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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Leibniz als Volkswirt
von w. weise

(^MM^>cum wir von Leibmz als Volkswirt reden, so haben wir es mit
keinem abgeschlossenen System der Nationalökonomie zu thun,
das dieser allumfassende Geist geschaffen hätte, sondern es sind
nur aus besonderer Veranlassung geäußerte Ansichten über Hebung
und Forderung der Volkswohlfahrt, die uns bestimmen können,
seine Wirksamkeit oder besser gesagt seine Absichten nach dieser Richtung hin
zu betrachten. Mögen auch seine darauf bezüglichen Schriften und Aussprüche
hinter seinen Leistungen auf andern Gebieten zurückstehen, dennoch sind sie für
die Gesamtauffassung des Mannes von Bedeutung. Mehr vielleicht als anderswo
tritt hier seine Vaterlandsliebe hervor; alle seine staatswissenschaftlicher Ent¬
würfe sind demselben Gedankenkreise patriotischer Gesinnung entsprungen. Wichtig
sind diese Bestrebungen auch für die rechte Würdigung des Philosophen, insofern
er bemüht ist, alles Wissen und Wollen in einen praktischen Wert umzusetzen.
Theorie von Praxis trennen heißt ihm die Wissenschaft unfruchtbar und die
Praxis unvollkommen machen. Diesen Grundsatz Leibnizens finden wir gerade
in seinen nationalökonomischen Plänen bestätigt.

Den hauptsächlichsten Grund für Leibmz, sich mit der Nationalökonomie
abzugeben, muß man in der Lage Deutschlands nach dem dreißigjährigen Kriege
suchen. Deutschland war geistig, sittlich und materiell durch den Krieg ruinirt
worden. Und kaum hatte es sich notdürftig von den schweren Schäden erholt,
so drohten von Westen her durch die Franzosen und von Osten her durch die
Türken neue Kriegsgefahreu. Leibniz wollte seinem Vaterlande durch eine
gesunde Wirtschaftspolitik wieder aufhelfen. Daß die Fürsten mich der Be¬
endigung des dreißigjährigen Krieges der Nationalökonomie keine Beachtung
schenkten, darin sah er eine weitere Schädigung des Landes; um der Vernach-
lässigung der bedeutendsten aller bürgerlichen Wissenschaften -- ihm war die
Staatswirtschaft der weitaus wichtigste Teil der Wissenschaft vom Staate --
gehe Deutschland zu Grunde.

An dieser Stelle ist nun sogleich hervorzuheben, wie innig Leibmz die
geistige und sittliche Gesundheit des Volkes mit dem leibliche" Wohlergehen
verbindet. Wiederholt und nachdrücklich stellt er Armut und Elend als die
Mutter der Verbrechen hin. In der Besserung der materiellen Verhältnisse




Leibniz als Volkswirt
von w. weise

(^MM^>cum wir von Leibmz als Volkswirt reden, so haben wir es mit
keinem abgeschlossenen System der Nationalökonomie zu thun,
das dieser allumfassende Geist geschaffen hätte, sondern es sind
nur aus besonderer Veranlassung geäußerte Ansichten über Hebung
und Forderung der Volkswohlfahrt, die uns bestimmen können,
seine Wirksamkeit oder besser gesagt seine Absichten nach dieser Richtung hin
zu betrachten. Mögen auch seine darauf bezüglichen Schriften und Aussprüche
hinter seinen Leistungen auf andern Gebieten zurückstehen, dennoch sind sie für
die Gesamtauffassung des Mannes von Bedeutung. Mehr vielleicht als anderswo
tritt hier seine Vaterlandsliebe hervor; alle seine staatswissenschaftlicher Ent¬
würfe sind demselben Gedankenkreise patriotischer Gesinnung entsprungen. Wichtig
sind diese Bestrebungen auch für die rechte Würdigung des Philosophen, insofern
er bemüht ist, alles Wissen und Wollen in einen praktischen Wert umzusetzen.
Theorie von Praxis trennen heißt ihm die Wissenschaft unfruchtbar und die
Praxis unvollkommen machen. Diesen Grundsatz Leibnizens finden wir gerade
in seinen nationalökonomischen Plänen bestätigt.

Den hauptsächlichsten Grund für Leibmz, sich mit der Nationalökonomie
abzugeben, muß man in der Lage Deutschlands nach dem dreißigjährigen Kriege
suchen. Deutschland war geistig, sittlich und materiell durch den Krieg ruinirt
worden. Und kaum hatte es sich notdürftig von den schweren Schäden erholt,
so drohten von Westen her durch die Franzosen und von Osten her durch die
Türken neue Kriegsgefahreu. Leibniz wollte seinem Vaterlande durch eine
gesunde Wirtschaftspolitik wieder aufhelfen. Daß die Fürsten mich der Be¬
endigung des dreißigjährigen Krieges der Nationalökonomie keine Beachtung
schenkten, darin sah er eine weitere Schädigung des Landes; um der Vernach-
lässigung der bedeutendsten aller bürgerlichen Wissenschaften — ihm war die
Staatswirtschaft der weitaus wichtigste Teil der Wissenschaft vom Staate —
gehe Deutschland zu Grunde.

An dieser Stelle ist nun sogleich hervorzuheben, wie innig Leibmz die
geistige und sittliche Gesundheit des Volkes mit dem leibliche» Wohlergehen
verbindet. Wiederholt und nachdrücklich stellt er Armut und Elend als die
Mutter der Verbrechen hin. In der Besserung der materiellen Verhältnisse


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[0018] Leibniz als Volkswirt von w. weise (^MM^>cum wir von Leibmz als Volkswirt reden, so haben wir es mit keinem abgeschlossenen System der Nationalökonomie zu thun, das dieser allumfassende Geist geschaffen hätte, sondern es sind nur aus besonderer Veranlassung geäußerte Ansichten über Hebung und Forderung der Volkswohlfahrt, die uns bestimmen können, seine Wirksamkeit oder besser gesagt seine Absichten nach dieser Richtung hin zu betrachten. Mögen auch seine darauf bezüglichen Schriften und Aussprüche hinter seinen Leistungen auf andern Gebieten zurückstehen, dennoch sind sie für die Gesamtauffassung des Mannes von Bedeutung. Mehr vielleicht als anderswo tritt hier seine Vaterlandsliebe hervor; alle seine staatswissenschaftlicher Ent¬ würfe sind demselben Gedankenkreise patriotischer Gesinnung entsprungen. Wichtig sind diese Bestrebungen auch für die rechte Würdigung des Philosophen, insofern er bemüht ist, alles Wissen und Wollen in einen praktischen Wert umzusetzen. Theorie von Praxis trennen heißt ihm die Wissenschaft unfruchtbar und die Praxis unvollkommen machen. Diesen Grundsatz Leibnizens finden wir gerade in seinen nationalökonomischen Plänen bestätigt. Den hauptsächlichsten Grund für Leibmz, sich mit der Nationalökonomie abzugeben, muß man in der Lage Deutschlands nach dem dreißigjährigen Kriege suchen. Deutschland war geistig, sittlich und materiell durch den Krieg ruinirt worden. Und kaum hatte es sich notdürftig von den schweren Schäden erholt, so drohten von Westen her durch die Franzosen und von Osten her durch die Türken neue Kriegsgefahreu. Leibniz wollte seinem Vaterlande durch eine gesunde Wirtschaftspolitik wieder aufhelfen. Daß die Fürsten mich der Be¬ endigung des dreißigjährigen Krieges der Nationalökonomie keine Beachtung schenkten, darin sah er eine weitere Schädigung des Landes; um der Vernach- lässigung der bedeutendsten aller bürgerlichen Wissenschaften — ihm war die Staatswirtschaft der weitaus wichtigste Teil der Wissenschaft vom Staate — gehe Deutschland zu Grunde. An dieser Stelle ist nun sogleich hervorzuheben, wie innig Leibmz die geistige und sittliche Gesundheit des Volkes mit dem leibliche» Wohlergehen verbindet. Wiederholt und nachdrücklich stellt er Armut und Elend als die Mutter der Verbrechen hin. In der Besserung der materiellen Verhältnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/18>, abgerufen am 25.05.2024.