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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen ^eere

aber das war eine Ausnahme, der man keine Folge verstattet hatte. In den
fridericianischen Zeiten galt eben nur Adel und Bürgertum, und zwar in dem
Verhältnis, daß zwischen beiden eine nicht zu überbrückende Kluft und das
Bürgertum, wie gesagt, ans dem Heere vollständig ausgeschlossen war. Es
war die Zeit vor der französischen Revolution, und derjenige -- spater aus¬
nahmslos dein bürgerlichen Element entnommene -- Stand, der durch Hebung
und Verarbeitung der durch die Revolution zu Tage geförderten Schätze, durch
Aneignung und Verbreitung der neuen, freilich stark nivellirenden, wegräumenden
Ideen auf politischem, sittlichem, religiösem und sozialem Gebiet sich für die
Zukunft den ersten Einfluß in der Gesellschaft gesichert hat, lag noch im da¬
maligen Bürgertum vergraben.

Die Folgen der französischen Revolution fingen aber bald nach Friedrich
dem Großen an, in Wirksamkeit zu treten mit ihrer ungeheuern, auch gegen
den Adel gerichteten Umgestaltung; es kamen, die napoleonischen Feldzüge, bei
deren Verbrauch an Offizieren der Adel zur Besetzung der Offizierstellen weder
im preußischen Heere noch in den übrigen deutschen Heeren ausreichte, und
notgedrungen griff man überall in Deutschland auf das bürgerliche Material,
außerhalb Preußens mit Vorliebe ans den Unteroffiziersstand zurück.

Nach den napoleonischen Feldzttgen wurde der Adel wieder mehr bevor¬
zugt, und da man die vorhandenen bürgerlichen Offiziere nicht ausscheiden
konnte, half man sich, zumal in den süddeutschen Heeresteilen, mit dem nicht
erblichen, dein Personal-Adel, der infolge von Ordensverleihung oder auch in
einem süddeutschen Staat infolge der Charge schon den Kompagnie-Chefs ver¬
liehen wurde.

Heute reicht in der sehr vergrößerten deutschen Armee zur Besetzung der
erforderlichen Offizierstellen der Adel entfernt nicht mehr aus -- es wird das
ja auch nicht verlangt --, das heutige deutsche Offizierkorps ist weit über die
Hälfte (genaue Zahlen fehlen mir, und es soll das auch keine statistische Arbeit
sein) mit bürgerlichen Elementen versetzt. Durch die neue Organisation der
Landwehr zweiten Aufgebots kommt der Adel dem Prozentsätze nach im Offizier¬
korps noch mehr in die Minderheit, als es bisher der Fall gewesen ist.

Da liegt die Frage nahe: Ist diese -- geschichtlich gesprochen -- Über¬
flutung des Heeres mit bürgerlichen Offiziere" nicht geeignet, die lange bestehende
Bevorzugung des Adels im deutschen Heere mit den Jahren aufzuheben und
den überwiegenden Einfluß, den der Adel vordem besessen hat, nunmehr und
für die Zukunft dem bürgerlichen Element im Offizierkorps zuzuwenden? Die
erste Frage glaube ich bejahen zu dürfen, ja ich glaube, daß dies jetzt schon
erreicht ist, und zwar im Einverständnis mit der Heeresleitung; die zweite Frage
glaube ich ganz entschieden verneinen zu müssen.

Freilich, die Überlegenheit des bürgerlichen Elements der Zahl nach würde
allein noch nicht hinreichen, das Übergewicht des Adels im Offizierkorps,zu


Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen ^eere

aber das war eine Ausnahme, der man keine Folge verstattet hatte. In den
fridericianischen Zeiten galt eben nur Adel und Bürgertum, und zwar in dem
Verhältnis, daß zwischen beiden eine nicht zu überbrückende Kluft und das
Bürgertum, wie gesagt, ans dem Heere vollständig ausgeschlossen war. Es
war die Zeit vor der französischen Revolution, und derjenige — spater aus¬
nahmslos dein bürgerlichen Element entnommene — Stand, der durch Hebung
und Verarbeitung der durch die Revolution zu Tage geförderten Schätze, durch
Aneignung und Verbreitung der neuen, freilich stark nivellirenden, wegräumenden
Ideen auf politischem, sittlichem, religiösem und sozialem Gebiet sich für die
Zukunft den ersten Einfluß in der Gesellschaft gesichert hat, lag noch im da¬
maligen Bürgertum vergraben.

Die Folgen der französischen Revolution fingen aber bald nach Friedrich
dem Großen an, in Wirksamkeit zu treten mit ihrer ungeheuern, auch gegen
den Adel gerichteten Umgestaltung; es kamen, die napoleonischen Feldzüge, bei
deren Verbrauch an Offizieren der Adel zur Besetzung der Offizierstellen weder
im preußischen Heere noch in den übrigen deutschen Heeren ausreichte, und
notgedrungen griff man überall in Deutschland auf das bürgerliche Material,
außerhalb Preußens mit Vorliebe ans den Unteroffiziersstand zurück.

Nach den napoleonischen Feldzttgen wurde der Adel wieder mehr bevor¬
zugt, und da man die vorhandenen bürgerlichen Offiziere nicht ausscheiden
konnte, half man sich, zumal in den süddeutschen Heeresteilen, mit dem nicht
erblichen, dein Personal-Adel, der infolge von Ordensverleihung oder auch in
einem süddeutschen Staat infolge der Charge schon den Kompagnie-Chefs ver¬
liehen wurde.

Heute reicht in der sehr vergrößerten deutschen Armee zur Besetzung der
erforderlichen Offizierstellen der Adel entfernt nicht mehr aus — es wird das
ja auch nicht verlangt —, das heutige deutsche Offizierkorps ist weit über die
Hälfte (genaue Zahlen fehlen mir, und es soll das auch keine statistische Arbeit
sein) mit bürgerlichen Elementen versetzt. Durch die neue Organisation der
Landwehr zweiten Aufgebots kommt der Adel dem Prozentsätze nach im Offizier¬
korps noch mehr in die Minderheit, als es bisher der Fall gewesen ist.

Da liegt die Frage nahe: Ist diese — geschichtlich gesprochen — Über¬
flutung des Heeres mit bürgerlichen Offiziere» nicht geeignet, die lange bestehende
Bevorzugung des Adels im deutschen Heere mit den Jahren aufzuheben und
den überwiegenden Einfluß, den der Adel vordem besessen hat, nunmehr und
für die Zukunft dem bürgerlichen Element im Offizierkorps zuzuwenden? Die
erste Frage glaube ich bejahen zu dürfen, ja ich glaube, daß dies jetzt schon
erreicht ist, und zwar im Einverständnis mit der Heeresleitung; die zweite Frage
glaube ich ganz entschieden verneinen zu müssen.

Freilich, die Überlegenheit des bürgerlichen Elements der Zahl nach würde
allein noch nicht hinreichen, das Übergewicht des Adels im Offizierkorps,zu


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[0010] Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen ^eere aber das war eine Ausnahme, der man keine Folge verstattet hatte. In den fridericianischen Zeiten galt eben nur Adel und Bürgertum, und zwar in dem Verhältnis, daß zwischen beiden eine nicht zu überbrückende Kluft und das Bürgertum, wie gesagt, ans dem Heere vollständig ausgeschlossen war. Es war die Zeit vor der französischen Revolution, und derjenige — spater aus¬ nahmslos dein bürgerlichen Element entnommene — Stand, der durch Hebung und Verarbeitung der durch die Revolution zu Tage geförderten Schätze, durch Aneignung und Verbreitung der neuen, freilich stark nivellirenden, wegräumenden Ideen auf politischem, sittlichem, religiösem und sozialem Gebiet sich für die Zukunft den ersten Einfluß in der Gesellschaft gesichert hat, lag noch im da¬ maligen Bürgertum vergraben. Die Folgen der französischen Revolution fingen aber bald nach Friedrich dem Großen an, in Wirksamkeit zu treten mit ihrer ungeheuern, auch gegen den Adel gerichteten Umgestaltung; es kamen, die napoleonischen Feldzüge, bei deren Verbrauch an Offizieren der Adel zur Besetzung der Offizierstellen weder im preußischen Heere noch in den übrigen deutschen Heeren ausreichte, und notgedrungen griff man überall in Deutschland auf das bürgerliche Material, außerhalb Preußens mit Vorliebe ans den Unteroffiziersstand zurück. Nach den napoleonischen Feldzttgen wurde der Adel wieder mehr bevor¬ zugt, und da man die vorhandenen bürgerlichen Offiziere nicht ausscheiden konnte, half man sich, zumal in den süddeutschen Heeresteilen, mit dem nicht erblichen, dein Personal-Adel, der infolge von Ordensverleihung oder auch in einem süddeutschen Staat infolge der Charge schon den Kompagnie-Chefs ver¬ liehen wurde. Heute reicht in der sehr vergrößerten deutschen Armee zur Besetzung der erforderlichen Offizierstellen der Adel entfernt nicht mehr aus — es wird das ja auch nicht verlangt —, das heutige deutsche Offizierkorps ist weit über die Hälfte (genaue Zahlen fehlen mir, und es soll das auch keine statistische Arbeit sein) mit bürgerlichen Elementen versetzt. Durch die neue Organisation der Landwehr zweiten Aufgebots kommt der Adel dem Prozentsätze nach im Offizier¬ korps noch mehr in die Minderheit, als es bisher der Fall gewesen ist. Da liegt die Frage nahe: Ist diese — geschichtlich gesprochen — Über¬ flutung des Heeres mit bürgerlichen Offiziere» nicht geeignet, die lange bestehende Bevorzugung des Adels im deutschen Heere mit den Jahren aufzuheben und den überwiegenden Einfluß, den der Adel vordem besessen hat, nunmehr und für die Zukunft dem bürgerlichen Element im Offizierkorps zuzuwenden? Die erste Frage glaube ich bejahen zu dürfen, ja ich glaube, daß dies jetzt schon erreicht ist, und zwar im Einverständnis mit der Heeresleitung; die zweite Frage glaube ich ganz entschieden verneinen zu müssen. Freilich, die Überlegenheit des bürgerlichen Elements der Zahl nach würde allein noch nicht hinreichen, das Übergewicht des Adels im Offizierkorps,zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/10>, abgerufen am 25.05.2024.