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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Getreu bis in den Tod.

Urgroßväter -- sie waren in unsern Angen in dem Kaiser Wilhelm verkörpert,
der als jugendlicher Prinz unter Scharnhorst, Gneisenau und Blücher die Siege
in Frankreich mit erkämpft hat. Und als es galt, die schweren Wunden zu
heilen, welche die lange Fremdherrschaft und die blutigen Kriege dem kleinen
Preußenlande geschlagen hatten, da saß Prinz Wilhelm in dem Staatsrate und
arbeitete mit jenen Männern, die, statt in den hohlen Phrasen des Rotteckschen
Liberalismus das Staatsideal zu suchen, in ernster Thätigkeit die Organisation für
die neue Erwerbsgesellschaft schufen, Ackerbau und Handel förderten und in der
Errichtung des Zollvereins den ersten Grundstein zu dem künftigen Bau eines
deutschen Reiches legten. Es war eine lange und harte Lehrzeit, die der ver¬
storbene Kaiser durchzumachen hatte; die große Sparsamkeit, welche an dem Hofe
Friedrich Wilhelms III. im Hinblick auf die schlechte Finanzlage des Staates
herrschte, ließ Üppigkeit und Genuß, die an sich der einfachen Natur des Königs¬
sohnes widerstrebten, nicht aufkommen. Seine ernste und schlichte Natur wandte
sich mit ausgesprochener Vorliebe dem militärischen Berufe zu, dem er mit einem
solchen Eifer oblag, daß er in allen Dingen, den kleinen wie den großen, des
Heerwesens sachkundig und erfahren wurde. Mit um so größerer Teilnahme
verfolgte er diesen Beruf, je weniger er nach der Thronbesteigung seines von ihm
vielgeliebten Bruders mit seinem scharfen und nüchternen Verstände dem roman¬
tischen Fluge des königlichen Schwärmers zu folgen gewillt war. Der Prinz
von Preußen sah, während er die Armee zu einem Grundpfeiler des Staates
umformte, den Staat in den abgelebten Formen des polizeilichen Büreau-
kratismus erstarren und die Wolken der Revolution Heraufziehen, welche das
Reich und Preußen an den Abgrund brachten. In jenen Zeiten, wo die Befehle
eines von den besten Absichten beseelten Königs durch ihre Hast und ihren Wider¬
spruch zu Unordnung und Unruhe führten, wo das Beamtentum sich charakter¬
los und der Hof mit dem Monarchen sich so schwach zeigte, der Revolution
Zugeständnisse zu machen, stand der Prinz von Preußen in festem Willen den
Strömungen der öffentlichen Meinung gegenüber und rettete wenigstens den
letzten Nest staatlichen Ansehens. Niemals trat er dem königlichen Bruder
gegenüber in den Vordergrund, immer war er nur sein erster und sein treuester
Diener, immer nur bedacht, das zu erfüllen, was Pflicht und Ehre dem Diener
des Staats und Königs geboten. Daher kam es, daß der Prinz von Preußen
niemals ein Parteimann war, sich nie, wie sein Bruder, hinreißen ließ, eine Partei
zu begünstigen oder zu verfolgen, er stand über den Parteien, und für ihn war
alles das Vaterland: otcDpos "^t<?roh "^ve^^ete ?re^t

So gereift, mit reichen Erfahrungen ausgerüstet, übernahm König Wilhelm
zuerst die Regentschaft und dann die königliche Würde in Preußen. Ihm jubelten
alle Herzen zu, als er das Parteiregiment der Reaktion verbannte und ein ver¬
fassungmäßiges Regiment einführte. Aber diejenigen hatten sich geirrt, die da
glaubten, daß König Wilhelm auch nur ein Titelchen seiner königlichen Herr-


Getreu bis in den Tod.

Urgroßväter — sie waren in unsern Angen in dem Kaiser Wilhelm verkörpert,
der als jugendlicher Prinz unter Scharnhorst, Gneisenau und Blücher die Siege
in Frankreich mit erkämpft hat. Und als es galt, die schweren Wunden zu
heilen, welche die lange Fremdherrschaft und die blutigen Kriege dem kleinen
Preußenlande geschlagen hatten, da saß Prinz Wilhelm in dem Staatsrate und
arbeitete mit jenen Männern, die, statt in den hohlen Phrasen des Rotteckschen
Liberalismus das Staatsideal zu suchen, in ernster Thätigkeit die Organisation für
die neue Erwerbsgesellschaft schufen, Ackerbau und Handel förderten und in der
Errichtung des Zollvereins den ersten Grundstein zu dem künftigen Bau eines
deutschen Reiches legten. Es war eine lange und harte Lehrzeit, die der ver¬
storbene Kaiser durchzumachen hatte; die große Sparsamkeit, welche an dem Hofe
Friedrich Wilhelms III. im Hinblick auf die schlechte Finanzlage des Staates
herrschte, ließ Üppigkeit und Genuß, die an sich der einfachen Natur des Königs¬
sohnes widerstrebten, nicht aufkommen. Seine ernste und schlichte Natur wandte
sich mit ausgesprochener Vorliebe dem militärischen Berufe zu, dem er mit einem
solchen Eifer oblag, daß er in allen Dingen, den kleinen wie den großen, des
Heerwesens sachkundig und erfahren wurde. Mit um so größerer Teilnahme
verfolgte er diesen Beruf, je weniger er nach der Thronbesteigung seines von ihm
vielgeliebten Bruders mit seinem scharfen und nüchternen Verstände dem roman¬
tischen Fluge des königlichen Schwärmers zu folgen gewillt war. Der Prinz
von Preußen sah, während er die Armee zu einem Grundpfeiler des Staates
umformte, den Staat in den abgelebten Formen des polizeilichen Büreau-
kratismus erstarren und die Wolken der Revolution Heraufziehen, welche das
Reich und Preußen an den Abgrund brachten. In jenen Zeiten, wo die Befehle
eines von den besten Absichten beseelten Königs durch ihre Hast und ihren Wider¬
spruch zu Unordnung und Unruhe führten, wo das Beamtentum sich charakter¬
los und der Hof mit dem Monarchen sich so schwach zeigte, der Revolution
Zugeständnisse zu machen, stand der Prinz von Preußen in festem Willen den
Strömungen der öffentlichen Meinung gegenüber und rettete wenigstens den
letzten Nest staatlichen Ansehens. Niemals trat er dem königlichen Bruder
gegenüber in den Vordergrund, immer war er nur sein erster und sein treuester
Diener, immer nur bedacht, das zu erfüllen, was Pflicht und Ehre dem Diener
des Staats und Königs geboten. Daher kam es, daß der Prinz von Preußen
niemals ein Parteimann war, sich nie, wie sein Bruder, hinreißen ließ, eine Partei
zu begünstigen oder zu verfolgen, er stand über den Parteien, und für ihn war
alles das Vaterland: otcDpos «^t<?roh «^ve^^ete ?re^t

So gereift, mit reichen Erfahrungen ausgerüstet, übernahm König Wilhelm
zuerst die Regentschaft und dann die königliche Würde in Preußen. Ihm jubelten
alle Herzen zu, als er das Parteiregiment der Reaktion verbannte und ein ver¬
fassungmäßiges Regiment einführte. Aber diejenigen hatten sich geirrt, die da
glaubten, daß König Wilhelm auch nur ein Titelchen seiner königlichen Herr-


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[0578] Getreu bis in den Tod. Urgroßväter — sie waren in unsern Angen in dem Kaiser Wilhelm verkörpert, der als jugendlicher Prinz unter Scharnhorst, Gneisenau und Blücher die Siege in Frankreich mit erkämpft hat. Und als es galt, die schweren Wunden zu heilen, welche die lange Fremdherrschaft und die blutigen Kriege dem kleinen Preußenlande geschlagen hatten, da saß Prinz Wilhelm in dem Staatsrate und arbeitete mit jenen Männern, die, statt in den hohlen Phrasen des Rotteckschen Liberalismus das Staatsideal zu suchen, in ernster Thätigkeit die Organisation für die neue Erwerbsgesellschaft schufen, Ackerbau und Handel förderten und in der Errichtung des Zollvereins den ersten Grundstein zu dem künftigen Bau eines deutschen Reiches legten. Es war eine lange und harte Lehrzeit, die der ver¬ storbene Kaiser durchzumachen hatte; die große Sparsamkeit, welche an dem Hofe Friedrich Wilhelms III. im Hinblick auf die schlechte Finanzlage des Staates herrschte, ließ Üppigkeit und Genuß, die an sich der einfachen Natur des Königs¬ sohnes widerstrebten, nicht aufkommen. Seine ernste und schlichte Natur wandte sich mit ausgesprochener Vorliebe dem militärischen Berufe zu, dem er mit einem solchen Eifer oblag, daß er in allen Dingen, den kleinen wie den großen, des Heerwesens sachkundig und erfahren wurde. Mit um so größerer Teilnahme verfolgte er diesen Beruf, je weniger er nach der Thronbesteigung seines von ihm vielgeliebten Bruders mit seinem scharfen und nüchternen Verstände dem roman¬ tischen Fluge des königlichen Schwärmers zu folgen gewillt war. Der Prinz von Preußen sah, während er die Armee zu einem Grundpfeiler des Staates umformte, den Staat in den abgelebten Formen des polizeilichen Büreau- kratismus erstarren und die Wolken der Revolution Heraufziehen, welche das Reich und Preußen an den Abgrund brachten. In jenen Zeiten, wo die Befehle eines von den besten Absichten beseelten Königs durch ihre Hast und ihren Wider¬ spruch zu Unordnung und Unruhe führten, wo das Beamtentum sich charakter¬ los und der Hof mit dem Monarchen sich so schwach zeigte, der Revolution Zugeständnisse zu machen, stand der Prinz von Preußen in festem Willen den Strömungen der öffentlichen Meinung gegenüber und rettete wenigstens den letzten Nest staatlichen Ansehens. Niemals trat er dem königlichen Bruder gegenüber in den Vordergrund, immer war er nur sein erster und sein treuester Diener, immer nur bedacht, das zu erfüllen, was Pflicht und Ehre dem Diener des Staats und Königs geboten. Daher kam es, daß der Prinz von Preußen niemals ein Parteimann war, sich nie, wie sein Bruder, hinreißen ließ, eine Partei zu begünstigen oder zu verfolgen, er stand über den Parteien, und für ihn war alles das Vaterland: otcDpos «^t<?roh «^ve^^ete ?re^t So gereift, mit reichen Erfahrungen ausgerüstet, übernahm König Wilhelm zuerst die Regentschaft und dann die königliche Würde in Preußen. Ihm jubelten alle Herzen zu, als er das Parteiregiment der Reaktion verbannte und ein ver¬ fassungmäßiges Regiment einführte. Aber diejenigen hatten sich geirrt, die da glaubten, daß König Wilhelm auch nur ein Titelchen seiner königlichen Herr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/578>, abgerufen am 16.05.2024.