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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Droht in Italien ein Kulturkampf?

Striche steht, wofür die Redaktion zwar keine Verantwortlichkeit trägt, was sie
aber doch gern geschehen läßt; alles aber war ein anschaulicher Beweis, wie
sehr sich Kirche und Volksleben durchdringen und wie jedes dem andern freie
Bewegung gönnt.

Von hohem Interesse und äußerst belehrend ist es, die Freundschaft der
beiden Mächte, Kirche und Volksleben, auf dem Lande, in kleinen Städten n"d
Dörfern im einzelnen zu beobachten, z. B. bei dem Feste eines Schutzheiligen.
Da thut die Kirche, was sie nur vermag, das Volk zu unterhalten. Aber auch
das Volk versäumt nichts, das Fest mit möglichstem Gepränge zu feiern, und
der Festesjubel kennt dann keine Grenze, die Gemeindekasse thut ihr möglichstes,
und die Nachbarn treten zusammen, um Laub- und Blumengewinde über die
Straße zu ziehen, die Häuser zu schmücken, Ehrenpforten für den Durchzug
der Prozession zu errichten, abends zu illuminiren und ein prächtiges Feuerwerk
zu veranstalten. Trifft es sich gar, daß an demselben Tage in einem benach¬
barten Orte ein andrer Heiliger sein Fest begeht, so ergreift die Leidenschaft
auch die Kirche, und es ist nicht selten, daß sie, um im Wettkampfe Sieger zu
bleiben, tiefer in den eignen Seckel greift, als die armen Leute erschwingen
können. Dergleichen kirchlich-weltliche Wettkämpfe konnte man von Castellamare
aus beobachten, als Portici und Resina den Wettkampf aufnahmen. Der Jubel,
als man des Sieges gewiß war, spottete jeder Beschreibung. In Capri konnten
am Tage des Heiligen die jungen Bursche in ihrem Eifer gar nicht das Ende
des Gottesdienstes erwarten; sie feuerten ihre Flinten schon unter dem Portal
der Kirche ab, als der Priester noch am Altar stand, und sie begleiteten
mit ununterbrochenen Salven die Prozession, die den Heiligen hinab nach
der Narwg. ^ranäs brachte, während die Mädchen den Weg mit Blumen be¬
streuten.

In der mächtigen Kirche Santo Spirito in Florenz war der Verfasser
dieser Zeilen zugegen, als -- wohl zur Feier der heiligen Agathe -- ein fremder
Priester, wieder ein besonders angekündigter valsuts orators, die Festpredigt
hielt. Er mußte seinen Vortrag mehrmals unterbrechen und mit gänzlichem
Aufhören drohen, weil der Lärm, den Kinder und Erwachsene, ja sogar Hunde
machten, seine Stimme übertönte. Aber das Volk kümmerte sich nicht um
die Mahnung, der Lärm dauerte fort, und der Priester beendete seine Rede,
obwohl ihn nur sehr wenige hören konnten. (Solche Kirchen sind ja mich
viel zu groß, als daß man darin Ruhe halten könnte, wenn sie einmal
gefüllt sind.)

So sehen wir also überall gutes Einvernehmen, gegenseitige Rücksicht, ja
wirkliche Freundschaft zwischen Volk und Kirche. Auch die Schaustellung ihres
Reichtums, ihrer Schätze und Kostbarkeiten ist weit entfernt, vom Volke übel ver¬
merkt zu werden. Unser nationalökonomisches Gewissen wird lebhaft erregt, wenn
wir die ungeheuern toten Kapitalien überschlagen, die in den Schätzen der Kirchen


Droht in Italien ein Kulturkampf?

Striche steht, wofür die Redaktion zwar keine Verantwortlichkeit trägt, was sie
aber doch gern geschehen läßt; alles aber war ein anschaulicher Beweis, wie
sehr sich Kirche und Volksleben durchdringen und wie jedes dem andern freie
Bewegung gönnt.

Von hohem Interesse und äußerst belehrend ist es, die Freundschaft der
beiden Mächte, Kirche und Volksleben, auf dem Lande, in kleinen Städten n»d
Dörfern im einzelnen zu beobachten, z. B. bei dem Feste eines Schutzheiligen.
Da thut die Kirche, was sie nur vermag, das Volk zu unterhalten. Aber auch
das Volk versäumt nichts, das Fest mit möglichstem Gepränge zu feiern, und
der Festesjubel kennt dann keine Grenze, die Gemeindekasse thut ihr möglichstes,
und die Nachbarn treten zusammen, um Laub- und Blumengewinde über die
Straße zu ziehen, die Häuser zu schmücken, Ehrenpforten für den Durchzug
der Prozession zu errichten, abends zu illuminiren und ein prächtiges Feuerwerk
zu veranstalten. Trifft es sich gar, daß an demselben Tage in einem benach¬
barten Orte ein andrer Heiliger sein Fest begeht, so ergreift die Leidenschaft
auch die Kirche, und es ist nicht selten, daß sie, um im Wettkampfe Sieger zu
bleiben, tiefer in den eignen Seckel greift, als die armen Leute erschwingen
können. Dergleichen kirchlich-weltliche Wettkämpfe konnte man von Castellamare
aus beobachten, als Portici und Resina den Wettkampf aufnahmen. Der Jubel,
als man des Sieges gewiß war, spottete jeder Beschreibung. In Capri konnten
am Tage des Heiligen die jungen Bursche in ihrem Eifer gar nicht das Ende
des Gottesdienstes erwarten; sie feuerten ihre Flinten schon unter dem Portal
der Kirche ab, als der Priester noch am Altar stand, und sie begleiteten
mit ununterbrochenen Salven die Prozession, die den Heiligen hinab nach
der Narwg. ^ranäs brachte, während die Mädchen den Weg mit Blumen be¬
streuten.

In der mächtigen Kirche Santo Spirito in Florenz war der Verfasser
dieser Zeilen zugegen, als — wohl zur Feier der heiligen Agathe — ein fremder
Priester, wieder ein besonders angekündigter valsuts orators, die Festpredigt
hielt. Er mußte seinen Vortrag mehrmals unterbrechen und mit gänzlichem
Aufhören drohen, weil der Lärm, den Kinder und Erwachsene, ja sogar Hunde
machten, seine Stimme übertönte. Aber das Volk kümmerte sich nicht um
die Mahnung, der Lärm dauerte fort, und der Priester beendete seine Rede,
obwohl ihn nur sehr wenige hören konnten. (Solche Kirchen sind ja mich
viel zu groß, als daß man darin Ruhe halten könnte, wenn sie einmal
gefüllt sind.)

So sehen wir also überall gutes Einvernehmen, gegenseitige Rücksicht, ja
wirkliche Freundschaft zwischen Volk und Kirche. Auch die Schaustellung ihres
Reichtums, ihrer Schätze und Kostbarkeiten ist weit entfernt, vom Volke übel ver¬
merkt zu werden. Unser nationalökonomisches Gewissen wird lebhaft erregt, wenn
wir die ungeheuern toten Kapitalien überschlagen, die in den Schätzen der Kirchen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/64>, abgerufen am 17.06.2024.