen Geschäftslebens, des Eisenbahn- und Telegraphenbetriebes u. s. w. ein ungeheures Feld des Daseinskampfes vor uns, in welchem auf längere oder kürzere Zeit geschlossene, wenn auch nicht immer gehaltene Verträge zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, Vereinbarungen zwischen den verschiednen Gruppen der Großausbeutcr der Gütererzeuger, zwischen Eisenbahngesellschaften und Großindustriellen die Ruhepausen und Windstillen bilden. Die ungemessene Selbstsucht der Großen wird so lange mit der Notwehr der Kleinen kämpfen, bis die Gefahr für das ganze Gemeinwesen eine Höhe erreicht, die nur durch Neugestal¬ tung des Staates selbst auf sozialpolitischen Grundlagen zu beschwören sein wird. Die Geschichte der Kämpfe zwischen den Kvhlengräbern und den Kohlen- und Eisenbcchnlnrds in Pennsylvanien, welche seit länger als zwanzig Jahren geführt, sich jetzt in gewaltigstem Ausbruch befinden, wird den oben aufgestellten Allgemeinsätzen die lebensvolle Erklärung und Bestätigung am besten zu geben imstande sein. An der Gestalt, welche dies Ringen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten allmählich gewonnen, an der Phalangenschlachtordnung, zu welcher es die beiden sich bekämpfenden Seiten zuletzt gezwungen hat, sowie an der Mitleidenschaft, in welche durch diese ewigen, bald freiwilligen, bald von den Kohlcnlords erzwungenen Aufstände der Kohlengräber die Zuschauer, d. h. die kohlenverbrauchenden Fabrikanten, Geschäftsleute und das große Publikum, im allgemeinen gezogen werden, läßt sich die auch auf andern Geschäftsgebieten fortschreitende Ausbildung und Ausartung von Niesensyndikaten und mittels Auflaufs zu Preisbestimmern der wichtigsten Lebensbedürfnisse sich erhebenden Kapitalistenjunker auf der einen, wie die in der Form von Granger-Logen, Rittern der Arbeit, Gewerkvereinen zu Niesenverbänden sich vereinigenden Farmer, Handwerker und Arbeiter in ihrer Bedeutung für die Zukunft am besten be¬ greifen und im voraus ermessen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/494>, abgerufen am 15.05.2024.