Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagelmchblätter eines Somitagsphilosopho".

Wie Deutschland sein und wieder werden müßte. Prophezeit er auch nicht eigent¬
lich, so arbeitet er doch als Prophet, immer aus dem Bilde der Zukunft und
der Geschichte heraus, dabei im Namen Gottes, dessen Nachahmung auf Erden
er früh und spät als höchste Menschenleistung bezeichnet. Merkwürdig ist dabei,
wie auch in diesem modernen Geiste noch die alte Reichsidee lebendig nachwirkt,
durch seine philosophische Weltanschauung vertieft und verklärt: das heilige
römische Reich, dem alle Fürsten der Erde eine gewisse Achtung und Ehrfurcht
schulde", ist ihm der Idee nach das Abbild des allumfassenden, vollkommen har¬
monischen besten Gottesstaates, vor andern bestimmt, die Ehre Gottes und
seines Namens zu wahren und auszubreiten, daher auch sein großes Vertrauen,
daß es nicht untergehen könne (Pfleiderer S. 19). Das wirkliche Reich freilich
sah er in seinem Baue nur noch mit einem seidenen oder strohernen Faden
zusammenhängend und unter dem Drucke der Feinde von Westen und Osten
mit dem Einsturz bedroht (S. 297). Das wäre denn die volle Tragödie in
dieser deutschesten Seele, wie sie so viele deutsche Seelen in den langen Jahr¬
hunderten in sich habe" abspielen müssen. Aber man sieht ihn nie ohne Mut,
immer neu strebend, hoffend, glaubend, planend, immer neue Hebel ansetzend,
wenn einer versagte, eben ans der Kraft einer rechten Prophetennatnr heraus.
Freilich sieht er auch, wenn der um sich greifenden Zersplitterung alles Ge-
meinstnns durch wachsende Selbstsucht uicht Einhalt geschehe durch neue Vater¬
landsliebe, eine allgemeine Umwälzung (rövolution) voraus, von der Europa
bedroht ist; aber auch darüber blickt er mutig hinaus, denn damit "wird die Vor¬
sehung die Menschen zu heilen wissen (Pfleiderer S. 7, Uouvsimx lZsskus IV, 16),
also eigentlich das jüngste Gericht der alten Prophezeiungen in verjüngter Ge¬
stalt. Leibniz, der große Philosoph, der große Mathematiker, der große All¬
gelehrte gehört zugleich, wie einer, zu den prophetischen Vorkämpfern unsrer
neuen Zeit, zu unsern Rettern.

Aber auf dem politischen Boden war zunächst die Rettung nicht möglich,
das Reich ging wirklich seiner Auflösung entgegen. Doch nach andrer Seite,
uach oben, that sich ein Weg neuen Lebens auf. Wie im sechzehnten Jahr¬
hundert die Führung des Aufwärtsstrebens an die religiöse Bewegung überging,
so nun seit dem siebzehnten Jahrhundert an die durch Opitz angeregte littera¬
rische Bewegung, eine Fortsetzung der Arbeit der Humanisten in deutscher Form
und Vorbereitung der Arbeit auch in deutschem Geiste von Klopstock, Lessing,
Goethe, Schiller u. s. w., die zunächst freilich aus der wirklichen Welt und ihrem
Elend hinausführte in Gedankenhöhe, ja Traumwelt, das ging nicht anders
und war im Grunde auch Prophetenarbeit, die dann aber doch von der ge¬
wonnenen Höhe rückwärts eingreifen sollte in die verkommene Wirklichkeit zu
neuer Gestaltung oder der Arbeit daran.

Schon der Einfall von Grimmelhausens närrischen Jupiter oben, den
griechischen Helicon nun in Deutschlands Grenzen zu setzen, kann zeigen,


Tagelmchblätter eines Somitagsphilosopho».

Wie Deutschland sein und wieder werden müßte. Prophezeit er auch nicht eigent¬
lich, so arbeitet er doch als Prophet, immer aus dem Bilde der Zukunft und
der Geschichte heraus, dabei im Namen Gottes, dessen Nachahmung auf Erden
er früh und spät als höchste Menschenleistung bezeichnet. Merkwürdig ist dabei,
wie auch in diesem modernen Geiste noch die alte Reichsidee lebendig nachwirkt,
durch seine philosophische Weltanschauung vertieft und verklärt: das heilige
römische Reich, dem alle Fürsten der Erde eine gewisse Achtung und Ehrfurcht
schulde», ist ihm der Idee nach das Abbild des allumfassenden, vollkommen har¬
monischen besten Gottesstaates, vor andern bestimmt, die Ehre Gottes und
seines Namens zu wahren und auszubreiten, daher auch sein großes Vertrauen,
daß es nicht untergehen könne (Pfleiderer S. 19). Das wirkliche Reich freilich
sah er in seinem Baue nur noch mit einem seidenen oder strohernen Faden
zusammenhängend und unter dem Drucke der Feinde von Westen und Osten
mit dem Einsturz bedroht (S. 297). Das wäre denn die volle Tragödie in
dieser deutschesten Seele, wie sie so viele deutsche Seelen in den langen Jahr¬
hunderten in sich habe» abspielen müssen. Aber man sieht ihn nie ohne Mut,
immer neu strebend, hoffend, glaubend, planend, immer neue Hebel ansetzend,
wenn einer versagte, eben ans der Kraft einer rechten Prophetennatnr heraus.
Freilich sieht er auch, wenn der um sich greifenden Zersplitterung alles Ge-
meinstnns durch wachsende Selbstsucht uicht Einhalt geschehe durch neue Vater¬
landsliebe, eine allgemeine Umwälzung (rövolution) voraus, von der Europa
bedroht ist; aber auch darüber blickt er mutig hinaus, denn damit „wird die Vor¬
sehung die Menschen zu heilen wissen (Pfleiderer S. 7, Uouvsimx lZsskus IV, 16),
also eigentlich das jüngste Gericht der alten Prophezeiungen in verjüngter Ge¬
stalt. Leibniz, der große Philosoph, der große Mathematiker, der große All¬
gelehrte gehört zugleich, wie einer, zu den prophetischen Vorkämpfern unsrer
neuen Zeit, zu unsern Rettern.

Aber auf dem politischen Boden war zunächst die Rettung nicht möglich,
das Reich ging wirklich seiner Auflösung entgegen. Doch nach andrer Seite,
uach oben, that sich ein Weg neuen Lebens auf. Wie im sechzehnten Jahr¬
hundert die Führung des Aufwärtsstrebens an die religiöse Bewegung überging,
so nun seit dem siebzehnten Jahrhundert an die durch Opitz angeregte littera¬
rische Bewegung, eine Fortsetzung der Arbeit der Humanisten in deutscher Form
und Vorbereitung der Arbeit auch in deutschem Geiste von Klopstock, Lessing,
Goethe, Schiller u. s. w., die zunächst freilich aus der wirklichen Welt und ihrem
Elend hinausführte in Gedankenhöhe, ja Traumwelt, das ging nicht anders
und war im Grunde auch Prophetenarbeit, die dann aber doch von der ge¬
wonnenen Höhe rückwärts eingreifen sollte in die verkommene Wirklichkeit zu
neuer Gestaltung oder der Arbeit daran.

Schon der Einfall von Grimmelhausens närrischen Jupiter oben, den
griechischen Helicon nun in Deutschlands Grenzen zu setzen, kann zeigen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289198"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagelmchblätter eines Somitagsphilosopho».</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> Wie Deutschland sein und wieder werden müßte. Prophezeit er auch nicht eigent¬<lb/>
lich, so arbeitet er doch als Prophet, immer aus dem Bilde der Zukunft und<lb/>
der Geschichte heraus, dabei im Namen Gottes, dessen Nachahmung auf Erden<lb/>
er früh und spät als höchste Menschenleistung bezeichnet. Merkwürdig ist dabei,<lb/>
wie auch in diesem modernen Geiste noch die alte Reichsidee lebendig nachwirkt,<lb/>
durch seine philosophische Weltanschauung vertieft und verklärt: das heilige<lb/>
römische Reich, dem alle Fürsten der Erde eine gewisse Achtung und Ehrfurcht<lb/>
schulde», ist ihm der Idee nach das Abbild des allumfassenden, vollkommen har¬<lb/>
monischen besten Gottesstaates, vor andern bestimmt, die Ehre Gottes und<lb/>
seines Namens zu wahren und auszubreiten, daher auch sein großes Vertrauen,<lb/>
daß es nicht untergehen könne (Pfleiderer S. 19). Das wirkliche Reich freilich<lb/>
sah er in seinem Baue nur noch mit einem seidenen oder strohernen Faden<lb/>
zusammenhängend und unter dem Drucke der Feinde von Westen und Osten<lb/>
mit dem Einsturz bedroht (S. 297).  Das wäre denn die volle Tragödie in<lb/>
dieser deutschesten Seele, wie sie so viele deutsche Seelen in den langen Jahr¬<lb/>
hunderten in sich habe» abspielen müssen. Aber man sieht ihn nie ohne Mut,<lb/>
immer neu strebend, hoffend, glaubend, planend, immer neue Hebel ansetzend,<lb/>
wenn einer versagte, eben ans der Kraft einer rechten Prophetennatnr heraus.<lb/>
Freilich sieht er auch, wenn der um sich greifenden Zersplitterung alles Ge-<lb/>
meinstnns durch wachsende Selbstsucht uicht Einhalt geschehe durch neue Vater¬<lb/>
landsliebe, eine allgemeine Umwälzung (rövolution) voraus, von der Europa<lb/>
bedroht ist; aber auch darüber blickt er mutig hinaus, denn damit &#x201E;wird die Vor¬<lb/>
sehung die Menschen zu heilen wissen (Pfleiderer S. 7, Uouvsimx lZsskus IV, 16),<lb/>
also eigentlich das jüngste Gericht der alten Prophezeiungen in verjüngter Ge¬<lb/>
stalt. Leibniz, der große Philosoph, der große Mathematiker, der große All¬<lb/>
gelehrte gehört zugleich, wie einer, zu den prophetischen Vorkämpfern unsrer<lb/>
neuen Zeit, zu unsern Rettern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285"> Aber auf dem politischen Boden war zunächst die Rettung nicht möglich,<lb/>
das Reich ging wirklich seiner Auflösung entgegen. Doch nach andrer Seite,<lb/>
uach oben, that sich ein Weg neuen Lebens auf. Wie im sechzehnten Jahr¬<lb/>
hundert die Führung des Aufwärtsstrebens an die religiöse Bewegung überging,<lb/>
so nun seit dem siebzehnten Jahrhundert an die durch Opitz angeregte littera¬<lb/>
rische Bewegung, eine Fortsetzung der Arbeit der Humanisten in deutscher Form<lb/>
und Vorbereitung der Arbeit auch in deutschem Geiste von Klopstock, Lessing,<lb/>
Goethe, Schiller u. s. w., die zunächst freilich aus der wirklichen Welt und ihrem<lb/>
Elend hinausführte in Gedankenhöhe, ja Traumwelt, das ging nicht anders<lb/>
und war im Grunde auch Prophetenarbeit, die dann aber doch von der ge¬<lb/>
wonnenen Höhe rückwärts eingreifen sollte in die verkommene Wirklichkeit zu<lb/>
neuer Gestaltung oder der Arbeit daran.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286" next="#ID_287"> Schon der Einfall von Grimmelhausens närrischen Jupiter oben, den<lb/>
griechischen Helicon nun in Deutschlands Grenzen zu setzen, kann zeigen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] Tagelmchblätter eines Somitagsphilosopho». Wie Deutschland sein und wieder werden müßte. Prophezeit er auch nicht eigent¬ lich, so arbeitet er doch als Prophet, immer aus dem Bilde der Zukunft und der Geschichte heraus, dabei im Namen Gottes, dessen Nachahmung auf Erden er früh und spät als höchste Menschenleistung bezeichnet. Merkwürdig ist dabei, wie auch in diesem modernen Geiste noch die alte Reichsidee lebendig nachwirkt, durch seine philosophische Weltanschauung vertieft und verklärt: das heilige römische Reich, dem alle Fürsten der Erde eine gewisse Achtung und Ehrfurcht schulde», ist ihm der Idee nach das Abbild des allumfassenden, vollkommen har¬ monischen besten Gottesstaates, vor andern bestimmt, die Ehre Gottes und seines Namens zu wahren und auszubreiten, daher auch sein großes Vertrauen, daß es nicht untergehen könne (Pfleiderer S. 19). Das wirkliche Reich freilich sah er in seinem Baue nur noch mit einem seidenen oder strohernen Faden zusammenhängend und unter dem Drucke der Feinde von Westen und Osten mit dem Einsturz bedroht (S. 297). Das wäre denn die volle Tragödie in dieser deutschesten Seele, wie sie so viele deutsche Seelen in den langen Jahr¬ hunderten in sich habe» abspielen müssen. Aber man sieht ihn nie ohne Mut, immer neu strebend, hoffend, glaubend, planend, immer neue Hebel ansetzend, wenn einer versagte, eben ans der Kraft einer rechten Prophetennatnr heraus. Freilich sieht er auch, wenn der um sich greifenden Zersplitterung alles Ge- meinstnns durch wachsende Selbstsucht uicht Einhalt geschehe durch neue Vater¬ landsliebe, eine allgemeine Umwälzung (rövolution) voraus, von der Europa bedroht ist; aber auch darüber blickt er mutig hinaus, denn damit „wird die Vor¬ sehung die Menschen zu heilen wissen (Pfleiderer S. 7, Uouvsimx lZsskus IV, 16), also eigentlich das jüngste Gericht der alten Prophezeiungen in verjüngter Ge¬ stalt. Leibniz, der große Philosoph, der große Mathematiker, der große All¬ gelehrte gehört zugleich, wie einer, zu den prophetischen Vorkämpfern unsrer neuen Zeit, zu unsern Rettern. Aber auf dem politischen Boden war zunächst die Rettung nicht möglich, das Reich ging wirklich seiner Auflösung entgegen. Doch nach andrer Seite, uach oben, that sich ein Weg neuen Lebens auf. Wie im sechzehnten Jahr¬ hundert die Führung des Aufwärtsstrebens an die religiöse Bewegung überging, so nun seit dem siebzehnten Jahrhundert an die durch Opitz angeregte littera¬ rische Bewegung, eine Fortsetzung der Arbeit der Humanisten in deutscher Form und Vorbereitung der Arbeit auch in deutschem Geiste von Klopstock, Lessing, Goethe, Schiller u. s. w., die zunächst freilich aus der wirklichen Welt und ihrem Elend hinausführte in Gedankenhöhe, ja Traumwelt, das ging nicht anders und war im Grunde auch Prophetenarbeit, die dann aber doch von der ge¬ wonnenen Höhe rückwärts eingreifen sollte in die verkommene Wirklichkeit zu neuer Gestaltung oder der Arbeit daran. Schon der Einfall von Grimmelhausens närrischen Jupiter oben, den griechischen Helicon nun in Deutschlands Grenzen zu setzen, kann zeigen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/75>, abgerufen am 18.05.2024.