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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die jüngste Schule

-- bestimmt sind, direkt in die Entwicklung der modernen deutschen Lyrik ein¬
zugreifen." Der neue junge Goethe -- aber mit Bewußtsein. Er (Henckell)
läßt sich nicht wohlfeil abspeisen, weder Albert Träger, noch Julius Wolfs,
noch Paul Lindau erscheint ihm würdig zur litterarischen Führung des deutschen
Volkes; man denke! nicht einmal Trüger, von Stinte und Schönthan garnicht
zu reden. Vielmehr führt er 21 junge Dichter an, die gleich ihm fest ent¬
schlossen sind, der Zukunft "eine bedeutsame Litteratur, eine große Poesie"
zu geben.

Hier werden nur denn die neue Schule vor uns haben? Allerdings.
Doch wird bei Arme eine "ungesunde Liebäugelei mit Schmerzen oder eine
noch ungesündere Sinuentanmelei," bei Conradi "der Verzweiflungskampf einer
äußerlich kraftstrotzenden, innerlich aber schwachen Natur mit der Sünde," bei
Henckell "frühreife anempfundene, Krankheit und Müdigkeit" und "manches
herzlich Unbedeutende" mißfällig bemerkt. Hingegen kann in W. Kirchbach
"der lyrische Dichter vor der Denkernatur" uicht recht auskommen, wahrend
Arno Holz "noch recht weitschweifig und oft plump, aber heiligen Ernstes voll
ist," seine "löbliche Tendenz, wirkungsvolle Rhetorik nicht zu Poesie verklärt"
hat, und Karl Bleibtreus Gedichte keinen "originellen lyrischen Wert bekunden."
Das Schlußurteil lautet dahin, daß die "Sammlung des lyrischen Juug-
Deutschlauds neben vielem Mittelmäßigen mancherlei echte und neue Poesie,
neben vielen großen Versprechungen einzelne hoffnungsvolle Leistungen bringt,"
und daß sie vor allein "nach außen als That wirkte, denn hier war zum ersten¬
male der überkommenen und verkommenen litterarischen Richtung die eigent¬
liche Fehde angesagt." Merkwürdig, wir hatten geglaubt, das sei bereits durch
die Brüder Hart besorgt worden! Doch auch dieses Ursagen der eigentlichen
Fehde genügte noch nicht, erst mußte noch Paul Fritsche kommen, und "ein
Programm entwerfen," und endlich Karl Bleibtreu "ein weithin schallendes
Sturmsignal: Revolution der Litteratur! ertönen lassen."

Und das war gut. Alle die mit vollem Backen ausposaunten Manifeste
geben uns keine Aufklärung, um was es sich eigentlich bei der Mobilisirung
des litterarischen Landsturms handelt, Bleibtreu bringt eine positive Leistung.
Wenn er versichert, daß dem "Uuiversalmenschen" Goethe bei seinem "einseitigen
Entwicklungsgange" "äußerst natürlich" "der Sinn für das Historische völlig
gebrach," und daß "die scheußliche Goethomauie den Sinu für Realismus, für
das Moderne, für das Historische und, rund herausgesagt, überhaupt für das
Große vergiftet," so ist das in Wahrheit eine That, "national dem Geiste
nach," die Wiedererweckung des braven alten Hanswurst, der den Bombast
seines Herrn und Meisters drollig übertrumpft und act -idtzuräum führt. Diese
urwüchsige Komik thut wohl, man sieht doch, wo und wie.

Leider vergällt uns Eugen Wolff unsre Freude wieder, indem er Bleibtreus
Prvgrmnmsätze zum Teil unrichtig, zum Teil "uicht mehr ganz neu" findet.


Die jüngste Schule

— bestimmt sind, direkt in die Entwicklung der modernen deutschen Lyrik ein¬
zugreifen." Der neue junge Goethe — aber mit Bewußtsein. Er (Henckell)
läßt sich nicht wohlfeil abspeisen, weder Albert Träger, noch Julius Wolfs,
noch Paul Lindau erscheint ihm würdig zur litterarischen Führung des deutschen
Volkes; man denke! nicht einmal Trüger, von Stinte und Schönthan garnicht
zu reden. Vielmehr führt er 21 junge Dichter an, die gleich ihm fest ent¬
schlossen sind, der Zukunft „eine bedeutsame Litteratur, eine große Poesie"
zu geben.

Hier werden nur denn die neue Schule vor uns haben? Allerdings.
Doch wird bei Arme eine „ungesunde Liebäugelei mit Schmerzen oder eine
noch ungesündere Sinuentanmelei," bei Conradi „der Verzweiflungskampf einer
äußerlich kraftstrotzenden, innerlich aber schwachen Natur mit der Sünde," bei
Henckell „frühreife anempfundene, Krankheit und Müdigkeit" und „manches
herzlich Unbedeutende" mißfällig bemerkt. Hingegen kann in W. Kirchbach
„der lyrische Dichter vor der Denkernatur" uicht recht auskommen, wahrend
Arno Holz „noch recht weitschweifig und oft plump, aber heiligen Ernstes voll
ist," seine „löbliche Tendenz, wirkungsvolle Rhetorik nicht zu Poesie verklärt"
hat, und Karl Bleibtreus Gedichte keinen „originellen lyrischen Wert bekunden."
Das Schlußurteil lautet dahin, daß die „Sammlung des lyrischen Juug-
Deutschlauds neben vielem Mittelmäßigen mancherlei echte und neue Poesie,
neben vielen großen Versprechungen einzelne hoffnungsvolle Leistungen bringt,"
und daß sie vor allein „nach außen als That wirkte, denn hier war zum ersten¬
male der überkommenen und verkommenen litterarischen Richtung die eigent¬
liche Fehde angesagt." Merkwürdig, wir hatten geglaubt, das sei bereits durch
die Brüder Hart besorgt worden! Doch auch dieses Ursagen der eigentlichen
Fehde genügte noch nicht, erst mußte noch Paul Fritsche kommen, und „ein
Programm entwerfen," und endlich Karl Bleibtreu „ein weithin schallendes
Sturmsignal: Revolution der Litteratur! ertönen lassen."

Und das war gut. Alle die mit vollem Backen ausposaunten Manifeste
geben uns keine Aufklärung, um was es sich eigentlich bei der Mobilisirung
des litterarischen Landsturms handelt, Bleibtreu bringt eine positive Leistung.
Wenn er versichert, daß dem „Uuiversalmenschen" Goethe bei seinem „einseitigen
Entwicklungsgange" „äußerst natürlich" „der Sinn für das Historische völlig
gebrach," und daß „die scheußliche Goethomauie den Sinu für Realismus, für
das Moderne, für das Historische und, rund herausgesagt, überhaupt für das
Große vergiftet," so ist das in Wahrheit eine That, „national dem Geiste
nach," die Wiedererweckung des braven alten Hanswurst, der den Bombast
seines Herrn und Meisters drollig übertrumpft und act -idtzuräum führt. Diese
urwüchsige Komik thut wohl, man sieht doch, wo und wie.

Leider vergällt uns Eugen Wolff unsre Freude wieder, indem er Bleibtreus
Prvgrmnmsätze zum Teil unrichtig, zum Teil „uicht mehr ganz neu" findet.


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[0037] Die jüngste Schule — bestimmt sind, direkt in die Entwicklung der modernen deutschen Lyrik ein¬ zugreifen." Der neue junge Goethe — aber mit Bewußtsein. Er (Henckell) läßt sich nicht wohlfeil abspeisen, weder Albert Träger, noch Julius Wolfs, noch Paul Lindau erscheint ihm würdig zur litterarischen Führung des deutschen Volkes; man denke! nicht einmal Trüger, von Stinte und Schönthan garnicht zu reden. Vielmehr führt er 21 junge Dichter an, die gleich ihm fest ent¬ schlossen sind, der Zukunft „eine bedeutsame Litteratur, eine große Poesie" zu geben. Hier werden nur denn die neue Schule vor uns haben? Allerdings. Doch wird bei Arme eine „ungesunde Liebäugelei mit Schmerzen oder eine noch ungesündere Sinuentanmelei," bei Conradi „der Verzweiflungskampf einer äußerlich kraftstrotzenden, innerlich aber schwachen Natur mit der Sünde," bei Henckell „frühreife anempfundene, Krankheit und Müdigkeit" und „manches herzlich Unbedeutende" mißfällig bemerkt. Hingegen kann in W. Kirchbach „der lyrische Dichter vor der Denkernatur" uicht recht auskommen, wahrend Arno Holz „noch recht weitschweifig und oft plump, aber heiligen Ernstes voll ist," seine „löbliche Tendenz, wirkungsvolle Rhetorik nicht zu Poesie verklärt" hat, und Karl Bleibtreus Gedichte keinen „originellen lyrischen Wert bekunden." Das Schlußurteil lautet dahin, daß die „Sammlung des lyrischen Juug- Deutschlauds neben vielem Mittelmäßigen mancherlei echte und neue Poesie, neben vielen großen Versprechungen einzelne hoffnungsvolle Leistungen bringt," und daß sie vor allein „nach außen als That wirkte, denn hier war zum ersten¬ male der überkommenen und verkommenen litterarischen Richtung die eigent¬ liche Fehde angesagt." Merkwürdig, wir hatten geglaubt, das sei bereits durch die Brüder Hart besorgt worden! Doch auch dieses Ursagen der eigentlichen Fehde genügte noch nicht, erst mußte noch Paul Fritsche kommen, und „ein Programm entwerfen," und endlich Karl Bleibtreu „ein weithin schallendes Sturmsignal: Revolution der Litteratur! ertönen lassen." Und das war gut. Alle die mit vollem Backen ausposaunten Manifeste geben uns keine Aufklärung, um was es sich eigentlich bei der Mobilisirung des litterarischen Landsturms handelt, Bleibtreu bringt eine positive Leistung. Wenn er versichert, daß dem „Uuiversalmenschen" Goethe bei seinem „einseitigen Entwicklungsgange" „äußerst natürlich" „der Sinn für das Historische völlig gebrach," und daß „die scheußliche Goethomauie den Sinu für Realismus, für das Moderne, für das Historische und, rund herausgesagt, überhaupt für das Große vergiftet," so ist das in Wahrheit eine That, „national dem Geiste nach," die Wiedererweckung des braven alten Hanswurst, der den Bombast seines Herrn und Meisters drollig übertrumpft und act -idtzuräum führt. Diese urwüchsige Komik thut wohl, man sieht doch, wo und wie. Leider vergällt uns Eugen Wolff unsre Freude wieder, indem er Bleibtreus Prvgrmnmsätze zum Teil unrichtig, zum Teil „uicht mehr ganz neu" findet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/37>, abgerufen am 18.05.2024.