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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

wird auch andre damit zu trösten wissen. Sie steht draußen im Hofe, denn
sie hat geschworen, kein Obdach anzunehmen, ehe nicht ihre Seele von der Last
befreit ist.

Ihn scharf beobachtend, trat der Geistliche zur Seite und lud David mit
einer Handbewegung ein, in den Hof zu gehen, auf dem sich zwei dunkle Ge¬
stalten von dem lichten Schnee abhoben.

Mit wenigen Schritten war David bei ihnen. Die Gesichter mit Tüchern
gegen die Kälte verwahrt, standen sie bewegungslos an einander gelehnt da.
Als er ganz nahe war, hob die eine das verhüllende Tuch vom Kopfe. David
taumelte zurück.

David! Sohn meines Herzens! Ich komme, um dich zu segnen! rief Rebekka
und streckte die zitternden Hände nach ihm aus. Sage, daß du mir verzeihst,
daß sich dein Herz mir wieder zuwenden will!

Meine Mutter, meine Mutter! Du kommst zu mir! David stürzte zu ihren
Füßen nieder, lachend, weinend, leidenschaftlich ihre Hände küssend und an sein
Herz pressend.

Alles war still, die Sonne glitzerte auf dem Schnee und in den Eiszapfen,
die vom Dache des Pfarrhauses hingen. Da legte Rebekka ihre Hand auf sein
Haupt und sagte laut und feierlich: Der allmächtige Gott möge dich segnen!
Er möge all dein Leid in Freude Verkehren, deine Füße stetig auf den Pfaden
des Friedens wandeln lassen, auf daß eitel Glück um dich sei!

David breitete die Arme aus und zog sie in eine lange, stumme Umarmung.

Jetzt kann ich wieder leben, sagte David, indem er sich aufrichtete und
mit leuchtenden Augen auf seine Mutter sah. Aber, o Mutter, wie hast du
von mir gehört, wer hat dir von mir gesagt?

Die Tochter des Karaiten kam zu mir, als ich dich für tot betrauerte, und
sie löste meine Seele aus dem Thale des Todes, wo sie in schwerem Leide lind
tiefem Kummer gefangen war.

Jeschka? rief David, voll Staunen. Deshalb sah ich sie so lange nicht, und
ich glaubte, auch sie habe sich von mir gewandt. Sie hat mehr für mich ge¬
than, als ich ihr je vergelten kann. Wo ist sie, daß ich ihr sage, daß sie mir
das Leben zurück gegeben hat?

Sie ist hier; doch bleibe noch, David, mein Sohn, daß ich dir noch sage,
was auf meiner Seele liegt. Ich habe einst gegen dich gesündigt, als ich dich
mit Bitten und Thränen überredete, ein ungeliebtes Weib an dein Herz, in
dein Haus zu nehmen. David! Ich komme, um dir zu sagen: du bist frei!
Dein Weib ist tot!

Salome tot?

David senkte das Haupt, und eine Flut von Gedanken, bittern Erinnerungen
und Vorwürfen, wie Versuche", milde zu urteilen, ihrer verzeihend zu gedenken,
erfüllte ihn.


David Beronski.

wird auch andre damit zu trösten wissen. Sie steht draußen im Hofe, denn
sie hat geschworen, kein Obdach anzunehmen, ehe nicht ihre Seele von der Last
befreit ist.

Ihn scharf beobachtend, trat der Geistliche zur Seite und lud David mit
einer Handbewegung ein, in den Hof zu gehen, auf dem sich zwei dunkle Ge¬
stalten von dem lichten Schnee abhoben.

Mit wenigen Schritten war David bei ihnen. Die Gesichter mit Tüchern
gegen die Kälte verwahrt, standen sie bewegungslos an einander gelehnt da.
Als er ganz nahe war, hob die eine das verhüllende Tuch vom Kopfe. David
taumelte zurück.

David! Sohn meines Herzens! Ich komme, um dich zu segnen! rief Rebekka
und streckte die zitternden Hände nach ihm aus. Sage, daß du mir verzeihst,
daß sich dein Herz mir wieder zuwenden will!

Meine Mutter, meine Mutter! Du kommst zu mir! David stürzte zu ihren
Füßen nieder, lachend, weinend, leidenschaftlich ihre Hände küssend und an sein
Herz pressend.

Alles war still, die Sonne glitzerte auf dem Schnee und in den Eiszapfen,
die vom Dache des Pfarrhauses hingen. Da legte Rebekka ihre Hand auf sein
Haupt und sagte laut und feierlich: Der allmächtige Gott möge dich segnen!
Er möge all dein Leid in Freude Verkehren, deine Füße stetig auf den Pfaden
des Friedens wandeln lassen, auf daß eitel Glück um dich sei!

David breitete die Arme aus und zog sie in eine lange, stumme Umarmung.

Jetzt kann ich wieder leben, sagte David, indem er sich aufrichtete und
mit leuchtenden Augen auf seine Mutter sah. Aber, o Mutter, wie hast du
von mir gehört, wer hat dir von mir gesagt?

Die Tochter des Karaiten kam zu mir, als ich dich für tot betrauerte, und
sie löste meine Seele aus dem Thale des Todes, wo sie in schwerem Leide lind
tiefem Kummer gefangen war.

Jeschka? rief David, voll Staunen. Deshalb sah ich sie so lange nicht, und
ich glaubte, auch sie habe sich von mir gewandt. Sie hat mehr für mich ge¬
than, als ich ihr je vergelten kann. Wo ist sie, daß ich ihr sage, daß sie mir
das Leben zurück gegeben hat?

Sie ist hier; doch bleibe noch, David, mein Sohn, daß ich dir noch sage,
was auf meiner Seele liegt. Ich habe einst gegen dich gesündigt, als ich dich
mit Bitten und Thränen überredete, ein ungeliebtes Weib an dein Herz, in
dein Haus zu nehmen. David! Ich komme, um dir zu sagen: du bist frei!
Dein Weib ist tot!

Salome tot?

David senkte das Haupt, und eine Flut von Gedanken, bittern Erinnerungen
und Vorwürfen, wie Versuche», milde zu urteilen, ihrer verzeihend zu gedenken,
erfüllte ihn.


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[0525] David Beronski. wird auch andre damit zu trösten wissen. Sie steht draußen im Hofe, denn sie hat geschworen, kein Obdach anzunehmen, ehe nicht ihre Seele von der Last befreit ist. Ihn scharf beobachtend, trat der Geistliche zur Seite und lud David mit einer Handbewegung ein, in den Hof zu gehen, auf dem sich zwei dunkle Ge¬ stalten von dem lichten Schnee abhoben. Mit wenigen Schritten war David bei ihnen. Die Gesichter mit Tüchern gegen die Kälte verwahrt, standen sie bewegungslos an einander gelehnt da. Als er ganz nahe war, hob die eine das verhüllende Tuch vom Kopfe. David taumelte zurück. David! Sohn meines Herzens! Ich komme, um dich zu segnen! rief Rebekka und streckte die zitternden Hände nach ihm aus. Sage, daß du mir verzeihst, daß sich dein Herz mir wieder zuwenden will! Meine Mutter, meine Mutter! Du kommst zu mir! David stürzte zu ihren Füßen nieder, lachend, weinend, leidenschaftlich ihre Hände küssend und an sein Herz pressend. Alles war still, die Sonne glitzerte auf dem Schnee und in den Eiszapfen, die vom Dache des Pfarrhauses hingen. Da legte Rebekka ihre Hand auf sein Haupt und sagte laut und feierlich: Der allmächtige Gott möge dich segnen! Er möge all dein Leid in Freude Verkehren, deine Füße stetig auf den Pfaden des Friedens wandeln lassen, auf daß eitel Glück um dich sei! David breitete die Arme aus und zog sie in eine lange, stumme Umarmung. Jetzt kann ich wieder leben, sagte David, indem er sich aufrichtete und mit leuchtenden Augen auf seine Mutter sah. Aber, o Mutter, wie hast du von mir gehört, wer hat dir von mir gesagt? Die Tochter des Karaiten kam zu mir, als ich dich für tot betrauerte, und sie löste meine Seele aus dem Thale des Todes, wo sie in schwerem Leide lind tiefem Kummer gefangen war. Jeschka? rief David, voll Staunen. Deshalb sah ich sie so lange nicht, und ich glaubte, auch sie habe sich von mir gewandt. Sie hat mehr für mich ge¬ than, als ich ihr je vergelten kann. Wo ist sie, daß ich ihr sage, daß sie mir das Leben zurück gegeben hat? Sie ist hier; doch bleibe noch, David, mein Sohn, daß ich dir noch sage, was auf meiner Seele liegt. Ich habe einst gegen dich gesündigt, als ich dich mit Bitten und Thränen überredete, ein ungeliebtes Weib an dein Herz, in dein Haus zu nehmen. David! Ich komme, um dir zu sagen: du bist frei! Dein Weib ist tot! Salome tot? David senkte das Haupt, und eine Flut von Gedanken, bittern Erinnerungen und Vorwürfen, wie Versuche», milde zu urteilen, ihrer verzeihend zu gedenken, erfüllte ihn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/525>, abgerufen am 22.05.2024.