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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

langsam nach ihr faßte, das höhnend und lauernd nach ihrem Herzen griff,
nach diesem Wunder von Falschheit, dieser gelben Perle der Treulosigkeit! Und
sie wich zurück, bis sie an den Tisch stieß, aber da war es noch immer, und
ihre Brust konnte sie nicht dagegen schützen, es griff durch Haut und Fleisch
hindurch wie -- -- Sie verging beinahe vor Angst, wie sie dort stand, sich
wehrlos rückwärts über den Tisch krümmend, während sich alle Nerven in Er¬
wartung strammten und das Auge starrte, als ob es in seiner Höhle gemordet
werden sollte.

Und dann war es auf einmal vorüber. Sie schaute mit einem unsichern
Blicke um sich, sank dann auf die Kniee nieder und betete lange. Sie bereute
und bekannte wild und rücksichtslos in stets wachsender Leidenschaftlichkeit mit
demselben fanatischen Haß gegen sich selber, der die Nonnen dazu treibt, ihren
nackten Körper zu geißeln. Sie suchte begeistert nach gemeinen Worten und
berauschte sich in Selbsterniedrigung und in Demut, die nach Niedrigkeit lechzte.

Endlich erhob sie sich. Ihre Brust bewegte sich stark und unruhig, und
es lag ein matter Glanz auf ihren bleichen Wangen, die, unter dem Gebet,
voller geworden zu sein schienen.

Sie sah sich mit einem Blicke im Zimmer um, als gelobte sie sich etwas
im Stillen, dann ging sie in das dunkle Nebenzimmer, schloß die Thür hinter
sich, stand einen Augenblick still, um sich an das Dunkel zu gewöhnen, und
tastete sich dann zu der Thür, die zu der geschlossenen Glasveranda führte, auf
die sie hinaustrat.

Dort war es Heller. Der Mond war jetzt aufgegangen und schien durch
die Krystallblumen der Glaswände, gelblich durch die Scheiben selbst, rot und
blau durch das farbige Glas, das den Nahmen der Fenster bildete.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Verbesserte Ausstellungskataloge. Es gab einmal eine Zeit, in der
-- was das neue Geschlecht schwer glauben wird -- eine Industrieausstellung nicht
nur in den Programmen und Festreden, sondern allgemein und in vollem Ernst
als ein Patriotisches Unternehmen "von großer Tragweite" angesehen wurde, und
jedermann gern dem idealen Zwecke uneigennützig seine Kräfte widmete. Wie be¬
kannt, ist man längst viel praktischer geworden. Geschäft ist alles. Der eine will
seine Ware verkaufen, wie nicht mehr als billig, der andre sein Knopfloch versorgen,
der dritte in den Zeitungen genannt sein, und der vierte fühlt sich für seine Mühe
belohnt, wenn er hohe Besuche empfangen und begleiten darf. Und das Geschäft
der drei letztern Kategorien ist gewöhnlich viel sicherer als das, welches den Vor-


Kleinere Mitteilungen.

langsam nach ihr faßte, das höhnend und lauernd nach ihrem Herzen griff,
nach diesem Wunder von Falschheit, dieser gelben Perle der Treulosigkeit! Und
sie wich zurück, bis sie an den Tisch stieß, aber da war es noch immer, und
ihre Brust konnte sie nicht dagegen schützen, es griff durch Haut und Fleisch
hindurch wie — — Sie verging beinahe vor Angst, wie sie dort stand, sich
wehrlos rückwärts über den Tisch krümmend, während sich alle Nerven in Er¬
wartung strammten und das Auge starrte, als ob es in seiner Höhle gemordet
werden sollte.

Und dann war es auf einmal vorüber. Sie schaute mit einem unsichern
Blicke um sich, sank dann auf die Kniee nieder und betete lange. Sie bereute
und bekannte wild und rücksichtslos in stets wachsender Leidenschaftlichkeit mit
demselben fanatischen Haß gegen sich selber, der die Nonnen dazu treibt, ihren
nackten Körper zu geißeln. Sie suchte begeistert nach gemeinen Worten und
berauschte sich in Selbsterniedrigung und in Demut, die nach Niedrigkeit lechzte.

Endlich erhob sie sich. Ihre Brust bewegte sich stark und unruhig, und
es lag ein matter Glanz auf ihren bleichen Wangen, die, unter dem Gebet,
voller geworden zu sein schienen.

Sie sah sich mit einem Blicke im Zimmer um, als gelobte sie sich etwas
im Stillen, dann ging sie in das dunkle Nebenzimmer, schloß die Thür hinter
sich, stand einen Augenblick still, um sich an das Dunkel zu gewöhnen, und
tastete sich dann zu der Thür, die zu der geschlossenen Glasveranda führte, auf
die sie hinaustrat.

Dort war es Heller. Der Mond war jetzt aufgegangen und schien durch
die Krystallblumen der Glaswände, gelblich durch die Scheiben selbst, rot und
blau durch das farbige Glas, das den Nahmen der Fenster bildete.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Verbesserte Ausstellungskataloge. Es gab einmal eine Zeit, in der
— was das neue Geschlecht schwer glauben wird — eine Industrieausstellung nicht
nur in den Programmen und Festreden, sondern allgemein und in vollem Ernst
als ein Patriotisches Unternehmen „von großer Tragweite" angesehen wurde, und
jedermann gern dem idealen Zwecke uneigennützig seine Kräfte widmete. Wie be¬
kannt, ist man längst viel praktischer geworden. Geschäft ist alles. Der eine will
seine Ware verkaufen, wie nicht mehr als billig, der andre sein Knopfloch versorgen,
der dritte in den Zeitungen genannt sein, und der vierte fühlt sich für seine Mühe
belohnt, wenn er hohe Besuche empfangen und begleiten darf. Und das Geschäft
der drei letztern Kategorien ist gewöhnlich viel sicherer als das, welches den Vor-


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[0437] Kleinere Mitteilungen. langsam nach ihr faßte, das höhnend und lauernd nach ihrem Herzen griff, nach diesem Wunder von Falschheit, dieser gelben Perle der Treulosigkeit! Und sie wich zurück, bis sie an den Tisch stieß, aber da war es noch immer, und ihre Brust konnte sie nicht dagegen schützen, es griff durch Haut und Fleisch hindurch wie — — Sie verging beinahe vor Angst, wie sie dort stand, sich wehrlos rückwärts über den Tisch krümmend, während sich alle Nerven in Er¬ wartung strammten und das Auge starrte, als ob es in seiner Höhle gemordet werden sollte. Und dann war es auf einmal vorüber. Sie schaute mit einem unsichern Blicke um sich, sank dann auf die Kniee nieder und betete lange. Sie bereute und bekannte wild und rücksichtslos in stets wachsender Leidenschaftlichkeit mit demselben fanatischen Haß gegen sich selber, der die Nonnen dazu treibt, ihren nackten Körper zu geißeln. Sie suchte begeistert nach gemeinen Worten und berauschte sich in Selbsterniedrigung und in Demut, die nach Niedrigkeit lechzte. Endlich erhob sie sich. Ihre Brust bewegte sich stark und unruhig, und es lag ein matter Glanz auf ihren bleichen Wangen, die, unter dem Gebet, voller geworden zu sein schienen. Sie sah sich mit einem Blicke im Zimmer um, als gelobte sie sich etwas im Stillen, dann ging sie in das dunkle Nebenzimmer, schloß die Thür hinter sich, stand einen Augenblick still, um sich an das Dunkel zu gewöhnen, und tastete sich dann zu der Thür, die zu der geschlossenen Glasveranda führte, auf die sie hinaustrat. Dort war es Heller. Der Mond war jetzt aufgegangen und schien durch die Krystallblumen der Glaswände, gelblich durch die Scheiben selbst, rot und blau durch das farbige Glas, das den Nahmen der Fenster bildete. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Verbesserte Ausstellungskataloge. Es gab einmal eine Zeit, in der — was das neue Geschlecht schwer glauben wird — eine Industrieausstellung nicht nur in den Programmen und Festreden, sondern allgemein und in vollem Ernst als ein Patriotisches Unternehmen „von großer Tragweite" angesehen wurde, und jedermann gern dem idealen Zwecke uneigennützig seine Kräfte widmete. Wie be¬ kannt, ist man längst viel praktischer geworden. Geschäft ist alles. Der eine will seine Ware verkaufen, wie nicht mehr als billig, der andre sein Knopfloch versorgen, der dritte in den Zeitungen genannt sein, und der vierte fühlt sich für seine Mühe belohnt, wenn er hohe Besuche empfangen und begleiten darf. Und das Geschäft der drei letztern Kategorien ist gewöhnlich viel sicherer als das, welches den Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/437>, abgerufen am 31.10.2024.