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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Das neue Gesetz über die Schutzgcbicle,

In der Kommission traten zwei Strömungen auf> Das Zentrum verlangte
die Mitwirkung von Bundesrat und Reichstag in allen wesentlichen Fällen,
stellte verschiedne Grundrechte, den Schutz des Eigentums, der persönlichen
Freiheit und der freien Kultusübung auf und wollte von der kaiserlichen Gewalt
nicht viel wissen. Ernst gemeint war von allen diesen Zentrumsvorschlägen
offenbar nur die Kultusfreiheit, die nach dem Wortlaut der Kongoakte auf die
Schutzgebiete ausgedehnt werden sollte. Zwar dachte die Negierung gar nicht
daran, diese Freiheit zu beschränken, aber weil sie französische Jesuiten nicht hatte
zulassen wollen und der Reichskanzler das noch besonders im Reichstage aus¬
gesprochen hatte, setzte das Zentrum sein möglichstes daran, den Fürsten Bismarck
unter das kaudinische Joch zu zwingen und den Anfang mit einer Rückkehr
der Jesuiten über die Schutzgebiete in das Reich zu machen. Hätte die Regierung
die Kongoakte bewilligt, dann hätte anch das Zentrum alle bundesratsfreundlichen
und verfassungstreuen Bedenken aufgegeben und die kaiserliche Vollmacht nach
dem Wunsche der Negierung erweitert.

Die zweite Strömung war die fortschrittliche, welche erklärte, daß ihr zwar
die Schutzgebiete und deren einheimische Bevölkerung ganz gleichgiltig seien, daß
sie aber verlangen müsse, daß den deutschen Neichsangehörigen und den Ange¬
hörigen zivilisirter Staaten derselbe Rechtsschutz in den Kolonien wie in den
Konsulargerichtsbezirken (Türkei, Persien, China) gewährt werde. Da die Re-
gierungsvertreter erklären konnten, daß die Regierung gar keine schwarzen Pläne
im Schilde führe und in der That nichts andres beabsichtige, als das Gesetz
über die Konsulargerichtsbarkeit zur wesentlichen Grundlage für die Rechtsver¬
hältnisse der Schutzgebiete zu machen, soweit nicht nach Lage der dortigen Kultur
eine Abweichung erforderlich sei, so gelang es den rastlosen Bemühungen des
verdienstvollen Abgeordneten Dr. Meyer (Jena), eine Verständigung herbeizu¬
führen, die zu dem Gesetze vom 17. April 1886 führte.

Der Schwerpunkt dieses Gesetzes liegt in dem Z 1, welcher die Schutz¬
gewalt, d. h. die in dem Schutzgebiete geltende oberste Souveränität dem Kaiser
zuschreibt. Mit diesem Satze ist die kaiserliche Gewalt wie ein roonsr as bronos
auch in den Kolonien aufgerichtet und dem Kaiser die Möglichkeit gegeben, hin¬
sichtlich der Eingebornen nach allen Richtungen und bezüglich des ganzen Ge¬
bietes der Verwaltung auch hinsichtlich der Europäer nach freiem Ermessen Ein¬
richtungen und Verfügungen aller Art zu treffen. Was dagegen die Einrichtung
der Rechtspflege anbetrifft, so hatte die Kommission und nach ihren Anträgen
das Gesetz von 1886 eine Reihe von Kautelen aufgestellt, deren Beobachtung
nach freisinnigen Anschauungen für die Rechtssicherheit der Gerichtseingesessenen
notwendig sein sollte. So war für alle Fälle die Zuziehung von Beisitzern für
die Gerichte vorgeschrieben, so konnte als Berufungsgericht nicht ein solches
innerhalb der Schutzgebiete bestellt werden, so mußten alle Schwurgerichtsfälle
in Deutschland abgeurteilt werden, sofern es nicht möglich war, in dem Schutz-


Das neue Gesetz über die Schutzgcbicle,

In der Kommission traten zwei Strömungen auf> Das Zentrum verlangte
die Mitwirkung von Bundesrat und Reichstag in allen wesentlichen Fällen,
stellte verschiedne Grundrechte, den Schutz des Eigentums, der persönlichen
Freiheit und der freien Kultusübung auf und wollte von der kaiserlichen Gewalt
nicht viel wissen. Ernst gemeint war von allen diesen Zentrumsvorschlägen
offenbar nur die Kultusfreiheit, die nach dem Wortlaut der Kongoakte auf die
Schutzgebiete ausgedehnt werden sollte. Zwar dachte die Negierung gar nicht
daran, diese Freiheit zu beschränken, aber weil sie französische Jesuiten nicht hatte
zulassen wollen und der Reichskanzler das noch besonders im Reichstage aus¬
gesprochen hatte, setzte das Zentrum sein möglichstes daran, den Fürsten Bismarck
unter das kaudinische Joch zu zwingen und den Anfang mit einer Rückkehr
der Jesuiten über die Schutzgebiete in das Reich zu machen. Hätte die Regierung
die Kongoakte bewilligt, dann hätte anch das Zentrum alle bundesratsfreundlichen
und verfassungstreuen Bedenken aufgegeben und die kaiserliche Vollmacht nach
dem Wunsche der Negierung erweitert.

Die zweite Strömung war die fortschrittliche, welche erklärte, daß ihr zwar
die Schutzgebiete und deren einheimische Bevölkerung ganz gleichgiltig seien, daß
sie aber verlangen müsse, daß den deutschen Neichsangehörigen und den Ange¬
hörigen zivilisirter Staaten derselbe Rechtsschutz in den Kolonien wie in den
Konsulargerichtsbezirken (Türkei, Persien, China) gewährt werde. Da die Re-
gierungsvertreter erklären konnten, daß die Regierung gar keine schwarzen Pläne
im Schilde führe und in der That nichts andres beabsichtige, als das Gesetz
über die Konsulargerichtsbarkeit zur wesentlichen Grundlage für die Rechtsver¬
hältnisse der Schutzgebiete zu machen, soweit nicht nach Lage der dortigen Kultur
eine Abweichung erforderlich sei, so gelang es den rastlosen Bemühungen des
verdienstvollen Abgeordneten Dr. Meyer (Jena), eine Verständigung herbeizu¬
führen, die zu dem Gesetze vom 17. April 1886 führte.

Der Schwerpunkt dieses Gesetzes liegt in dem Z 1, welcher die Schutz¬
gewalt, d. h. die in dem Schutzgebiete geltende oberste Souveränität dem Kaiser
zuschreibt. Mit diesem Satze ist die kaiserliche Gewalt wie ein roonsr as bronos
auch in den Kolonien aufgerichtet und dem Kaiser die Möglichkeit gegeben, hin¬
sichtlich der Eingebornen nach allen Richtungen und bezüglich des ganzen Ge¬
bietes der Verwaltung auch hinsichtlich der Europäer nach freiem Ermessen Ein¬
richtungen und Verfügungen aller Art zu treffen. Was dagegen die Einrichtung
der Rechtspflege anbetrifft, so hatte die Kommission und nach ihren Anträgen
das Gesetz von 1886 eine Reihe von Kautelen aufgestellt, deren Beobachtung
nach freisinnigen Anschauungen für die Rechtssicherheit der Gerichtseingesessenen
notwendig sein sollte. So war für alle Fälle die Zuziehung von Beisitzern für
die Gerichte vorgeschrieben, so konnte als Berufungsgericht nicht ein solches
innerhalb der Schutzgebiete bestellt werden, so mußten alle Schwurgerichtsfälle
in Deutschland abgeurteilt werden, sofern es nicht möglich war, in dem Schutz-


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[0582] Das neue Gesetz über die Schutzgcbicle, In der Kommission traten zwei Strömungen auf> Das Zentrum verlangte die Mitwirkung von Bundesrat und Reichstag in allen wesentlichen Fällen, stellte verschiedne Grundrechte, den Schutz des Eigentums, der persönlichen Freiheit und der freien Kultusübung auf und wollte von der kaiserlichen Gewalt nicht viel wissen. Ernst gemeint war von allen diesen Zentrumsvorschlägen offenbar nur die Kultusfreiheit, die nach dem Wortlaut der Kongoakte auf die Schutzgebiete ausgedehnt werden sollte. Zwar dachte die Negierung gar nicht daran, diese Freiheit zu beschränken, aber weil sie französische Jesuiten nicht hatte zulassen wollen und der Reichskanzler das noch besonders im Reichstage aus¬ gesprochen hatte, setzte das Zentrum sein möglichstes daran, den Fürsten Bismarck unter das kaudinische Joch zu zwingen und den Anfang mit einer Rückkehr der Jesuiten über die Schutzgebiete in das Reich zu machen. Hätte die Regierung die Kongoakte bewilligt, dann hätte anch das Zentrum alle bundesratsfreundlichen und verfassungstreuen Bedenken aufgegeben und die kaiserliche Vollmacht nach dem Wunsche der Negierung erweitert. Die zweite Strömung war die fortschrittliche, welche erklärte, daß ihr zwar die Schutzgebiete und deren einheimische Bevölkerung ganz gleichgiltig seien, daß sie aber verlangen müsse, daß den deutschen Neichsangehörigen und den Ange¬ hörigen zivilisirter Staaten derselbe Rechtsschutz in den Kolonien wie in den Konsulargerichtsbezirken (Türkei, Persien, China) gewährt werde. Da die Re- gierungsvertreter erklären konnten, daß die Regierung gar keine schwarzen Pläne im Schilde führe und in der That nichts andres beabsichtige, als das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit zur wesentlichen Grundlage für die Rechtsver¬ hältnisse der Schutzgebiete zu machen, soweit nicht nach Lage der dortigen Kultur eine Abweichung erforderlich sei, so gelang es den rastlosen Bemühungen des verdienstvollen Abgeordneten Dr. Meyer (Jena), eine Verständigung herbeizu¬ führen, die zu dem Gesetze vom 17. April 1886 führte. Der Schwerpunkt dieses Gesetzes liegt in dem Z 1, welcher die Schutz¬ gewalt, d. h. die in dem Schutzgebiete geltende oberste Souveränität dem Kaiser zuschreibt. Mit diesem Satze ist die kaiserliche Gewalt wie ein roonsr as bronos auch in den Kolonien aufgerichtet und dem Kaiser die Möglichkeit gegeben, hin¬ sichtlich der Eingebornen nach allen Richtungen und bezüglich des ganzen Ge¬ bietes der Verwaltung auch hinsichtlich der Europäer nach freiem Ermessen Ein¬ richtungen und Verfügungen aller Art zu treffen. Was dagegen die Einrichtung der Rechtspflege anbetrifft, so hatte die Kommission und nach ihren Anträgen das Gesetz von 1886 eine Reihe von Kautelen aufgestellt, deren Beobachtung nach freisinnigen Anschauungen für die Rechtssicherheit der Gerichtseingesessenen notwendig sein sollte. So war für alle Fälle die Zuziehung von Beisitzern für die Gerichte vorgeschrieben, so konnte als Berufungsgericht nicht ein solches innerhalb der Schutzgebiete bestellt werden, so mußten alle Schwurgerichtsfälle in Deutschland abgeurteilt werden, sofern es nicht möglich war, in dem Schutz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/582>, abgerufen am 15.05.2024.