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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

gange Preußens auch dieser Gefahr ein Korrektiv zur Seite getreten, das
Volksheer, die höchste Stufe des moralischen Krieges, welche ihn über die Zeiten
des handwerksmäßigen und Söldncrkrieges, wieder an die Urzeit des patriarcha¬
lischen, des Familienkrieges anzuknüpfen scheint. Ja fast scheint es, als ob
damit der Krieg auch wieder den poetischen Zauber zurückerlangt hätte, der ihm
durch die gewordenen Söldnerheere bedenklich abgestreift worden ist. Erst seit
dieser Zeit dichtet der Volksgeist wieder aus wahrhafter Seele Kriegslieder.
Und es ist merkwürdig: diesen geistigen Zug scheint die Entwicklung der natür¬
lichen Hilfsmittel auch hier zu tragen, zu unterstützen. Je mehr die mechanische
Waffe sich entwickelt, desto mehr zerstört sie selber wieder die durch sie bewirkte
Mechanik der Kriegsführung. Die geschlossenen Reihen, in denen der Einzelne
eine gleichgiltige Nummer ist, und die sich bloß gegenseitig zu lichten bestimmt
sind, können sich der immer größern Treffsicherheit gegenüber nicht mehr halten.
Sie lösen sich auf und gewähren dem Einzelnen, seiner Geschicklichkeit, Übung,
Wachsamkeit und wieder, in weit Höheren Maße als früher, seinen moralischen
Eigenschaften, dem persönlichen Mute, der Ausdauer, einen größern Spielraum.
Und so könnte es kommen, daß je mehr die mechanischen Waffen sich zum
leichten, unfehlbaren, genauen Ausdruck des vom Geiste geleiteten Willens ver¬
vollkommnen, der ideale Kämpfer der Urzeit, nur um eine Welt von Hilfs¬
mitteln bereichert, wiederum der Menschheit erscheine und einem künftigen Rha¬
psoden des Lebensabends der Menschheit Stoff zu dem gewaltigsten Heldengedicht
liefere, das dem Menschengeist zu vollführen bestimmt ist.

Krieg und Friede sind also keine Gegensätze, von denen eins das andre
in der Menschheit auszuschließen die Aufgabe hat. Der ewige Krieg und der
ewige Friede bedeuten für das thatsächliche Leben der Menschheit niemals
etwas. Der ewige Krieg soll nicht in unsrer Welt sein, und der ewige Friede
ist nicht von dieser Welt. Sie sind vielmehr gegenseitige Ergänzungen, welche
die sittliche Natur der Völker ebenso abwechselnd heben und tragen, wie Kampf
und Sieg, Arbeit und Ruhe die sittliche Kraft des Einzelnen. Und wie in dem
moralischen Beweggrund die Kennzeichen für den Wert der einzelnen That ent¬
halten sind, so ist es auch bei den Thaten der Gesamtheit, des Volkes. Jede
menschliche Anstrengung, die lediglich darauf hinausläuft, dem andern zu schaden,
sich widerrechtlich auf seine Kosten auszudehnen, ist verwerflich, ist ein Ver¬
brechen, gleichviel ob der Thäter ein Einzelner oder ein ganzes Volk ist. Auf
der andern Seite ist feige Ruhe, die nur nach dem Lotterbette seufzt und jede
Forderung der Welt als herben Druck empfindet, verächtlich und sträflich beim
Einzelnen und beim Volke. Im Gegensatz hierzu ist der wahrhafte Krieg der¬
jenige, der zur Erhaltung von Wahrheit, Freiheit und Recht, und sei es gegen
die ganze Welt, von dem durch Gott zu diesem erhabenen Amte berufenen Volke
geführt wird. Der wahrhafte Friede derjenige, der aus eben diesem Grunde
für die ganze Welt, und sei es mit größten Opfern und eigner Entsagung, er-


Der wahrhafte Friede.

gange Preußens auch dieser Gefahr ein Korrektiv zur Seite getreten, das
Volksheer, die höchste Stufe des moralischen Krieges, welche ihn über die Zeiten
des handwerksmäßigen und Söldncrkrieges, wieder an die Urzeit des patriarcha¬
lischen, des Familienkrieges anzuknüpfen scheint. Ja fast scheint es, als ob
damit der Krieg auch wieder den poetischen Zauber zurückerlangt hätte, der ihm
durch die gewordenen Söldnerheere bedenklich abgestreift worden ist. Erst seit
dieser Zeit dichtet der Volksgeist wieder aus wahrhafter Seele Kriegslieder.
Und es ist merkwürdig: diesen geistigen Zug scheint die Entwicklung der natür¬
lichen Hilfsmittel auch hier zu tragen, zu unterstützen. Je mehr die mechanische
Waffe sich entwickelt, desto mehr zerstört sie selber wieder die durch sie bewirkte
Mechanik der Kriegsführung. Die geschlossenen Reihen, in denen der Einzelne
eine gleichgiltige Nummer ist, und die sich bloß gegenseitig zu lichten bestimmt
sind, können sich der immer größern Treffsicherheit gegenüber nicht mehr halten.
Sie lösen sich auf und gewähren dem Einzelnen, seiner Geschicklichkeit, Übung,
Wachsamkeit und wieder, in weit Höheren Maße als früher, seinen moralischen
Eigenschaften, dem persönlichen Mute, der Ausdauer, einen größern Spielraum.
Und so könnte es kommen, daß je mehr die mechanischen Waffen sich zum
leichten, unfehlbaren, genauen Ausdruck des vom Geiste geleiteten Willens ver¬
vollkommnen, der ideale Kämpfer der Urzeit, nur um eine Welt von Hilfs¬
mitteln bereichert, wiederum der Menschheit erscheine und einem künftigen Rha¬
psoden des Lebensabends der Menschheit Stoff zu dem gewaltigsten Heldengedicht
liefere, das dem Menschengeist zu vollführen bestimmt ist.

Krieg und Friede sind also keine Gegensätze, von denen eins das andre
in der Menschheit auszuschließen die Aufgabe hat. Der ewige Krieg und der
ewige Friede bedeuten für das thatsächliche Leben der Menschheit niemals
etwas. Der ewige Krieg soll nicht in unsrer Welt sein, und der ewige Friede
ist nicht von dieser Welt. Sie sind vielmehr gegenseitige Ergänzungen, welche
die sittliche Natur der Völker ebenso abwechselnd heben und tragen, wie Kampf
und Sieg, Arbeit und Ruhe die sittliche Kraft des Einzelnen. Und wie in dem
moralischen Beweggrund die Kennzeichen für den Wert der einzelnen That ent¬
halten sind, so ist es auch bei den Thaten der Gesamtheit, des Volkes. Jede
menschliche Anstrengung, die lediglich darauf hinausläuft, dem andern zu schaden,
sich widerrechtlich auf seine Kosten auszudehnen, ist verwerflich, ist ein Ver¬
brechen, gleichviel ob der Thäter ein Einzelner oder ein ganzes Volk ist. Auf
der andern Seite ist feige Ruhe, die nur nach dem Lotterbette seufzt und jede
Forderung der Welt als herben Druck empfindet, verächtlich und sträflich beim
Einzelnen und beim Volke. Im Gegensatz hierzu ist der wahrhafte Krieg der¬
jenige, der zur Erhaltung von Wahrheit, Freiheit und Recht, und sei es gegen
die ganze Welt, von dem durch Gott zu diesem erhabenen Amte berufenen Volke
geführt wird. Der wahrhafte Friede derjenige, der aus eben diesem Grunde
für die ganze Welt, und sei es mit größten Opfern und eigner Entsagung, er-


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[0512] Der wahrhafte Friede. gange Preußens auch dieser Gefahr ein Korrektiv zur Seite getreten, das Volksheer, die höchste Stufe des moralischen Krieges, welche ihn über die Zeiten des handwerksmäßigen und Söldncrkrieges, wieder an die Urzeit des patriarcha¬ lischen, des Familienkrieges anzuknüpfen scheint. Ja fast scheint es, als ob damit der Krieg auch wieder den poetischen Zauber zurückerlangt hätte, der ihm durch die gewordenen Söldnerheere bedenklich abgestreift worden ist. Erst seit dieser Zeit dichtet der Volksgeist wieder aus wahrhafter Seele Kriegslieder. Und es ist merkwürdig: diesen geistigen Zug scheint die Entwicklung der natür¬ lichen Hilfsmittel auch hier zu tragen, zu unterstützen. Je mehr die mechanische Waffe sich entwickelt, desto mehr zerstört sie selber wieder die durch sie bewirkte Mechanik der Kriegsführung. Die geschlossenen Reihen, in denen der Einzelne eine gleichgiltige Nummer ist, und die sich bloß gegenseitig zu lichten bestimmt sind, können sich der immer größern Treffsicherheit gegenüber nicht mehr halten. Sie lösen sich auf und gewähren dem Einzelnen, seiner Geschicklichkeit, Übung, Wachsamkeit und wieder, in weit Höheren Maße als früher, seinen moralischen Eigenschaften, dem persönlichen Mute, der Ausdauer, einen größern Spielraum. Und so könnte es kommen, daß je mehr die mechanischen Waffen sich zum leichten, unfehlbaren, genauen Ausdruck des vom Geiste geleiteten Willens ver¬ vollkommnen, der ideale Kämpfer der Urzeit, nur um eine Welt von Hilfs¬ mitteln bereichert, wiederum der Menschheit erscheine und einem künftigen Rha¬ psoden des Lebensabends der Menschheit Stoff zu dem gewaltigsten Heldengedicht liefere, das dem Menschengeist zu vollführen bestimmt ist. Krieg und Friede sind also keine Gegensätze, von denen eins das andre in der Menschheit auszuschließen die Aufgabe hat. Der ewige Krieg und der ewige Friede bedeuten für das thatsächliche Leben der Menschheit niemals etwas. Der ewige Krieg soll nicht in unsrer Welt sein, und der ewige Friede ist nicht von dieser Welt. Sie sind vielmehr gegenseitige Ergänzungen, welche die sittliche Natur der Völker ebenso abwechselnd heben und tragen, wie Kampf und Sieg, Arbeit und Ruhe die sittliche Kraft des Einzelnen. Und wie in dem moralischen Beweggrund die Kennzeichen für den Wert der einzelnen That ent¬ halten sind, so ist es auch bei den Thaten der Gesamtheit, des Volkes. Jede menschliche Anstrengung, die lediglich darauf hinausläuft, dem andern zu schaden, sich widerrechtlich auf seine Kosten auszudehnen, ist verwerflich, ist ein Ver¬ brechen, gleichviel ob der Thäter ein Einzelner oder ein ganzes Volk ist. Auf der andern Seite ist feige Ruhe, die nur nach dem Lotterbette seufzt und jede Forderung der Welt als herben Druck empfindet, verächtlich und sträflich beim Einzelnen und beim Volke. Im Gegensatz hierzu ist der wahrhafte Krieg der¬ jenige, der zur Erhaltung von Wahrheit, Freiheit und Recht, und sei es gegen die ganze Welt, von dem durch Gott zu diesem erhabenen Amte berufenen Volke geführt wird. Der wahrhafte Friede derjenige, der aus eben diesem Grunde für die ganze Welt, und sei es mit größten Opfern und eigner Entsagung, er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/512>, abgerufen am 15.05.2024.