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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das ZVahlkartell und die Kreuzzeitungspartei.

M^UM
/'^SW^'^in 14. Januar 1887 wurde der deutsche Reichstag, in welchem
die Demokraten im Verein mit dem Zentrum die Mehrheit bil¬
deten, von Kaiser Wilhelm aufgelöst, weil diese oppositionelle
Mehrheit, indem sie die Interessen und Programme ihrer beiden
Parteien über das dringendste Bedürfnis des Reiches stellte, die
Militärvorlage der Regierung zu Falle gebracht hatte. Es galt jetzt, daß das
Volk an dem Widerstande auch gegen dieses Bedürfnis erkannte, welch ein
unpatriotischer Geist die beiden Lager der bisherigen Opposition überhaupt
beseelte, und daß es auf Grund solcher Erkenntnis in den Wahlen einen Reichs¬
tag schuf, der in seiner Mehrheit nicht in erster Reihe demokratisch oder klerikal,
sondern patriotisch dachte und abstimmte. Das Volk aber wird von Parteien
geleitet, und so kam es vor allem darauf an, daß die national gesinnten Par¬
teien ihrem Parteigeiste Schweigen geboten und mit Beiseitesetzung dessen, was
sie trennte, sich in dem ihnen gemeinsamen Glauben und Wollen vereinigten,
mit andern Worten, daß die Konservativen von ihrer Hinneigung zum Zentrum
abließen, die Nationallibcralen die Seite ihres Wesens, nach der sie den Deutsch¬
freisinnigen verwandt waren, weniger hervortreten ließen und beide Genossen¬
schaften sich bei den Wahlkämpfen gegenseitig unterstützten. "Einen Reichstag,
wie ihn die große Mehrheit der Nation wünscht -- so ungefähr schrieb am
Tage der Auflösung das Hauptorgan des Kanzlers --, darf man nach Lage
der Sache nur dann erwarten, wenn im bevorstehenden Wahlkampfe alle reichs¬
treuen Parteien von vornherein zusammenstehen und alles vermeiden, was zu
Mißverständnissen und Eifersüchteleien führen kann. Soll der vom Demo¬
kratismus großgezogene Parteigeist überwunden werden, so müssen die Gegner
der Demokratie und der Parlamentsherrschaft die Parteiung unter sich dem


Grenzboten III. 1883. 37


Das ZVahlkartell und die Kreuzzeitungspartei.

M^UM
/'^SW^'^in 14. Januar 1887 wurde der deutsche Reichstag, in welchem
die Demokraten im Verein mit dem Zentrum die Mehrheit bil¬
deten, von Kaiser Wilhelm aufgelöst, weil diese oppositionelle
Mehrheit, indem sie die Interessen und Programme ihrer beiden
Parteien über das dringendste Bedürfnis des Reiches stellte, die
Militärvorlage der Regierung zu Falle gebracht hatte. Es galt jetzt, daß das
Volk an dem Widerstande auch gegen dieses Bedürfnis erkannte, welch ein
unpatriotischer Geist die beiden Lager der bisherigen Opposition überhaupt
beseelte, und daß es auf Grund solcher Erkenntnis in den Wahlen einen Reichs¬
tag schuf, der in seiner Mehrheit nicht in erster Reihe demokratisch oder klerikal,
sondern patriotisch dachte und abstimmte. Das Volk aber wird von Parteien
geleitet, und so kam es vor allem darauf an, daß die national gesinnten Par¬
teien ihrem Parteigeiste Schweigen geboten und mit Beiseitesetzung dessen, was
sie trennte, sich in dem ihnen gemeinsamen Glauben und Wollen vereinigten,
mit andern Worten, daß die Konservativen von ihrer Hinneigung zum Zentrum
abließen, die Nationallibcralen die Seite ihres Wesens, nach der sie den Deutsch¬
freisinnigen verwandt waren, weniger hervortreten ließen und beide Genossen¬
schaften sich bei den Wahlkämpfen gegenseitig unterstützten. „Einen Reichstag,
wie ihn die große Mehrheit der Nation wünscht — so ungefähr schrieb am
Tage der Auflösung das Hauptorgan des Kanzlers —, darf man nach Lage
der Sache nur dann erwarten, wenn im bevorstehenden Wahlkampfe alle reichs¬
treuen Parteien von vornherein zusammenstehen und alles vermeiden, was zu
Mißverständnissen und Eifersüchteleien führen kann. Soll der vom Demo¬
kratismus großgezogene Parteigeist überwunden werden, so müssen die Gegner
der Demokratie und der Parlamentsherrschaft die Parteiung unter sich dem


Grenzboten III. 1883. 37
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[0297] [Abbildung] Das ZVahlkartell und die Kreuzzeitungspartei. M^UM /'^SW^'^in 14. Januar 1887 wurde der deutsche Reichstag, in welchem die Demokraten im Verein mit dem Zentrum die Mehrheit bil¬ deten, von Kaiser Wilhelm aufgelöst, weil diese oppositionelle Mehrheit, indem sie die Interessen und Programme ihrer beiden Parteien über das dringendste Bedürfnis des Reiches stellte, die Militärvorlage der Regierung zu Falle gebracht hatte. Es galt jetzt, daß das Volk an dem Widerstande auch gegen dieses Bedürfnis erkannte, welch ein unpatriotischer Geist die beiden Lager der bisherigen Opposition überhaupt beseelte, und daß es auf Grund solcher Erkenntnis in den Wahlen einen Reichs¬ tag schuf, der in seiner Mehrheit nicht in erster Reihe demokratisch oder klerikal, sondern patriotisch dachte und abstimmte. Das Volk aber wird von Parteien geleitet, und so kam es vor allem darauf an, daß die national gesinnten Par¬ teien ihrem Parteigeiste Schweigen geboten und mit Beiseitesetzung dessen, was sie trennte, sich in dem ihnen gemeinsamen Glauben und Wollen vereinigten, mit andern Worten, daß die Konservativen von ihrer Hinneigung zum Zentrum abließen, die Nationallibcralen die Seite ihres Wesens, nach der sie den Deutsch¬ freisinnigen verwandt waren, weniger hervortreten ließen und beide Genossen¬ schaften sich bei den Wahlkämpfen gegenseitig unterstützten. „Einen Reichstag, wie ihn die große Mehrheit der Nation wünscht — so ungefähr schrieb am Tage der Auflösung das Hauptorgan des Kanzlers —, darf man nach Lage der Sache nur dann erwarten, wenn im bevorstehenden Wahlkampfe alle reichs¬ treuen Parteien von vornherein zusammenstehen und alles vermeiden, was zu Mißverständnissen und Eifersüchteleien führen kann. Soll der vom Demo¬ kratismus großgezogene Parteigeist überwunden werden, so müssen die Gegner der Demokratie und der Parlamentsherrschaft die Parteiung unter sich dem Grenzboten III. 1883. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/297>, abgerufen am 18.05.2024.