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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Getreu bis in den Tod.

knüpft sein. Noch in späten Jahrzehnten wird man das Andenken dieses Kaisers
segnen, wenn die von ihm ausgestreute Saat die Früchte getragen haben wird,
die er selbst nicht mehr hat ernten können, für die er aber selbstlos und weit¬
sehend die Keime legte.

Fragt man sich nach den Eigenschaften, welche diesen Kaiser so geliebt und
so groß gemacht haben, so kann man nur sagen, daß man es mit einer har¬
monischen Natur zu thun habe, in der alle Kräfte des Geistes und des Herzens
in reinster und herrlichster Mischung sich befanden. Zwei Eigenschaften aber
waren es, welche den verstorbenen Kaiser vor allen auszeichneten: sein Takt
und seine Pflichttreue. Jeder, der das Glück hatte, mit Kaiser Wilhelm nur
einmal in Berührung zu kommen, war von seinem Wesen entzückt; stets war er
sich seiner königlichen Würde bewußt, aber immer leutselig und gütig. Er ver¬
stand es, den Einzelnen nach seinem eignen Wesen zu nehmen, und jeder hatte die
Empfindung, daß es dem königlichen Herzen ein Bedürfnis war, dem andern
Freude zu machen. Von schlichtem, aber scharfem Verstände, war Kaiser Wilhelm
zum Regieren berufen; wie er durch eine Zeit, die sonst das Ziel eines Menschen¬
lebens darstellt, zu gehorchen gelernt hatte, so verstand er zu befehlen und König
zu sein. Er hatte ein königliches Auge, sich seine Räte und Diener auszusuchen,
aber er hat sich auch dem Reichskanzler nicht untergeordnet. Und daß er so
herrschen und so wirken konnte, das war die Folge seiner Pflichttreue; er fühlte
sich zu seiner königlichen und kaiserlichen Würde gleichsam befohlen, für ihn war
das Kaiser- und Königtum kein Genuß -- durch Anspruchslosigkeit und Einfachheit
der Lebensweise stand er vielen seiner Unterthanen nach --, für Kaiser Wilhelm
war das Herrscheramt eine Pflicht, ein ihm von Staats wegen auferlegter Dienst,
dem er oblag, so lange noch ein Atemzug in seinem Herzen war. Wie viele
rührende Geschichten sind bezeugt, aus denen hervorgeht, wie nicht Krankheit
noch Alter den König von seiner Arbeitsstrenge zurückhalten konnten, alles war
für ihn das Reich und der Staat, und alle seine innigsten Beziehungen zu
Angehörigen und Freunden liefen immer nur nach dem einen Mittelpunkte, dem
öffentlichen Wohle. Noch auf dem Sterbelager gönnte sich der greise Monarch
keine Ruhe, sondern erörterte mit dem Enkel und dem Reichskanzler verschiedene
ernste Fragen, und seine Fieborphantasien bewegten sich um die Aufrechterhaltung
des Friedens.


So mischten sich
Die Element' in ihm, daß die Natur
Aufstehen konnte und der Welt verkünden:
Das war ein Mann.

Für die Nachwelt aber wird der Spruch: "Pflichtgetreu bis in den Tod"
ein hehres Beispiel finden in Kaiser Wilhelm.




Getreu bis in den Tod.

knüpft sein. Noch in späten Jahrzehnten wird man das Andenken dieses Kaisers
segnen, wenn die von ihm ausgestreute Saat die Früchte getragen haben wird,
die er selbst nicht mehr hat ernten können, für die er aber selbstlos und weit¬
sehend die Keime legte.

Fragt man sich nach den Eigenschaften, welche diesen Kaiser so geliebt und
so groß gemacht haben, so kann man nur sagen, daß man es mit einer har¬
monischen Natur zu thun habe, in der alle Kräfte des Geistes und des Herzens
in reinster und herrlichster Mischung sich befanden. Zwei Eigenschaften aber
waren es, welche den verstorbenen Kaiser vor allen auszeichneten: sein Takt
und seine Pflichttreue. Jeder, der das Glück hatte, mit Kaiser Wilhelm nur
einmal in Berührung zu kommen, war von seinem Wesen entzückt; stets war er
sich seiner königlichen Würde bewußt, aber immer leutselig und gütig. Er ver¬
stand es, den Einzelnen nach seinem eignen Wesen zu nehmen, und jeder hatte die
Empfindung, daß es dem königlichen Herzen ein Bedürfnis war, dem andern
Freude zu machen. Von schlichtem, aber scharfem Verstände, war Kaiser Wilhelm
zum Regieren berufen; wie er durch eine Zeit, die sonst das Ziel eines Menschen¬
lebens darstellt, zu gehorchen gelernt hatte, so verstand er zu befehlen und König
zu sein. Er hatte ein königliches Auge, sich seine Räte und Diener auszusuchen,
aber er hat sich auch dem Reichskanzler nicht untergeordnet. Und daß er so
herrschen und so wirken konnte, das war die Folge seiner Pflichttreue; er fühlte
sich zu seiner königlichen und kaiserlichen Würde gleichsam befohlen, für ihn war
das Kaiser- und Königtum kein Genuß — durch Anspruchslosigkeit und Einfachheit
der Lebensweise stand er vielen seiner Unterthanen nach —, für Kaiser Wilhelm
war das Herrscheramt eine Pflicht, ein ihm von Staats wegen auferlegter Dienst,
dem er oblag, so lange noch ein Atemzug in seinem Herzen war. Wie viele
rührende Geschichten sind bezeugt, aus denen hervorgeht, wie nicht Krankheit
noch Alter den König von seiner Arbeitsstrenge zurückhalten konnten, alles war
für ihn das Reich und der Staat, und alle seine innigsten Beziehungen zu
Angehörigen und Freunden liefen immer nur nach dem einen Mittelpunkte, dem
öffentlichen Wohle. Noch auf dem Sterbelager gönnte sich der greise Monarch
keine Ruhe, sondern erörterte mit dem Enkel und dem Reichskanzler verschiedene
ernste Fragen, und seine Fieborphantasien bewegten sich um die Aufrechterhaltung
des Friedens.


So mischten sich
Die Element' in ihm, daß die Natur
Aufstehen konnte und der Welt verkünden:
Das war ein Mann.

Für die Nachwelt aber wird der Spruch: „Pflichtgetreu bis in den Tod"
ein hehres Beispiel finden in Kaiser Wilhelm.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/580>, abgerufen am 15.05.2024.