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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Teibniz als Volkswirt

gestanden hatten -- Augsburg und Nürnberg galten damals noch als die Schule
der Mechanik --, soll durch Errichtung von Sozietäten in der schon angedeu¬
teten Weise gewehrt werden.

Um aber genügende Arbeitskräfte zur Hand zu haben, soll man Müssig-
gänger, Bettler und spitalmäßige Übelthäter nicht mehr auf die Galeeren
schmieden oder zur Todesstrafe, die keinem etwas nütze, verurteilen, sondern
Zucht- und Werkhüuser errichten. Noch wichtiger ist Leibnizens Hinweis auf
das Maschinenwesen und den Vorteil, der daraus für die Handwerke entstehen
könne. Es ist schon erwähnt, daß er selbst für die hannoverschen Staatswerke
im Harz ein Getriebe konstruirt hatte. Auch das Kleingewerbe und die Hand¬
werke wünscht er von Staatswegen "mit Instrumenten zu erleichtern, daß sie
stets währendes, nnköstliches Feuer und Bewegung als Fundamente aller
mechanischen Wirkung haben." Aber trotz der Unterstützung, die Leibniz von
den Fürsten verlangte, konnten Handel und Gewerbe nicht recht gedeihen. Die
Zerrissenheit Deutschlands hinderte den Verkehr. Was nützten Deutschland
alle seine vortrefflichen natürlichen Verkehrsadern, da die Einzelstaaten, jeder
nur auf seinen Vorteil bedacht, ohne den Blick auf das Ganze zu richten, sie
durch sinnlose Zollstätten und Stapelplätze unterbunden hatten? Mit voller
Einsicht in diese Zustände und mit bestimmter Erkenntnis der alleinigen Abhilfe
fordert daher Leibniz einen gemeinsamen deutschen Handel und einen deutschen
Handelsverein. Nur die Einheit kann Deutschland auch in dieser Beziehung
von Europa frei machen. Daher behandelt er kommerzielle Fragen durchaus
als Reichsangelegenheiten und nicht als Sache der Einzelländer und Ländchen.
"Wer durchgehende Waren mit Zollen und Stapelpflicht beschwert, wer die
Handelsfreiheit mit den übrigen hemmt, der schadet ja offenbar dem ganzen
Reich," sind seine eignen Worte. Es soll ein Reichshandelskollegium und eine
deutsche Kompagnie, nach Art der ostindischen in Holland, entstehen, und an
ihre Spitze sollen der Kaiser und die mächtigsten deutschen Fürsten treten.
Das könnte eine Schatzkammer sür das Reich werden, und ans ihr könnten dem
Reiche Vorschüsse gewährt werden; den Außenhandel und das Seewesen müßte man
dann durch die Wiederherstellung des Hansebundes beleben und die Hansestädte
-- die zwar immer noch blühend und reich waren, von denen aber das Reich
so gut wie keinen Vorteil genoß -- in jene deutsche Handelseiniguug hinein¬
ziehen. Eine Flotte wird dann dem deutschen Handel gleichsam Flügel ver¬
leihen. Anziehend ist auch der Gedanke Leibnizens, eine Realunion durch das
Haus Habsburg, das in Spanien herrschte und in Italien und Deutschland
maßgebenden Einfluß besaß, zwischen diesen Ländern zu gründen, damit der
französische Handel erfolgreich bekämpft würde.

Mit diesen Plänen verfolgt Leibniz sogleich einen weiteren Zweck. Er will
nämlich dem deutschen Kapital neue Wirtschaftsgebiete eröffnen. Nach seiner
Äußerung wußten damals wohlhabende Leute nicht, wohin mit ihrem Gelde,


Teibniz als Volkswirt

gestanden hatten — Augsburg und Nürnberg galten damals noch als die Schule
der Mechanik —, soll durch Errichtung von Sozietäten in der schon angedeu¬
teten Weise gewehrt werden.

Um aber genügende Arbeitskräfte zur Hand zu haben, soll man Müssig-
gänger, Bettler und spitalmäßige Übelthäter nicht mehr auf die Galeeren
schmieden oder zur Todesstrafe, die keinem etwas nütze, verurteilen, sondern
Zucht- und Werkhüuser errichten. Noch wichtiger ist Leibnizens Hinweis auf
das Maschinenwesen und den Vorteil, der daraus für die Handwerke entstehen
könne. Es ist schon erwähnt, daß er selbst für die hannoverschen Staatswerke
im Harz ein Getriebe konstruirt hatte. Auch das Kleingewerbe und die Hand¬
werke wünscht er von Staatswegen „mit Instrumenten zu erleichtern, daß sie
stets währendes, nnköstliches Feuer und Bewegung als Fundamente aller
mechanischen Wirkung haben." Aber trotz der Unterstützung, die Leibniz von
den Fürsten verlangte, konnten Handel und Gewerbe nicht recht gedeihen. Die
Zerrissenheit Deutschlands hinderte den Verkehr. Was nützten Deutschland
alle seine vortrefflichen natürlichen Verkehrsadern, da die Einzelstaaten, jeder
nur auf seinen Vorteil bedacht, ohne den Blick auf das Ganze zu richten, sie
durch sinnlose Zollstätten und Stapelplätze unterbunden hatten? Mit voller
Einsicht in diese Zustände und mit bestimmter Erkenntnis der alleinigen Abhilfe
fordert daher Leibniz einen gemeinsamen deutschen Handel und einen deutschen
Handelsverein. Nur die Einheit kann Deutschland auch in dieser Beziehung
von Europa frei machen. Daher behandelt er kommerzielle Fragen durchaus
als Reichsangelegenheiten und nicht als Sache der Einzelländer und Ländchen.
„Wer durchgehende Waren mit Zollen und Stapelpflicht beschwert, wer die
Handelsfreiheit mit den übrigen hemmt, der schadet ja offenbar dem ganzen
Reich," sind seine eignen Worte. Es soll ein Reichshandelskollegium und eine
deutsche Kompagnie, nach Art der ostindischen in Holland, entstehen, und an
ihre Spitze sollen der Kaiser und die mächtigsten deutschen Fürsten treten.
Das könnte eine Schatzkammer sür das Reich werden, und ans ihr könnten dem
Reiche Vorschüsse gewährt werden; den Außenhandel und das Seewesen müßte man
dann durch die Wiederherstellung des Hansebundes beleben und die Hansestädte
— die zwar immer noch blühend und reich waren, von denen aber das Reich
so gut wie keinen Vorteil genoß — in jene deutsche Handelseiniguug hinein¬
ziehen. Eine Flotte wird dann dem deutschen Handel gleichsam Flügel ver¬
leihen. Anziehend ist auch der Gedanke Leibnizens, eine Realunion durch das
Haus Habsburg, das in Spanien herrschte und in Italien und Deutschland
maßgebenden Einfluß besaß, zwischen diesen Ländern zu gründen, damit der
französische Handel erfolgreich bekämpft würde.

Mit diesen Plänen verfolgt Leibniz sogleich einen weiteren Zweck. Er will
nämlich dem deutschen Kapital neue Wirtschaftsgebiete eröffnen. Nach seiner
Äußerung wußten damals wohlhabende Leute nicht, wohin mit ihrem Gelde,


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[0022] Teibniz als Volkswirt gestanden hatten — Augsburg und Nürnberg galten damals noch als die Schule der Mechanik —, soll durch Errichtung von Sozietäten in der schon angedeu¬ teten Weise gewehrt werden. Um aber genügende Arbeitskräfte zur Hand zu haben, soll man Müssig- gänger, Bettler und spitalmäßige Übelthäter nicht mehr auf die Galeeren schmieden oder zur Todesstrafe, die keinem etwas nütze, verurteilen, sondern Zucht- und Werkhüuser errichten. Noch wichtiger ist Leibnizens Hinweis auf das Maschinenwesen und den Vorteil, der daraus für die Handwerke entstehen könne. Es ist schon erwähnt, daß er selbst für die hannoverschen Staatswerke im Harz ein Getriebe konstruirt hatte. Auch das Kleingewerbe und die Hand¬ werke wünscht er von Staatswegen „mit Instrumenten zu erleichtern, daß sie stets währendes, nnköstliches Feuer und Bewegung als Fundamente aller mechanischen Wirkung haben." Aber trotz der Unterstützung, die Leibniz von den Fürsten verlangte, konnten Handel und Gewerbe nicht recht gedeihen. Die Zerrissenheit Deutschlands hinderte den Verkehr. Was nützten Deutschland alle seine vortrefflichen natürlichen Verkehrsadern, da die Einzelstaaten, jeder nur auf seinen Vorteil bedacht, ohne den Blick auf das Ganze zu richten, sie durch sinnlose Zollstätten und Stapelplätze unterbunden hatten? Mit voller Einsicht in diese Zustände und mit bestimmter Erkenntnis der alleinigen Abhilfe fordert daher Leibniz einen gemeinsamen deutschen Handel und einen deutschen Handelsverein. Nur die Einheit kann Deutschland auch in dieser Beziehung von Europa frei machen. Daher behandelt er kommerzielle Fragen durchaus als Reichsangelegenheiten und nicht als Sache der Einzelländer und Ländchen. „Wer durchgehende Waren mit Zollen und Stapelpflicht beschwert, wer die Handelsfreiheit mit den übrigen hemmt, der schadet ja offenbar dem ganzen Reich," sind seine eignen Worte. Es soll ein Reichshandelskollegium und eine deutsche Kompagnie, nach Art der ostindischen in Holland, entstehen, und an ihre Spitze sollen der Kaiser und die mächtigsten deutschen Fürsten treten. Das könnte eine Schatzkammer sür das Reich werden, und ans ihr könnten dem Reiche Vorschüsse gewährt werden; den Außenhandel und das Seewesen müßte man dann durch die Wiederherstellung des Hansebundes beleben und die Hansestädte — die zwar immer noch blühend und reich waren, von denen aber das Reich so gut wie keinen Vorteil genoß — in jene deutsche Handelseiniguug hinein¬ ziehen. Eine Flotte wird dann dem deutschen Handel gleichsam Flügel ver¬ leihen. Anziehend ist auch der Gedanke Leibnizens, eine Realunion durch das Haus Habsburg, das in Spanien herrschte und in Italien und Deutschland maßgebenden Einfluß besaß, zwischen diesen Ländern zu gründen, damit der französische Handel erfolgreich bekämpft würde. Mit diesen Plänen verfolgt Leibniz sogleich einen weiteren Zweck. Er will nämlich dem deutschen Kapital neue Wirtschaftsgebiete eröffnen. Nach seiner Äußerung wußten damals wohlhabende Leute nicht, wohin mit ihrem Gelde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/22>, abgerufen am 25.05.2024.