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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lenin Pascha.

dem "treulosen Albion" erinnert. Emin Pascha hat erklärt, von welcher Seite
auch die "Befreiung" käme, er würde die Hilfe gern annehmen, aber er würde
unter keinen Umständen sein Land verlassen, es müßte denn seine Zukunft ge¬
sichert, d. h. seine Verbindung mit der Ost- oder der Westküste eine entschiedne
Sache sein. Emin Pascha ist kein Schwärmer und Märtyrer, sondern ein
kühner Politiker, ein eiserner Organisator und ein kühler Mann mit natur¬
wissenschaftlicher Denkart. Wenn er also eine solche Erklärung abgiebt, so wird
er seinen guten Grund dazu haben; d. h. das Ausharren auf seinem Posten
verlohnt sich der Mühe, das Land ist reich, und die Aussicht auf seine Er¬
schließung gewiß. Die Engländer, die so gern andre für sich arbeiten lassen,
um dann die reife Frucht vom Baume des Nachbarn sich in den Schoß fallen
zu lassen, haben das auch eingesehen und halten sich klüglich bereit, zur geeig¬
neten Stunde zuzugreifen. Es ist nicht unsre Aufgabe, auch haben wir nicht
alle Daten zur Hand, zu untersuchen, welche Rechtsansprüche in Bezug auf
die politische Vorherrschaft das eine oder das andre Land geltend machen kann.
Uns beschäftigt lediglich die handelspolitische Frage. Und da ist es klar, daß,
wer zuerst kommt, auch zuerst mahlt. Außer Deutschland und England kann
nur noch die Kongoregierung in Frage kommen, d. h. in Beziehung auf die
kommerzielle Vorherrschaft, wiederum England. Glückt Stanleys Expedition,
was wir aus Humanitären und wissenschaftlichen Gründen aufs lebhafteste
wünschen, so ist Englands Übergewicht entschieden. Aber wir wünschten, daß
die Deutschen nicht leer ausgingen. Der Weg nach der Sansibarküste würde
in den Machtbereich der deutschen ostafrikanischen Gesellschaft fallen, und ließe
er sich früher freilegen als der Kongowcg, so wäre Deutschlands Vorsprung
kaum einzuholen. Nun ist es gewiß, daß erstens der Kongostaat der unmittel¬
bare Nachbar der Äquatorialprovinz ist und daß der Sansibarweg auf Schwierig¬
keiten stößt, die schon oft erörtert worden sind und vorläufig unüberwindbar
zu sein scheinen. Aber erstens ist der Kongoweg bei weitem länger und hin¬
sichtlich des Terrains auch schwieriger als der andre, zweitens beweist das
zweifelhafte Schicksal der Expedition Stanleys, daß jener Weg auch nicht von
scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten frei ist; wogegen sich die Schwierig¬
keiten, die sich zwischen dem Kilima Ndjaro und dem Albert-Nyanza auf¬
türmen, leicht vermindern lassen könnten, zumal wenn in Uganda ein andres
Regiment Platz greift; auch scheint Emin Pascha selbst den Sansibarweg mit
hoffnungsvollen Augen zu betrachten, freilich unter Voraussetzung eines bal¬
digen Wechsels in der Negierung von Uganda.

Man folgt in Deutschland mit gespannter Teilnahme den spärlichen Nach¬
richten, die von unserm Landsmanne aus der Äquatorialprovinz herüberkommen;
aber man verfolgt sie nur mit dem objektiven Interesse, mit dem jedermann
in der christlichen Welt sie verfolgt. Eine lebhaftere Teilnahme, wie sie natürlich
wäre einer Frage gegenüber, die unsre nationalen Interessen berührt, ist bei


Grenzboten III, Is83. 9
Lenin Pascha.

dem „treulosen Albion" erinnert. Emin Pascha hat erklärt, von welcher Seite
auch die „Befreiung" käme, er würde die Hilfe gern annehmen, aber er würde
unter keinen Umständen sein Land verlassen, es müßte denn seine Zukunft ge¬
sichert, d. h. seine Verbindung mit der Ost- oder der Westküste eine entschiedne
Sache sein. Emin Pascha ist kein Schwärmer und Märtyrer, sondern ein
kühner Politiker, ein eiserner Organisator und ein kühler Mann mit natur¬
wissenschaftlicher Denkart. Wenn er also eine solche Erklärung abgiebt, so wird
er seinen guten Grund dazu haben; d. h. das Ausharren auf seinem Posten
verlohnt sich der Mühe, das Land ist reich, und die Aussicht auf seine Er¬
schließung gewiß. Die Engländer, die so gern andre für sich arbeiten lassen,
um dann die reife Frucht vom Baume des Nachbarn sich in den Schoß fallen
zu lassen, haben das auch eingesehen und halten sich klüglich bereit, zur geeig¬
neten Stunde zuzugreifen. Es ist nicht unsre Aufgabe, auch haben wir nicht
alle Daten zur Hand, zu untersuchen, welche Rechtsansprüche in Bezug auf
die politische Vorherrschaft das eine oder das andre Land geltend machen kann.
Uns beschäftigt lediglich die handelspolitische Frage. Und da ist es klar, daß,
wer zuerst kommt, auch zuerst mahlt. Außer Deutschland und England kann
nur noch die Kongoregierung in Frage kommen, d. h. in Beziehung auf die
kommerzielle Vorherrschaft, wiederum England. Glückt Stanleys Expedition,
was wir aus Humanitären und wissenschaftlichen Gründen aufs lebhafteste
wünschen, so ist Englands Übergewicht entschieden. Aber wir wünschten, daß
die Deutschen nicht leer ausgingen. Der Weg nach der Sansibarküste würde
in den Machtbereich der deutschen ostafrikanischen Gesellschaft fallen, und ließe
er sich früher freilegen als der Kongowcg, so wäre Deutschlands Vorsprung
kaum einzuholen. Nun ist es gewiß, daß erstens der Kongostaat der unmittel¬
bare Nachbar der Äquatorialprovinz ist und daß der Sansibarweg auf Schwierig¬
keiten stößt, die schon oft erörtert worden sind und vorläufig unüberwindbar
zu sein scheinen. Aber erstens ist der Kongoweg bei weitem länger und hin¬
sichtlich des Terrains auch schwieriger als der andre, zweitens beweist das
zweifelhafte Schicksal der Expedition Stanleys, daß jener Weg auch nicht von
scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten frei ist; wogegen sich die Schwierig¬
keiten, die sich zwischen dem Kilima Ndjaro und dem Albert-Nyanza auf¬
türmen, leicht vermindern lassen könnten, zumal wenn in Uganda ein andres
Regiment Platz greift; auch scheint Emin Pascha selbst den Sansibarweg mit
hoffnungsvollen Augen zu betrachten, freilich unter Voraussetzung eines bal¬
digen Wechsels in der Negierung von Uganda.

Man folgt in Deutschland mit gespannter Teilnahme den spärlichen Nach¬
richten, die von unserm Landsmanne aus der Äquatorialprovinz herüberkommen;
aber man verfolgt sie nur mit dem objektiven Interesse, mit dem jedermann
in der christlichen Welt sie verfolgt. Eine lebhaftere Teilnahme, wie sie natürlich
wäre einer Frage gegenüber, die unsre nationalen Interessen berührt, ist bei


Grenzboten III, Is83. 9
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[0073] Lenin Pascha. dem „treulosen Albion" erinnert. Emin Pascha hat erklärt, von welcher Seite auch die „Befreiung" käme, er würde die Hilfe gern annehmen, aber er würde unter keinen Umständen sein Land verlassen, es müßte denn seine Zukunft ge¬ sichert, d. h. seine Verbindung mit der Ost- oder der Westküste eine entschiedne Sache sein. Emin Pascha ist kein Schwärmer und Märtyrer, sondern ein kühner Politiker, ein eiserner Organisator und ein kühler Mann mit natur¬ wissenschaftlicher Denkart. Wenn er also eine solche Erklärung abgiebt, so wird er seinen guten Grund dazu haben; d. h. das Ausharren auf seinem Posten verlohnt sich der Mühe, das Land ist reich, und die Aussicht auf seine Er¬ schließung gewiß. Die Engländer, die so gern andre für sich arbeiten lassen, um dann die reife Frucht vom Baume des Nachbarn sich in den Schoß fallen zu lassen, haben das auch eingesehen und halten sich klüglich bereit, zur geeig¬ neten Stunde zuzugreifen. Es ist nicht unsre Aufgabe, auch haben wir nicht alle Daten zur Hand, zu untersuchen, welche Rechtsansprüche in Bezug auf die politische Vorherrschaft das eine oder das andre Land geltend machen kann. Uns beschäftigt lediglich die handelspolitische Frage. Und da ist es klar, daß, wer zuerst kommt, auch zuerst mahlt. Außer Deutschland und England kann nur noch die Kongoregierung in Frage kommen, d. h. in Beziehung auf die kommerzielle Vorherrschaft, wiederum England. Glückt Stanleys Expedition, was wir aus Humanitären und wissenschaftlichen Gründen aufs lebhafteste wünschen, so ist Englands Übergewicht entschieden. Aber wir wünschten, daß die Deutschen nicht leer ausgingen. Der Weg nach der Sansibarküste würde in den Machtbereich der deutschen ostafrikanischen Gesellschaft fallen, und ließe er sich früher freilegen als der Kongowcg, so wäre Deutschlands Vorsprung kaum einzuholen. Nun ist es gewiß, daß erstens der Kongostaat der unmittel¬ bare Nachbar der Äquatorialprovinz ist und daß der Sansibarweg auf Schwierig¬ keiten stößt, die schon oft erörtert worden sind und vorläufig unüberwindbar zu sein scheinen. Aber erstens ist der Kongoweg bei weitem länger und hin¬ sichtlich des Terrains auch schwieriger als der andre, zweitens beweist das zweifelhafte Schicksal der Expedition Stanleys, daß jener Weg auch nicht von scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten frei ist; wogegen sich die Schwierig¬ keiten, die sich zwischen dem Kilima Ndjaro und dem Albert-Nyanza auf¬ türmen, leicht vermindern lassen könnten, zumal wenn in Uganda ein andres Regiment Platz greift; auch scheint Emin Pascha selbst den Sansibarweg mit hoffnungsvollen Augen zu betrachten, freilich unter Voraussetzung eines bal¬ digen Wechsels in der Negierung von Uganda. Man folgt in Deutschland mit gespannter Teilnahme den spärlichen Nach¬ richten, die von unserm Landsmanne aus der Äquatorialprovinz herüberkommen; aber man verfolgt sie nur mit dem objektiven Interesse, mit dem jedermann in der christlichen Welt sie verfolgt. Eine lebhaftere Teilnahme, wie sie natürlich wäre einer Frage gegenüber, die unsre nationalen Interessen berührt, ist bei Grenzboten III, Is83. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/73>, abgerufen am 18.05.2024.