Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen aus Alt-Jena.

verschiednen Richtungen, mit Ausnahme etwa der extremsten, vertreten fanden.
Kommandant derselben war der preußische Oberst von Paschwitz, der, um seine
alten Tage in Ruhe zu genießen, sich hierher zurückgezogen hatte, dem dieses
Amt nun aber manche unruhige Stunde bereitete. Neben ihm stand der Major
von Knebel d. I., ein Sohn von Goethes bereits genanntem Freunde. Der
"Major" hatte früher, wie man erzählte, als Höchstkommandirender in fürstlich
reußischen Diensten gestanden und lebte nun, nachdem er aus irgend welchen
Gründen diese Stellung verlassen hatte, mit Pension in Jena, wo er das oft
genannte, am Paradiese gelegene Knebelsche Gartenhaus bewohnte. Eine leicht
aufbrausende Natur, im übrigen gutmütig und leicht wieder zu beruhigen, genoß
er eine ziemliche Popularität und war daher insofern an seiner Stelle. Als
einer der Hauptleute fungirte der Geheime Justizrat Professor Gujet, ein äußerst
freundlicher, wohlwollender Mann, der Sohn eines Soldaten, und diese seine
Eigenschaft muß es neben seiner persönlichen Beliebtheit gewesen sein, die diesen
Menschenfreund zu einer wenigstens möglicherweise kriegerischen Stellung berief.
Denn das war sie, wie wir bald hören werden; die Verhältnisse nahmen in
Jena, im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Dinge in Deutsch¬
land und dank den fortgesetzten Wühlereien der Demagogen und der Ohnmacht
der Regierungen, allmählich eine so drohende Gestalt an, daß ein feindlicher Zu¬
sammenstoß kaum lange mehr ausbleiben konnte.

Ehe es aber so weit kam, trat in den Tagen vom 21. bis zum 24. Sep¬
tember in Jena eine Versammlung friedlicher, wenngleich reformirender Natur
zusammen, nämlich der sogenannte Universitätsreformkongreß. Es lag nahe, daß
in einer Zeit, in der an alle Einrichtungen des nationalen Lebens die neuernde
und umgestaltende Hand angelegt wurde, in den Kreisen der Universitäten, deren
Einrichtungen seit Jahrhunderten eine so zähe Beharrungskraft bewährt hatten,
sich das Verlangen nach Verbesserung lebhaft regte. Namentlich die aufstre¬
benden Lehrkräfte, die ihr Ziel noch nicht erreicht hatten, waren es, die ein
solches Bedürfnis überall aufs stärkste empfunden hatten, und Jena war in
dieser Richtung mit vorangegangen. Es hatte sich hier ein sogenannter Reform-
Verein gebildet, der die Mehrzahl der jüngern Lehrer in sich aufgenommen und
sich mit den Gesinnungsgenossen an den übrigen deutschen Hochschulen in Ver¬
bindung gesetzt hatte. Von welcher Seite der entscheidende Anstoß zu einem
solchen Kongresse ausgegangen ist, wüßte ich nicht zu sagen, aber gewiß ist, der
Vorschlag fand fast allgemeinen Beifall und Jena wurde, zunächst seiner mitt¬
leren Lage wegen, als Ort der Versammlung ausgewählt. Alle deutschen Uni¬
versitäten wurden eingeladen, den Kongreß, der einen repräsentativen Charakter
haben sollte, mit Abgeordneten zu beschicken, aber auch jeder andre Universitäts¬
lehrer sollte als Gast willkommen sein. Die meisten Hochschulen gaben der Ein¬
ladung Folge, nur Berlin und die ordentlichen Professoren von Halle lehnten
dankend ab. Der Kongreß endigte schließlich ergebnislos, ein anziehendes Schau-


Erinnerungen aus Alt-Jena.

verschiednen Richtungen, mit Ausnahme etwa der extremsten, vertreten fanden.
Kommandant derselben war der preußische Oberst von Paschwitz, der, um seine
alten Tage in Ruhe zu genießen, sich hierher zurückgezogen hatte, dem dieses
Amt nun aber manche unruhige Stunde bereitete. Neben ihm stand der Major
von Knebel d. I., ein Sohn von Goethes bereits genanntem Freunde. Der
„Major" hatte früher, wie man erzählte, als Höchstkommandirender in fürstlich
reußischen Diensten gestanden und lebte nun, nachdem er aus irgend welchen
Gründen diese Stellung verlassen hatte, mit Pension in Jena, wo er das oft
genannte, am Paradiese gelegene Knebelsche Gartenhaus bewohnte. Eine leicht
aufbrausende Natur, im übrigen gutmütig und leicht wieder zu beruhigen, genoß
er eine ziemliche Popularität und war daher insofern an seiner Stelle. Als
einer der Hauptleute fungirte der Geheime Justizrat Professor Gujet, ein äußerst
freundlicher, wohlwollender Mann, der Sohn eines Soldaten, und diese seine
Eigenschaft muß es neben seiner persönlichen Beliebtheit gewesen sein, die diesen
Menschenfreund zu einer wenigstens möglicherweise kriegerischen Stellung berief.
Denn das war sie, wie wir bald hören werden; die Verhältnisse nahmen in
Jena, im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Dinge in Deutsch¬
land und dank den fortgesetzten Wühlereien der Demagogen und der Ohnmacht
der Regierungen, allmählich eine so drohende Gestalt an, daß ein feindlicher Zu¬
sammenstoß kaum lange mehr ausbleiben konnte.

Ehe es aber so weit kam, trat in den Tagen vom 21. bis zum 24. Sep¬
tember in Jena eine Versammlung friedlicher, wenngleich reformirender Natur
zusammen, nämlich der sogenannte Universitätsreformkongreß. Es lag nahe, daß
in einer Zeit, in der an alle Einrichtungen des nationalen Lebens die neuernde
und umgestaltende Hand angelegt wurde, in den Kreisen der Universitäten, deren
Einrichtungen seit Jahrhunderten eine so zähe Beharrungskraft bewährt hatten,
sich das Verlangen nach Verbesserung lebhaft regte. Namentlich die aufstre¬
benden Lehrkräfte, die ihr Ziel noch nicht erreicht hatten, waren es, die ein
solches Bedürfnis überall aufs stärkste empfunden hatten, und Jena war in
dieser Richtung mit vorangegangen. Es hatte sich hier ein sogenannter Reform-
Verein gebildet, der die Mehrzahl der jüngern Lehrer in sich aufgenommen und
sich mit den Gesinnungsgenossen an den übrigen deutschen Hochschulen in Ver¬
bindung gesetzt hatte. Von welcher Seite der entscheidende Anstoß zu einem
solchen Kongresse ausgegangen ist, wüßte ich nicht zu sagen, aber gewiß ist, der
Vorschlag fand fast allgemeinen Beifall und Jena wurde, zunächst seiner mitt¬
leren Lage wegen, als Ort der Versammlung ausgewählt. Alle deutschen Uni¬
versitäten wurden eingeladen, den Kongreß, der einen repräsentativen Charakter
haben sollte, mit Abgeordneten zu beschicken, aber auch jeder andre Universitäts¬
lehrer sollte als Gast willkommen sein. Die meisten Hochschulen gaben der Ein¬
ladung Folge, nur Berlin und die ordentlichen Professoren von Halle lehnten
dankend ab. Der Kongreß endigte schließlich ergebnislos, ein anziehendes Schau-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289537"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus Alt-Jena.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1390" prev="#ID_1389"> verschiednen Richtungen, mit Ausnahme etwa der extremsten, vertreten fanden.<lb/>
Kommandant derselben war der preußische Oberst von Paschwitz, der, um seine<lb/>
alten Tage in Ruhe zu genießen, sich hierher zurückgezogen hatte, dem dieses<lb/>
Amt nun aber manche unruhige Stunde bereitete. Neben ihm stand der Major<lb/>
von Knebel d. I., ein Sohn von Goethes bereits genanntem Freunde. Der<lb/>
&#x201E;Major" hatte früher, wie man erzählte, als Höchstkommandirender in fürstlich<lb/>
reußischen Diensten gestanden und lebte nun, nachdem er aus irgend welchen<lb/>
Gründen diese Stellung verlassen hatte, mit Pension in Jena, wo er das oft<lb/>
genannte, am Paradiese gelegene Knebelsche Gartenhaus bewohnte. Eine leicht<lb/>
aufbrausende Natur, im übrigen gutmütig und leicht wieder zu beruhigen, genoß<lb/>
er eine ziemliche Popularität und war daher insofern an seiner Stelle. Als<lb/>
einer der Hauptleute fungirte der Geheime Justizrat Professor Gujet, ein äußerst<lb/>
freundlicher, wohlwollender Mann, der Sohn eines Soldaten, und diese seine<lb/>
Eigenschaft muß es neben seiner persönlichen Beliebtheit gewesen sein, die diesen<lb/>
Menschenfreund zu einer wenigstens möglicherweise kriegerischen Stellung berief.<lb/>
Denn das war sie, wie wir bald hören werden; die Verhältnisse nahmen in<lb/>
Jena, im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Dinge in Deutsch¬<lb/>
land und dank den fortgesetzten Wühlereien der Demagogen und der Ohnmacht<lb/>
der Regierungen, allmählich eine so drohende Gestalt an, daß ein feindlicher Zu¬<lb/>
sammenstoß kaum lange mehr ausbleiben konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1391" next="#ID_1392"> Ehe es aber so weit kam, trat in den Tagen vom 21. bis zum 24. Sep¬<lb/>
tember in Jena eine Versammlung friedlicher, wenngleich reformirender Natur<lb/>
zusammen, nämlich der sogenannte Universitätsreformkongreß. Es lag nahe, daß<lb/>
in einer Zeit, in der an alle Einrichtungen des nationalen Lebens die neuernde<lb/>
und umgestaltende Hand angelegt wurde, in den Kreisen der Universitäten, deren<lb/>
Einrichtungen seit Jahrhunderten eine so zähe Beharrungskraft bewährt hatten,<lb/>
sich das Verlangen nach Verbesserung lebhaft regte. Namentlich die aufstre¬<lb/>
benden Lehrkräfte, die ihr Ziel noch nicht erreicht hatten, waren es, die ein<lb/>
solches Bedürfnis überall aufs stärkste empfunden hatten, und Jena war in<lb/>
dieser Richtung mit vorangegangen. Es hatte sich hier ein sogenannter Reform-<lb/>
Verein gebildet, der die Mehrzahl der jüngern Lehrer in sich aufgenommen und<lb/>
sich mit den Gesinnungsgenossen an den übrigen deutschen Hochschulen in Ver¬<lb/>
bindung gesetzt hatte. Von welcher Seite der entscheidende Anstoß zu einem<lb/>
solchen Kongresse ausgegangen ist, wüßte ich nicht zu sagen, aber gewiß ist, der<lb/>
Vorschlag fand fast allgemeinen Beifall und Jena wurde, zunächst seiner mitt¬<lb/>
leren Lage wegen, als Ort der Versammlung ausgewählt. Alle deutschen Uni¬<lb/>
versitäten wurden eingeladen, den Kongreß, der einen repräsentativen Charakter<lb/>
haben sollte, mit Abgeordneten zu beschicken, aber auch jeder andre Universitäts¬<lb/>
lehrer sollte als Gast willkommen sein. Die meisten Hochschulen gaben der Ein¬<lb/>
ladung Folge, nur Berlin und die ordentlichen Professoren von Halle lehnten<lb/>
dankend ab. Der Kongreß endigte schließlich ergebnislos, ein anziehendes Schau-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Erinnerungen aus Alt-Jena. verschiednen Richtungen, mit Ausnahme etwa der extremsten, vertreten fanden. Kommandant derselben war der preußische Oberst von Paschwitz, der, um seine alten Tage in Ruhe zu genießen, sich hierher zurückgezogen hatte, dem dieses Amt nun aber manche unruhige Stunde bereitete. Neben ihm stand der Major von Knebel d. I., ein Sohn von Goethes bereits genanntem Freunde. Der „Major" hatte früher, wie man erzählte, als Höchstkommandirender in fürstlich reußischen Diensten gestanden und lebte nun, nachdem er aus irgend welchen Gründen diese Stellung verlassen hatte, mit Pension in Jena, wo er das oft genannte, am Paradiese gelegene Knebelsche Gartenhaus bewohnte. Eine leicht aufbrausende Natur, im übrigen gutmütig und leicht wieder zu beruhigen, genoß er eine ziemliche Popularität und war daher insofern an seiner Stelle. Als einer der Hauptleute fungirte der Geheime Justizrat Professor Gujet, ein äußerst freundlicher, wohlwollender Mann, der Sohn eines Soldaten, und diese seine Eigenschaft muß es neben seiner persönlichen Beliebtheit gewesen sein, die diesen Menschenfreund zu einer wenigstens möglicherweise kriegerischen Stellung berief. Denn das war sie, wie wir bald hören werden; die Verhältnisse nahmen in Jena, im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Dinge in Deutsch¬ land und dank den fortgesetzten Wühlereien der Demagogen und der Ohnmacht der Regierungen, allmählich eine so drohende Gestalt an, daß ein feindlicher Zu¬ sammenstoß kaum lange mehr ausbleiben konnte. Ehe es aber so weit kam, trat in den Tagen vom 21. bis zum 24. Sep¬ tember in Jena eine Versammlung friedlicher, wenngleich reformirender Natur zusammen, nämlich der sogenannte Universitätsreformkongreß. Es lag nahe, daß in einer Zeit, in der an alle Einrichtungen des nationalen Lebens die neuernde und umgestaltende Hand angelegt wurde, in den Kreisen der Universitäten, deren Einrichtungen seit Jahrhunderten eine so zähe Beharrungskraft bewährt hatten, sich das Verlangen nach Verbesserung lebhaft regte. Namentlich die aufstre¬ benden Lehrkräfte, die ihr Ziel noch nicht erreicht hatten, waren es, die ein solches Bedürfnis überall aufs stärkste empfunden hatten, und Jena war in dieser Richtung mit vorangegangen. Es hatte sich hier ein sogenannter Reform- Verein gebildet, der die Mehrzahl der jüngern Lehrer in sich aufgenommen und sich mit den Gesinnungsgenossen an den übrigen deutschen Hochschulen in Ver¬ bindung gesetzt hatte. Von welcher Seite der entscheidende Anstoß zu einem solchen Kongresse ausgegangen ist, wüßte ich nicht zu sagen, aber gewiß ist, der Vorschlag fand fast allgemeinen Beifall und Jena wurde, zunächst seiner mitt¬ leren Lage wegen, als Ort der Versammlung ausgewählt. Alle deutschen Uni¬ versitäten wurden eingeladen, den Kongreß, der einen repräsentativen Charakter haben sollte, mit Abgeordneten zu beschicken, aber auch jeder andre Universitäts¬ lehrer sollte als Gast willkommen sein. Die meisten Hochschulen gaben der Ein¬ ladung Folge, nur Berlin und die ordentlichen Professoren von Halle lehnten dankend ab. Der Kongreß endigte schließlich ergebnislos, ein anziehendes Schau-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/414>, abgerufen am 18.05.2024.