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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Im Mondschein mit Goethe.

O könnt' ich doch auf Bergeshöhen
In deinem lieben Lichte gehen,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen
In deinem Thau gesund mich baden!

(Faust I, 1.)

Schon mit diesen Worten spricht er deutlich die Sehnsucht nach dem Auf¬
hören seines irdischen Lebens aus, den Wunsch nach dem Beginn eines andern
Daseins, die Hoffnung sogar, daß dies dann ein gesteigertes, ein höher ent¬
wickeltes sein werde -- jedenfalls die Zuversicht auf den Beginn eines solchen.

"Trübsel'ger Freund!" ruft er zwar den aufsteigenden Mond an. Er
vergleicht sein schon entseeltes Rund mit seinem eignen unzulänglichen, zum
Wegwerfen ihm reif scheinenden Dasein, und doch möchte er in seinem lieben
Lichte gehn, in seinem Thau gesund sich baden, er fühlt es, daß die Mond¬
strahlen, welche in seine Zelle dringen, von einem ewigen Lichte ausgehen, durch
seinen "trübseligen Freund" nur vermittelt werden und durch andre Monde
vermittelt werden müssen, wenn die Kraft des jetzigen zu Ende geht! Im Ur¬
lichte möchte er sich sonnen, im Urthau sich baden.

Licht des Himmels, du leuchtest ewig! Thau des Mondes, du träufelst
immerdar! Ewig werden Welten dasein als eure Träger und Vermittler, und
ewig auf ihnen Wesen entstehen und vergehen, die sich in euch bespiegeln, in
euch baden! Und der Geist, der dies mit Bewußtsein genießt, wird ewig ein
Teil sein des großen Weltengeistes, der alles durchdringt, sich offenbarend in
unendlich vielen Funken, zeitlich und räumlich!

Was der Dichter sang in einer der geistbewegtesten Stunden, die er je
gehabt haben mag:


Nacht ist schon hereingesunken,
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern in dem See sich spiegelnd,
Glänzen oben klarer Nacht;
Tiefsten Ruhms Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Prachtl

(Faust II, 1)

das wird mit wechselnden Worten in Ewigkeiten fortgesungen werden zu
immer neuen, aus demselben Stoff gewirkten Weltlichtern, und der Geist, der
die Sänger treiben wird, zum alten und ewig neuen Lied in die Harfe zu greifen,
wird ewig derselbe sein, der auch in unsern Körpern einst seine Heimstätte auf¬
geschlagen hatte. Wir sind, um zu sein. Wir werden aufhören zu sein, was
wir sind, aber niemals aufhören zu sein!




Im Mondschein mit Goethe.

O könnt' ich doch auf Bergeshöhen
In deinem lieben Lichte gehen,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen
In deinem Thau gesund mich baden!

(Faust I, 1.)

Schon mit diesen Worten spricht er deutlich die Sehnsucht nach dem Auf¬
hören seines irdischen Lebens aus, den Wunsch nach dem Beginn eines andern
Daseins, die Hoffnung sogar, daß dies dann ein gesteigertes, ein höher ent¬
wickeltes sein werde — jedenfalls die Zuversicht auf den Beginn eines solchen.

„Trübsel'ger Freund!" ruft er zwar den aufsteigenden Mond an. Er
vergleicht sein schon entseeltes Rund mit seinem eignen unzulänglichen, zum
Wegwerfen ihm reif scheinenden Dasein, und doch möchte er in seinem lieben
Lichte gehn, in seinem Thau gesund sich baden, er fühlt es, daß die Mond¬
strahlen, welche in seine Zelle dringen, von einem ewigen Lichte ausgehen, durch
seinen „trübseligen Freund" nur vermittelt werden und durch andre Monde
vermittelt werden müssen, wenn die Kraft des jetzigen zu Ende geht! Im Ur¬
lichte möchte er sich sonnen, im Urthau sich baden.

Licht des Himmels, du leuchtest ewig! Thau des Mondes, du träufelst
immerdar! Ewig werden Welten dasein als eure Träger und Vermittler, und
ewig auf ihnen Wesen entstehen und vergehen, die sich in euch bespiegeln, in
euch baden! Und der Geist, der dies mit Bewußtsein genießt, wird ewig ein
Teil sein des großen Weltengeistes, der alles durchdringt, sich offenbarend in
unendlich vielen Funken, zeitlich und räumlich!

Was der Dichter sang in einer der geistbewegtesten Stunden, die er je
gehabt haben mag:


Nacht ist schon hereingesunken,
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern in dem See sich spiegelnd,
Glänzen oben klarer Nacht;
Tiefsten Ruhms Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Prachtl

(Faust II, 1)

das wird mit wechselnden Worten in Ewigkeiten fortgesungen werden zu
immer neuen, aus demselben Stoff gewirkten Weltlichtern, und der Geist, der
die Sänger treiben wird, zum alten und ewig neuen Lied in die Harfe zu greifen,
wird ewig derselbe sein, der auch in unsern Körpern einst seine Heimstätte auf¬
geschlagen hatte. Wir sind, um zu sein. Wir werden aufhören zu sein, was
wir sind, aber niemals aufhören zu sein!




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[0523] Im Mondschein mit Goethe. O könnt' ich doch auf Bergeshöhen In deinem lieben Lichte gehen, Um Bergeshöhle mit Geistern schweben, Auf Wiesen in deinem Dämmer weben, Von allem Wissensqualm entladen In deinem Thau gesund mich baden! (Faust I, 1.) Schon mit diesen Worten spricht er deutlich die Sehnsucht nach dem Auf¬ hören seines irdischen Lebens aus, den Wunsch nach dem Beginn eines andern Daseins, die Hoffnung sogar, daß dies dann ein gesteigertes, ein höher ent¬ wickeltes sein werde — jedenfalls die Zuversicht auf den Beginn eines solchen. „Trübsel'ger Freund!" ruft er zwar den aufsteigenden Mond an. Er vergleicht sein schon entseeltes Rund mit seinem eignen unzulänglichen, zum Wegwerfen ihm reif scheinenden Dasein, und doch möchte er in seinem lieben Lichte gehn, in seinem Thau gesund sich baden, er fühlt es, daß die Mond¬ strahlen, welche in seine Zelle dringen, von einem ewigen Lichte ausgehen, durch seinen „trübseligen Freund" nur vermittelt werden und durch andre Monde vermittelt werden müssen, wenn die Kraft des jetzigen zu Ende geht! Im Ur¬ lichte möchte er sich sonnen, im Urthau sich baden. Licht des Himmels, du leuchtest ewig! Thau des Mondes, du träufelst immerdar! Ewig werden Welten dasein als eure Träger und Vermittler, und ewig auf ihnen Wesen entstehen und vergehen, die sich in euch bespiegeln, in euch baden! Und der Geist, der dies mit Bewußtsein genießt, wird ewig ein Teil sein des großen Weltengeistes, der alles durchdringt, sich offenbarend in unendlich vielen Funken, zeitlich und räumlich! Was der Dichter sang in einer der geistbewegtesten Stunden, die er je gehabt haben mag: Nacht ist schon hereingesunken, Schließt sich heilig Stern an Stern, Große Lichter, kleine Funken Glitzern nah und glänzen fern; Glitzern in dem See sich spiegelnd, Glänzen oben klarer Nacht; Tiefsten Ruhms Glück besiegelnd Herrscht des Mondes volle Prachtl (Faust II, 1) das wird mit wechselnden Worten in Ewigkeiten fortgesungen werden zu immer neuen, aus demselben Stoff gewirkten Weltlichtern, und der Geist, der die Sänger treiben wird, zum alten und ewig neuen Lied in die Harfe zu greifen, wird ewig derselbe sein, der auch in unsern Körpern einst seine Heimstätte auf¬ geschlagen hatte. Wir sind, um zu sein. Wir werden aufhören zu sein, was wir sind, aber niemals aufhören zu sein!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/523>, abgerufen am 16.05.2024.