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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Schillerhetzer

Ihr großen deutschen Geister,
Ihr kritisirt nicht schlecht --
Ihr nennt einander Lumpen,
Und jeder von euch hat Recht!

Namentlich das letzte, ebenso neue als geschmackvoll gefaßte Epigramm hat
in Sebastian Brunners litterarischer Gemeinde einen solchen Beifallsstnrm ent¬
fesselt, daß der Meister sich entschloß, daraus "Hau- und Bausteine zu einer
Litteraturgeschichte der Deutschen" herauszuschlagen. So wenigstens erklären
wir uns den spat entdeckten neuesten Beruf Brunners zum Litterarhistoriker
feines Volkes. Ans dem Schachte des Wissens, den jenes Epigramm eröffnet,
quillt in der That seine ganze litterarhistorische Gelehrsamkeit, Wir finden
es daher auch wieder an der Spitze, nur in einer noch geistreicheren Form:


Bis in die innersten Herzensfalteu
Haben die Herren genau sich gekannt,
Ist eS erlaubt sür wahr zu halten,
Was (so!) sie sich gegenseitig genannt?

Von diesen "Hau- nud Bausteinen" sind folgende bisher der deutschen
Litteratur in die Fenster geworfen worden, denn es find eben "Hau"-Steine
einer ganz besondern Sorte: Vater Gleim, der Seher Gottes (das hätte sich
der gute Alte mich nicht träumen lassen, dazu verwendet zu werden), DerLouisen-
tempel (Vossens Louise, die gute brave Kaffeeschlvester!), Drei Stichproben aus
der Goethe-Litteratur, Voß und Dichterbatailleu <?), Der Himmel voller Geigen
zu Weimar, Don Quixotte (so!) nud Sancho Pansa ans dem liberalen Pnrnasse
(Anastasius Grün und - Bauernfeld als Vertreter des "deutscheu Parnaß"!)

Jedenfalls wird mau zugeben müssen, daß unser litterarischer Baumeister
nicht gerade sehr wählerisch in der Auswahl und Zusantmenstellung seiner
"Hausteine" ist. Besonders lehrreich dafür ist fein (vorläufig) neuester der¬
artiger "Beitrag" zum litterarhistorische" Tempel (schon drohen drei, vier neue!)
Allerhand Tugendbolde aus der AustUürungsgilde. Gegen den Willen
ihrer Verehrer ins rechte Licht gestellt von Sebastian Brunner (Pader-
born, 1"""). Wunderlich genug säugt hier auch noch das Motto -- ohne
das thut ers nun einmal nicht -- an: "So wie man aufhebt einen Stein."
Unter tiefere Hanstein findet sich nun eine merkwürdige, höchst geiuifchte Ge¬
sellschaft zustimme". Der Freiherr von Knigge und "die Rachel" (unser
gelehrter Litterarhistoriker meint natürlich nicht die französische Schauspielerin,
sondern Nadel Levin-Varnhagen), Fichte und Nikolai, Wielmid und der In-
dustrieritter des Sturmes und Dranges, Kaufmann, Bettina und Matthias
Claudius, der Schmutzfink Blumauer und der Kautertlärer Reinhold u. f. w.
Leute aus allen geistigen Wagentlassen, die offenbar sehr erstaunt sind, sich hier
in einem Käfig als höchst "erschröckliche" und gefährliche wilde Männer zu Nutz
und Frommen des dentschen Volkes zusmnnieugepfercht zu sehen. Denn sie


Goethe- und Schillerhetzer

Ihr großen deutschen Geister,
Ihr kritisirt nicht schlecht —
Ihr nennt einander Lumpen,
Und jeder von euch hat Recht!

Namentlich das letzte, ebenso neue als geschmackvoll gefaßte Epigramm hat
in Sebastian Brunners litterarischer Gemeinde einen solchen Beifallsstnrm ent¬
fesselt, daß der Meister sich entschloß, daraus „Hau- und Bausteine zu einer
Litteraturgeschichte der Deutschen" herauszuschlagen. So wenigstens erklären
wir uns den spat entdeckten neuesten Beruf Brunners zum Litterarhistoriker
feines Volkes. Ans dem Schachte des Wissens, den jenes Epigramm eröffnet,
quillt in der That seine ganze litterarhistorische Gelehrsamkeit, Wir finden
es daher auch wieder an der Spitze, nur in einer noch geistreicheren Form:


Bis in die innersten Herzensfalteu
Haben die Herren genau sich gekannt,
Ist eS erlaubt sür wahr zu halten,
Was (so!) sie sich gegenseitig genannt?

Von diesen „Hau- nud Bausteinen" sind folgende bisher der deutschen
Litteratur in die Fenster geworfen worden, denn es find eben „Hau"-Steine
einer ganz besondern Sorte: Vater Gleim, der Seher Gottes (das hätte sich
der gute Alte mich nicht träumen lassen, dazu verwendet zu werden), DerLouisen-
tempel (Vossens Louise, die gute brave Kaffeeschlvester!), Drei Stichproben aus
der Goethe-Litteratur, Voß und Dichterbatailleu <?), Der Himmel voller Geigen
zu Weimar, Don Quixotte (so!) nud Sancho Pansa ans dem liberalen Pnrnasse
(Anastasius Grün und - Bauernfeld als Vertreter des „deutscheu Parnaß"!)

Jedenfalls wird mau zugeben müssen, daß unser litterarischer Baumeister
nicht gerade sehr wählerisch in der Auswahl und Zusantmenstellung seiner
„Hausteine" ist. Besonders lehrreich dafür ist fein (vorläufig) neuester der¬
artiger „Beitrag" zum litterarhistorische» Tempel (schon drohen drei, vier neue!)
Allerhand Tugendbolde aus der AustUürungsgilde. Gegen den Willen
ihrer Verehrer ins rechte Licht gestellt von Sebastian Brunner (Pader-
born, 1»»»). Wunderlich genug säugt hier auch noch das Motto — ohne
das thut ers nun einmal nicht — an: „So wie man aufhebt einen Stein."
Unter tiefere Hanstein findet sich nun eine merkwürdige, höchst geiuifchte Ge¬
sellschaft zustimme». Der Freiherr von Knigge und „die Rachel" (unser
gelehrter Litterarhistoriker meint natürlich nicht die französische Schauspielerin,
sondern Nadel Levin-Varnhagen), Fichte und Nikolai, Wielmid und der In-
dustrieritter des Sturmes und Dranges, Kaufmann, Bettina und Matthias
Claudius, der Schmutzfink Blumauer und der Kautertlärer Reinhold u. f. w.
Leute aus allen geistigen Wagentlassen, die offenbar sehr erstaunt sind, sich hier
in einem Käfig als höchst „erschröckliche" und gefährliche wilde Männer zu Nutz
und Frommen des dentschen Volkes zusmnnieugepfercht zu sehen. Denn sie


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[0028] Goethe- und Schillerhetzer Ihr großen deutschen Geister, Ihr kritisirt nicht schlecht — Ihr nennt einander Lumpen, Und jeder von euch hat Recht! Namentlich das letzte, ebenso neue als geschmackvoll gefaßte Epigramm hat in Sebastian Brunners litterarischer Gemeinde einen solchen Beifallsstnrm ent¬ fesselt, daß der Meister sich entschloß, daraus „Hau- und Bausteine zu einer Litteraturgeschichte der Deutschen" herauszuschlagen. So wenigstens erklären wir uns den spat entdeckten neuesten Beruf Brunners zum Litterarhistoriker feines Volkes. Ans dem Schachte des Wissens, den jenes Epigramm eröffnet, quillt in der That seine ganze litterarhistorische Gelehrsamkeit, Wir finden es daher auch wieder an der Spitze, nur in einer noch geistreicheren Form: Bis in die innersten Herzensfalteu Haben die Herren genau sich gekannt, Ist eS erlaubt sür wahr zu halten, Was (so!) sie sich gegenseitig genannt? Von diesen „Hau- nud Bausteinen" sind folgende bisher der deutschen Litteratur in die Fenster geworfen worden, denn es find eben „Hau"-Steine einer ganz besondern Sorte: Vater Gleim, der Seher Gottes (das hätte sich der gute Alte mich nicht träumen lassen, dazu verwendet zu werden), DerLouisen- tempel (Vossens Louise, die gute brave Kaffeeschlvester!), Drei Stichproben aus der Goethe-Litteratur, Voß und Dichterbatailleu <?), Der Himmel voller Geigen zu Weimar, Don Quixotte (so!) nud Sancho Pansa ans dem liberalen Pnrnasse (Anastasius Grün und - Bauernfeld als Vertreter des „deutscheu Parnaß"!) Jedenfalls wird mau zugeben müssen, daß unser litterarischer Baumeister nicht gerade sehr wählerisch in der Auswahl und Zusantmenstellung seiner „Hausteine" ist. Besonders lehrreich dafür ist fein (vorläufig) neuester der¬ artiger „Beitrag" zum litterarhistorische» Tempel (schon drohen drei, vier neue!) Allerhand Tugendbolde aus der AustUürungsgilde. Gegen den Willen ihrer Verehrer ins rechte Licht gestellt von Sebastian Brunner (Pader- born, 1»»»). Wunderlich genug säugt hier auch noch das Motto — ohne das thut ers nun einmal nicht — an: „So wie man aufhebt einen Stein." Unter tiefere Hanstein findet sich nun eine merkwürdige, höchst geiuifchte Ge¬ sellschaft zustimme». Der Freiherr von Knigge und „die Rachel" (unser gelehrter Litterarhistoriker meint natürlich nicht die französische Schauspielerin, sondern Nadel Levin-Varnhagen), Fichte und Nikolai, Wielmid und der In- dustrieritter des Sturmes und Dranges, Kaufmann, Bettina und Matthias Claudius, der Schmutzfink Blumauer und der Kautertlärer Reinhold u. f. w. Leute aus allen geistigen Wagentlassen, die offenbar sehr erstaunt sind, sich hier in einem Käfig als höchst „erschröckliche" und gefährliche wilde Männer zu Nutz und Frommen des dentschen Volkes zusmnnieugepfercht zu sehen. Denn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/28>, abgerufen am 25.05.2024.