Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Lande an jedem Ort ungefähr konsumirt; womit sich jeder ernährt, wieviel
er durch seine Arbeit verdient oder erarbeitet; Vergleich der Nahrung, der
Macht und der Mittel des Landes, wie sie gegenwärtig sind, mit denen,
1618 und 1648 da waren; damit soll ein dri-San ä'^Ärssss verbunden
werden, durch das man im ganzen Land erführe, was zu kaufen, zu verkaufen,
zu lohnen, zu vermieten, zu verdingen, zu sehen, zu lernen, zu gebrauchen sei.

Auf diese Weise soll sich der Fürst Gewißheit über die Bedürfnisse und die
Erzeugungskraft des Landes verschaffen, und darnach planmäßig, nicht blind
nmhertappend oder sich dem Zufalle überlassend, handeln und eingreifen, wo
es nötig ist. Um aber noch besser zum Ziele zu kommen, schlägt Leibniz in
einer zweiten Denkschrift die Einsetzung eines Kollegiums, einer Art von Volks¬
wirtschaftsrat vor. Dieser Rat soll seinen Sitz in der Hauptstadt, in der Nähe
des Fürsten haben, aber mit den einzelnen Landesteilen in Verbindung stehen.
Seine Aufgabe wäre, sich nicht bloß um Handel und Gewerbe, sondern anch
um die Landwirtschaft zu kümmern und da besonders für Austrocknung von
Sümpfen, Verbesserung der Grundstücke, Anpflanzung von Heilkräutern, Frucht¬
bäumen und andern Gewächsen, für Erforschung und Aufschließung von Mine¬
ralien, für Züchtung und Verbreitung nützlicher Haustiere Sorge zu tragen.
Er soll sich um die Gesundheit des Volkes und um andre Polizeisachen be¬
mühen, hauptsachlich aber um die Erziehung der Jugend, daß sie arbeitsam
und geschickt werde. Endlich hätte es das Kollegium auch mit Künsten und
Wissenschaften zu thun, doch nicht als solchen, sondern nur sofern ihre Aus¬
übung das allgemeine Leben angenehm zu machen und zu verschönen im
Stande ist.

Was in diesen beiden Denkschriften im Kern enthalten ist, wird in andern
weiter ausgesponnen und genauer erörtert.

Obgleich Leibniz die Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat sehr
wohl erkannte -- er nennt die Kultur des Landes einmal die Grundlage
der Größe eines Volkes, gleichsam Stamm und Wurzel eines Baumes --, so
finden wir doch nicht häufig Vorschläge bei ihm, die sich darauf bezögen.
Oster empfiehlt er den Kleebau und die Einführung der Kartoffel. Mit merk¬
würdiger Ausdauer tritt er für den Seidenbau ein. Da er den jährlichen Schaden
Deutschlands durch Einfuhr von Seide auf eine Million Thaler (?) berechnete,
so wünschte er, daß in Deutschland selbst Seidenwürmer gezogen würden. Er selbst
machte in Hannover Versuche, und in seinem Garten vor dem Agidienthor waren
Maulbeerbäume angepflanzt. Die Seidenraupen, erzählt Eckart, arteten (?)
wohl auch. Da er aber uicht auf alle Dinge sah und keine tüchtigen Leute
dazu gebrauchte, so hatte er mehr Schaden als Nutzen davon. Dennoch ließ
er nicht davon ab, sondern betrieb die Sache bis an sein Ende. Ja er erwarb
sich von den Königen von Preußen und von Polen Privilegien, in ihren Ländern
an passenden Orten Maulbeerbnume zu pflanzen.


Lande an jedem Ort ungefähr konsumirt; womit sich jeder ernährt, wieviel
er durch seine Arbeit verdient oder erarbeitet; Vergleich der Nahrung, der
Macht und der Mittel des Landes, wie sie gegenwärtig sind, mit denen,
1618 und 1648 da waren; damit soll ein dri-San ä'^Ärssss verbunden
werden, durch das man im ganzen Land erführe, was zu kaufen, zu verkaufen,
zu lohnen, zu vermieten, zu verdingen, zu sehen, zu lernen, zu gebrauchen sei.

Auf diese Weise soll sich der Fürst Gewißheit über die Bedürfnisse und die
Erzeugungskraft des Landes verschaffen, und darnach planmäßig, nicht blind
nmhertappend oder sich dem Zufalle überlassend, handeln und eingreifen, wo
es nötig ist. Um aber noch besser zum Ziele zu kommen, schlägt Leibniz in
einer zweiten Denkschrift die Einsetzung eines Kollegiums, einer Art von Volks¬
wirtschaftsrat vor. Dieser Rat soll seinen Sitz in der Hauptstadt, in der Nähe
des Fürsten haben, aber mit den einzelnen Landesteilen in Verbindung stehen.
Seine Aufgabe wäre, sich nicht bloß um Handel und Gewerbe, sondern anch
um die Landwirtschaft zu kümmern und da besonders für Austrocknung von
Sümpfen, Verbesserung der Grundstücke, Anpflanzung von Heilkräutern, Frucht¬
bäumen und andern Gewächsen, für Erforschung und Aufschließung von Mine¬
ralien, für Züchtung und Verbreitung nützlicher Haustiere Sorge zu tragen.
Er soll sich um die Gesundheit des Volkes und um andre Polizeisachen be¬
mühen, hauptsachlich aber um die Erziehung der Jugend, daß sie arbeitsam
und geschickt werde. Endlich hätte es das Kollegium auch mit Künsten und
Wissenschaften zu thun, doch nicht als solchen, sondern nur sofern ihre Aus¬
übung das allgemeine Leben angenehm zu machen und zu verschönen im
Stande ist.

Was in diesen beiden Denkschriften im Kern enthalten ist, wird in andern
weiter ausgesponnen und genauer erörtert.

Obgleich Leibniz die Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat sehr
wohl erkannte — er nennt die Kultur des Landes einmal die Grundlage
der Größe eines Volkes, gleichsam Stamm und Wurzel eines Baumes —, so
finden wir doch nicht häufig Vorschläge bei ihm, die sich darauf bezögen.
Oster empfiehlt er den Kleebau und die Einführung der Kartoffel. Mit merk¬
würdiger Ausdauer tritt er für den Seidenbau ein. Da er den jährlichen Schaden
Deutschlands durch Einfuhr von Seide auf eine Million Thaler (?) berechnete,
so wünschte er, daß in Deutschland selbst Seidenwürmer gezogen würden. Er selbst
machte in Hannover Versuche, und in seinem Garten vor dem Agidienthor waren
Maulbeerbäume angepflanzt. Die Seidenraupen, erzählt Eckart, arteten (?)
wohl auch. Da er aber uicht auf alle Dinge sah und keine tüchtigen Leute
dazu gebrauchte, so hatte er mehr Schaden als Nutzen davon. Dennoch ließ
er nicht davon ab, sondern betrieb die Sache bis an sein Ende. Ja er erwarb
sich von den Königen von Preußen und von Polen Privilegien, in ihren Ländern
an passenden Orten Maulbeerbnume zu pflanzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204109"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_40" prev="#ID_39"> Lande an jedem Ort ungefähr konsumirt; womit sich jeder ernährt, wieviel<lb/>
er durch seine Arbeit verdient oder erarbeitet; Vergleich der Nahrung, der<lb/>
Macht und der Mittel des Landes, wie sie gegenwärtig sind, mit denen,<lb/>
1618 und 1648 da waren; damit soll ein dri-San ä'^Ärssss verbunden<lb/>
werden, durch das man im ganzen Land erführe, was zu kaufen, zu verkaufen,<lb/>
zu lohnen, zu vermieten, zu verdingen, zu sehen, zu lernen, zu gebrauchen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41"> Auf diese Weise soll sich der Fürst Gewißheit über die Bedürfnisse und die<lb/>
Erzeugungskraft des Landes verschaffen, und darnach planmäßig, nicht blind<lb/>
nmhertappend oder sich dem Zufalle überlassend, handeln und eingreifen, wo<lb/>
es nötig ist. Um aber noch besser zum Ziele zu kommen, schlägt Leibniz in<lb/>
einer zweiten Denkschrift die Einsetzung eines Kollegiums, einer Art von Volks¬<lb/>
wirtschaftsrat vor. Dieser Rat soll seinen Sitz in der Hauptstadt, in der Nähe<lb/>
des Fürsten haben, aber mit den einzelnen Landesteilen in Verbindung stehen.<lb/>
Seine Aufgabe wäre, sich nicht bloß um Handel und Gewerbe, sondern anch<lb/>
um die Landwirtschaft zu kümmern und da besonders für Austrocknung von<lb/>
Sümpfen, Verbesserung der Grundstücke, Anpflanzung von Heilkräutern, Frucht¬<lb/>
bäumen und andern Gewächsen, für Erforschung und Aufschließung von Mine¬<lb/>
ralien, für Züchtung und Verbreitung nützlicher Haustiere Sorge zu tragen.<lb/>
Er soll sich um die Gesundheit des Volkes und um andre Polizeisachen be¬<lb/>
mühen, hauptsachlich aber um die Erziehung der Jugend, daß sie arbeitsam<lb/>
und geschickt werde. Endlich hätte es das Kollegium auch mit Künsten und<lb/>
Wissenschaften zu thun, doch nicht als solchen, sondern nur sofern ihre Aus¬<lb/>
übung das allgemeine Leben angenehm zu machen und zu verschönen im<lb/>
Stande ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42"> Was in diesen beiden Denkschriften im Kern enthalten ist, wird in andern<lb/>
weiter ausgesponnen und genauer erörtert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43"> Obgleich Leibniz die Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat sehr<lb/>
wohl erkannte &#x2014; er nennt die Kultur des Landes einmal die Grundlage<lb/>
der Größe eines Volkes, gleichsam Stamm und Wurzel eines Baumes &#x2014;, so<lb/>
finden wir doch nicht häufig Vorschläge bei ihm, die sich darauf bezögen.<lb/>
Oster empfiehlt er den Kleebau und die Einführung der Kartoffel. Mit merk¬<lb/>
würdiger Ausdauer tritt er für den Seidenbau ein. Da er den jährlichen Schaden<lb/>
Deutschlands durch Einfuhr von Seide auf eine Million Thaler (?) berechnete,<lb/>
so wünschte er, daß in Deutschland selbst Seidenwürmer gezogen würden. Er selbst<lb/>
machte in Hannover Versuche, und in seinem Garten vor dem Agidienthor waren<lb/>
Maulbeerbäume angepflanzt. Die Seidenraupen, erzählt Eckart, arteten (?)<lb/>
wohl auch. Da er aber uicht auf alle Dinge sah und keine tüchtigen Leute<lb/>
dazu gebrauchte, so hatte er mehr Schaden als Nutzen davon. Dennoch ließ<lb/>
er nicht davon ab, sondern betrieb die Sache bis an sein Ende. Ja er erwarb<lb/>
sich von den Königen von Preußen und von Polen Privilegien, in ihren Ländern<lb/>
an passenden Orten Maulbeerbnume zu pflanzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] Lande an jedem Ort ungefähr konsumirt; womit sich jeder ernährt, wieviel er durch seine Arbeit verdient oder erarbeitet; Vergleich der Nahrung, der Macht und der Mittel des Landes, wie sie gegenwärtig sind, mit denen, 1618 und 1648 da waren; damit soll ein dri-San ä'^Ärssss verbunden werden, durch das man im ganzen Land erführe, was zu kaufen, zu verkaufen, zu lohnen, zu vermieten, zu verdingen, zu sehen, zu lernen, zu gebrauchen sei. Auf diese Weise soll sich der Fürst Gewißheit über die Bedürfnisse und die Erzeugungskraft des Landes verschaffen, und darnach planmäßig, nicht blind nmhertappend oder sich dem Zufalle überlassend, handeln und eingreifen, wo es nötig ist. Um aber noch besser zum Ziele zu kommen, schlägt Leibniz in einer zweiten Denkschrift die Einsetzung eines Kollegiums, einer Art von Volks¬ wirtschaftsrat vor. Dieser Rat soll seinen Sitz in der Hauptstadt, in der Nähe des Fürsten haben, aber mit den einzelnen Landesteilen in Verbindung stehen. Seine Aufgabe wäre, sich nicht bloß um Handel und Gewerbe, sondern anch um die Landwirtschaft zu kümmern und da besonders für Austrocknung von Sümpfen, Verbesserung der Grundstücke, Anpflanzung von Heilkräutern, Frucht¬ bäumen und andern Gewächsen, für Erforschung und Aufschließung von Mine¬ ralien, für Züchtung und Verbreitung nützlicher Haustiere Sorge zu tragen. Er soll sich um die Gesundheit des Volkes und um andre Polizeisachen be¬ mühen, hauptsachlich aber um die Erziehung der Jugend, daß sie arbeitsam und geschickt werde. Endlich hätte es das Kollegium auch mit Künsten und Wissenschaften zu thun, doch nicht als solchen, sondern nur sofern ihre Aus¬ übung das allgemeine Leben angenehm zu machen und zu verschönen im Stande ist. Was in diesen beiden Denkschriften im Kern enthalten ist, wird in andern weiter ausgesponnen und genauer erörtert. Obgleich Leibniz die Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat sehr wohl erkannte — er nennt die Kultur des Landes einmal die Grundlage der Größe eines Volkes, gleichsam Stamm und Wurzel eines Baumes —, so finden wir doch nicht häufig Vorschläge bei ihm, die sich darauf bezögen. Oster empfiehlt er den Kleebau und die Einführung der Kartoffel. Mit merk¬ würdiger Ausdauer tritt er für den Seidenbau ein. Da er den jährlichen Schaden Deutschlands durch Einfuhr von Seide auf eine Million Thaler (?) berechnete, so wünschte er, daß in Deutschland selbst Seidenwürmer gezogen würden. Er selbst machte in Hannover Versuche, und in seinem Garten vor dem Agidienthor waren Maulbeerbäume angepflanzt. Die Seidenraupen, erzählt Eckart, arteten (?) wohl auch. Da er aber uicht auf alle Dinge sah und keine tüchtigen Leute dazu gebrauchte, so hatte er mehr Schaden als Nutzen davon. Dennoch ließ er nicht davon ab, sondern betrieb die Sache bis an sein Ende. Ja er erwarb sich von den Königen von Preußen und von Polen Privilegien, in ihren Ländern an passenden Orten Maulbeerbnume zu pflanzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/20>, abgerufen am 18.05.2024.