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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Rciisor Friedrich.

noch im verflossenen Herbst im fremden Lande vor seinem greisen Vater gestorben
wäre, als das gefährliche Übel, welches seinen Tod herbeigeführt hat, zum ersten
male die tötliche Axt an den königlichen Baum legte. Die Vorsehung hat es
anders bestimmt. Er, der Held und Sieger in Schlachten, dessen schöne, hünen¬
hafte Gestalt den Neid und die Bewunderung der Zeitgenossen erregt hatte,
war zu einem Märtyrer auf dem Throne bestimmt, zu einem Märtyrer, wie
ihn die Weltgeschichte noch niemals gekannt hat. Ausersehen für einen sichern
Tod in absehbarer kurzer Zeit, bestieg Kaiser Friedrich den Thron seines
Vaters. Ausgerüstet mit der großen Macht, die noch heute den preußischen
König und deutschen Kaiser vor allen Gewaltigen der Erde auszeichnet, war
er ein gebrochener, todeswunder Mann, als er in die Lage kam, von dieser
Macht Gebrauch zu machen. Er, der einem Reiche von mehr als vierzig
Millionen gebieten sollte und konnte, war ein hilfloser Kranker, der Sprache
beraubt und keinen Augenblick von dem schnell um sich greifenden Leiden ver¬
schont. Nicht die Phantasie eines Dante in ihrem kühnsten Fluge hätte die
Seelenqualen schildern können, welche diesem königlichen Dulder beschieden waren.
Wohl wäre es heilsamer für ihn gewesen, wenn er ohne die aufreibende Sorge
der Regierungsgeschäfte noch die wenigen ihm von Gott bestimmten Wochen
lediglich der Pflege seines siechen Körpers gewidmet hätte. Aber das den Hohen-
zollern als ihr schönstes Erbteil von den Vätern überkommene Pflichtgefühl hat
auch den sterbenden Herrscher vermocht, das schwere ihm zugefallene hohe Amt
auf sich zu nehmen. Nicht volle neunundneunzig Tage hat dieses Martyrium
auf dem Throne gedauert, während dessen Kaiser Friedrich alle Qualen des
Leibes und der Seele wie ein Held ertrug und jeden Augenblick, den er der
Krankheit und dem Tode abzuringen vermochte, dem Wohle seines Reiches wid¬
mete. Wer am eignen Leibe jemals erfahren hat, wie eine schwere Krank¬
heit auch deu Willen des Thatkräftigsten vernichtet, Mut und Stimmung den
wechselvollen Erscheinungen des Leidens unterjocht, der wird ein Verständnis für
das Opfer haben, das Kaiser Friedrich seinem Vaterlande gebracht hat. Und
wer ungläubig die Leiden der Märtyrer gelesen hat, die ein Teil der Welt
um ihrer Sündhaftigkeit willen als Heilige verehrt, der wird in Kaiser Friedrich
den Dulder erkennen, aus welchem die Legende vergangener Zeiten einen Hei¬
ligen gemacht haben würde. An einem solchen Grabe ziemt es sich nicht, die
Regierungshandlungen des Verblichenen einer Kritik zu unterziehen; schnell genug
wird uns die rauhe Wirklichkeit in den Kampf des Lebens ziehen, in welchem
die vorhandenen Gegensätze ihre Berechtigung geltend machen werden. An dem
Sarge des Kaisers Friedrich klagt das Volk, wie die Mutter an dem Sarge
ihres jungen Kindes klagt, um die schönen Hoffnungen und herrlichen Erwar¬
tungen, die mit ihm zu Grabe getragen werden. Denn nicht nach der Spanne
von Tagen, in der er als Erster dem deutschen Volke gebot, will und soll Mit-
und Nachwelt den Verstorbenen beurteilen. Das Mitleiden um den Dulder mit


Rciisor Friedrich.

noch im verflossenen Herbst im fremden Lande vor seinem greisen Vater gestorben
wäre, als das gefährliche Übel, welches seinen Tod herbeigeführt hat, zum ersten
male die tötliche Axt an den königlichen Baum legte. Die Vorsehung hat es
anders bestimmt. Er, der Held und Sieger in Schlachten, dessen schöne, hünen¬
hafte Gestalt den Neid und die Bewunderung der Zeitgenossen erregt hatte,
war zu einem Märtyrer auf dem Throne bestimmt, zu einem Märtyrer, wie
ihn die Weltgeschichte noch niemals gekannt hat. Ausersehen für einen sichern
Tod in absehbarer kurzer Zeit, bestieg Kaiser Friedrich den Thron seines
Vaters. Ausgerüstet mit der großen Macht, die noch heute den preußischen
König und deutschen Kaiser vor allen Gewaltigen der Erde auszeichnet, war
er ein gebrochener, todeswunder Mann, als er in die Lage kam, von dieser
Macht Gebrauch zu machen. Er, der einem Reiche von mehr als vierzig
Millionen gebieten sollte und konnte, war ein hilfloser Kranker, der Sprache
beraubt und keinen Augenblick von dem schnell um sich greifenden Leiden ver¬
schont. Nicht die Phantasie eines Dante in ihrem kühnsten Fluge hätte die
Seelenqualen schildern können, welche diesem königlichen Dulder beschieden waren.
Wohl wäre es heilsamer für ihn gewesen, wenn er ohne die aufreibende Sorge
der Regierungsgeschäfte noch die wenigen ihm von Gott bestimmten Wochen
lediglich der Pflege seines siechen Körpers gewidmet hätte. Aber das den Hohen-
zollern als ihr schönstes Erbteil von den Vätern überkommene Pflichtgefühl hat
auch den sterbenden Herrscher vermocht, das schwere ihm zugefallene hohe Amt
auf sich zu nehmen. Nicht volle neunundneunzig Tage hat dieses Martyrium
auf dem Throne gedauert, während dessen Kaiser Friedrich alle Qualen des
Leibes und der Seele wie ein Held ertrug und jeden Augenblick, den er der
Krankheit und dem Tode abzuringen vermochte, dem Wohle seines Reiches wid¬
mete. Wer am eignen Leibe jemals erfahren hat, wie eine schwere Krank¬
heit auch deu Willen des Thatkräftigsten vernichtet, Mut und Stimmung den
wechselvollen Erscheinungen des Leidens unterjocht, der wird ein Verständnis für
das Opfer haben, das Kaiser Friedrich seinem Vaterlande gebracht hat. Und
wer ungläubig die Leiden der Märtyrer gelesen hat, die ein Teil der Welt
um ihrer Sündhaftigkeit willen als Heilige verehrt, der wird in Kaiser Friedrich
den Dulder erkennen, aus welchem die Legende vergangener Zeiten einen Hei¬
ligen gemacht haben würde. An einem solchen Grabe ziemt es sich nicht, die
Regierungshandlungen des Verblichenen einer Kritik zu unterziehen; schnell genug
wird uns die rauhe Wirklichkeit in den Kampf des Lebens ziehen, in welchem
die vorhandenen Gegensätze ihre Berechtigung geltend machen werden. An dem
Sarge des Kaisers Friedrich klagt das Volk, wie die Mutter an dem Sarge
ihres jungen Kindes klagt, um die schönen Hoffnungen und herrlichen Erwar¬
tungen, die mit ihm zu Grabe getragen werden. Denn nicht nach der Spanne
von Tagen, in der er als Erster dem deutschen Volke gebot, will und soll Mit-
und Nachwelt den Verstorbenen beurteilen. Das Mitleiden um den Dulder mit


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[0610] Rciisor Friedrich. noch im verflossenen Herbst im fremden Lande vor seinem greisen Vater gestorben wäre, als das gefährliche Übel, welches seinen Tod herbeigeführt hat, zum ersten male die tötliche Axt an den königlichen Baum legte. Die Vorsehung hat es anders bestimmt. Er, der Held und Sieger in Schlachten, dessen schöne, hünen¬ hafte Gestalt den Neid und die Bewunderung der Zeitgenossen erregt hatte, war zu einem Märtyrer auf dem Throne bestimmt, zu einem Märtyrer, wie ihn die Weltgeschichte noch niemals gekannt hat. Ausersehen für einen sichern Tod in absehbarer kurzer Zeit, bestieg Kaiser Friedrich den Thron seines Vaters. Ausgerüstet mit der großen Macht, die noch heute den preußischen König und deutschen Kaiser vor allen Gewaltigen der Erde auszeichnet, war er ein gebrochener, todeswunder Mann, als er in die Lage kam, von dieser Macht Gebrauch zu machen. Er, der einem Reiche von mehr als vierzig Millionen gebieten sollte und konnte, war ein hilfloser Kranker, der Sprache beraubt und keinen Augenblick von dem schnell um sich greifenden Leiden ver¬ schont. Nicht die Phantasie eines Dante in ihrem kühnsten Fluge hätte die Seelenqualen schildern können, welche diesem königlichen Dulder beschieden waren. Wohl wäre es heilsamer für ihn gewesen, wenn er ohne die aufreibende Sorge der Regierungsgeschäfte noch die wenigen ihm von Gott bestimmten Wochen lediglich der Pflege seines siechen Körpers gewidmet hätte. Aber das den Hohen- zollern als ihr schönstes Erbteil von den Vätern überkommene Pflichtgefühl hat auch den sterbenden Herrscher vermocht, das schwere ihm zugefallene hohe Amt auf sich zu nehmen. Nicht volle neunundneunzig Tage hat dieses Martyrium auf dem Throne gedauert, während dessen Kaiser Friedrich alle Qualen des Leibes und der Seele wie ein Held ertrug und jeden Augenblick, den er der Krankheit und dem Tode abzuringen vermochte, dem Wohle seines Reiches wid¬ mete. Wer am eignen Leibe jemals erfahren hat, wie eine schwere Krank¬ heit auch deu Willen des Thatkräftigsten vernichtet, Mut und Stimmung den wechselvollen Erscheinungen des Leidens unterjocht, der wird ein Verständnis für das Opfer haben, das Kaiser Friedrich seinem Vaterlande gebracht hat. Und wer ungläubig die Leiden der Märtyrer gelesen hat, die ein Teil der Welt um ihrer Sündhaftigkeit willen als Heilige verehrt, der wird in Kaiser Friedrich den Dulder erkennen, aus welchem die Legende vergangener Zeiten einen Hei¬ ligen gemacht haben würde. An einem solchen Grabe ziemt es sich nicht, die Regierungshandlungen des Verblichenen einer Kritik zu unterziehen; schnell genug wird uns die rauhe Wirklichkeit in den Kampf des Lebens ziehen, in welchem die vorhandenen Gegensätze ihre Berechtigung geltend machen werden. An dem Sarge des Kaisers Friedrich klagt das Volk, wie die Mutter an dem Sarge ihres jungen Kindes klagt, um die schönen Hoffnungen und herrlichen Erwar¬ tungen, die mit ihm zu Grabe getragen werden. Denn nicht nach der Spanne von Tagen, in der er als Erster dem deutschen Volke gebot, will und soll Mit- und Nachwelt den Verstorbenen beurteilen. Das Mitleiden um den Dulder mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/610>, abgerufen am 18.05.2024.