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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Richis letztes Novellcnbuch

und Gedanken selbst zu machen. Ein Vortrag, entsprechend dem Stil des alten
Holzschnittes, sitzt darum solchen Geschichten besonders gut." Mit diesen Worten
charakterisirt Riehl Vorzug und bewußte Haltung seiner meisten und auch dieser
neuesten Novellen vortrefflich und ausreichend. Er ist unter den Erzählern
im Holzschnittstil, bei denen das meiste auf kräftigen Umriß, auf Hervorhebung
der sprechendsten Züge, auf glückliche Andeutung des Entfernteren ankommt,
ein Meister, der seines gleichen sucht. Nur sollte die Anerkennung, die man dem
glücklichen ud phantasiereichen Zeichner für den Holzschnitt zollt, nicht dahin
führen, nach leidiger, deutscher Sitte sofort mit dem Künstler andrer Richtung,
sagen wir mit dem Aquarellisten, in Hader zu geraten. Daß Richts Novellen neben
denen Kellers, Heyses, Storms, der Ebner-Eschenbach und andrer nichts zu be¬
deuten hätten, ist ein Irrtum; daß umgekehrt die ausgeführte, farbenreiche,
stimmungsvolle Novelle einer Reihe unsrer besten Dichter nichts bedeute, ist eine
Unwahrheit. Das Verständnis für Kunst und Verdienst des Holzschnittes schließt
das Verständnis für Kunst und Verdienst des Aquarellbildes nicht aus; für
beide Richtungen giebt es Grenzen, mit beiden sind gewisse Gefahren verbunden.
Wir haben hier die der ausgeführten, psychologisch feinere Empfindungen
und Stimmungen breiter ausmalenden Novelle nicht zu erörtern. Die Gefahren
der -- sagen wir mit Riehl -- Holzschnittnvvelle liegen in der^ allzugroßen
Freiheit des erfindenden Dichters, der, da er die Situationen nicht auszuführen,
die Übergänge nicht lebendig darzustellen, sondern nur zu berichten braucht,
gelegentlich der "Bescheidenheit der Natur" ein Schnippchen schlagen kann, sie
liegen in der Leichtigkeit, womit Gedankeuwaudlungeu, Gemütserschütterungen,
innere Katastrophen behauptet werden können, ohne überzeugend dargestellt zu
werden, sie liegen endlich in der Möglichkeit, äußere Ereignisse ohne besondere
Motivirung und ohne die dazwischen liegenden Vorbereitungsmomente zu ver¬
knüpfen. Vonall diesen Freiheiten wird natürlich ein Meister wie Riehl nur bescheid-.
nen Gebrauch machen, er wird sich vor der Willkür hüten, Handlungen zu vor¬
gefaßten moralischen Sentenzen zu erdenken oder Menschengestalten durch
Situationen zu geleiten, die bei ausgeführter, dramatisch anschaulicher Dar¬
stellung vollkommen unmöglich wären. Er wird in dem glücklichen Falle sein,
gelegentlich ein Erlebnis, einen Konflikt im engen Rahmen der Novelle dar¬
stellen zu können, das in der Aquarellmanier (um bei unserm wie die meisten
wilder nicht vollkommen zutreffenden Bilde zu bleiben) einen ganzen kleinen
Roman beanspruchen würde, und wird doch der Versuchung ausweichen, ein
Weltbild in der einfachen Erzählung spiegeln zu wollen. Er wird aber selbst
wenigsten verkennen, daß gar viele zur Holzschnittmanier greifen, weil sie
der lebendig-realistischen, in glaubhafte Wirklichkeit verwandelten Ausführung
ihrer Erfindungen nicht gewachsen sind und meinen, im "Umriß" gehe jede
Verzeichnung und jedes Mißverhältnis der Proportionen hin, während bekannt¬
lich das Gegenteil der Fall ist.


Richis letztes Novellcnbuch

und Gedanken selbst zu machen. Ein Vortrag, entsprechend dem Stil des alten
Holzschnittes, sitzt darum solchen Geschichten besonders gut." Mit diesen Worten
charakterisirt Riehl Vorzug und bewußte Haltung seiner meisten und auch dieser
neuesten Novellen vortrefflich und ausreichend. Er ist unter den Erzählern
im Holzschnittstil, bei denen das meiste auf kräftigen Umriß, auf Hervorhebung
der sprechendsten Züge, auf glückliche Andeutung des Entfernteren ankommt,
ein Meister, der seines gleichen sucht. Nur sollte die Anerkennung, die man dem
glücklichen ud phantasiereichen Zeichner für den Holzschnitt zollt, nicht dahin
führen, nach leidiger, deutscher Sitte sofort mit dem Künstler andrer Richtung,
sagen wir mit dem Aquarellisten, in Hader zu geraten. Daß Richts Novellen neben
denen Kellers, Heyses, Storms, der Ebner-Eschenbach und andrer nichts zu be¬
deuten hätten, ist ein Irrtum; daß umgekehrt die ausgeführte, farbenreiche,
stimmungsvolle Novelle einer Reihe unsrer besten Dichter nichts bedeute, ist eine
Unwahrheit. Das Verständnis für Kunst und Verdienst des Holzschnittes schließt
das Verständnis für Kunst und Verdienst des Aquarellbildes nicht aus; für
beide Richtungen giebt es Grenzen, mit beiden sind gewisse Gefahren verbunden.
Wir haben hier die der ausgeführten, psychologisch feinere Empfindungen
und Stimmungen breiter ausmalenden Novelle nicht zu erörtern. Die Gefahren
der — sagen wir mit Riehl — Holzschnittnvvelle liegen in der^ allzugroßen
Freiheit des erfindenden Dichters, der, da er die Situationen nicht auszuführen,
die Übergänge nicht lebendig darzustellen, sondern nur zu berichten braucht,
gelegentlich der „Bescheidenheit der Natur" ein Schnippchen schlagen kann, sie
liegen in der Leichtigkeit, womit Gedankeuwaudlungeu, Gemütserschütterungen,
innere Katastrophen behauptet werden können, ohne überzeugend dargestellt zu
werden, sie liegen endlich in der Möglichkeit, äußere Ereignisse ohne besondere
Motivirung und ohne die dazwischen liegenden Vorbereitungsmomente zu ver¬
knüpfen. Vonall diesen Freiheiten wird natürlich ein Meister wie Riehl nur bescheid-.
nen Gebrauch machen, er wird sich vor der Willkür hüten, Handlungen zu vor¬
gefaßten moralischen Sentenzen zu erdenken oder Menschengestalten durch
Situationen zu geleiten, die bei ausgeführter, dramatisch anschaulicher Dar¬
stellung vollkommen unmöglich wären. Er wird in dem glücklichen Falle sein,
gelegentlich ein Erlebnis, einen Konflikt im engen Rahmen der Novelle dar¬
stellen zu können, das in der Aquarellmanier (um bei unserm wie die meisten
wilder nicht vollkommen zutreffenden Bilde zu bleiben) einen ganzen kleinen
Roman beanspruchen würde, und wird doch der Versuchung ausweichen, ein
Weltbild in der einfachen Erzählung spiegeln zu wollen. Er wird aber selbst
wenigsten verkennen, daß gar viele zur Holzschnittmanier greifen, weil sie
der lebendig-realistischen, in glaubhafte Wirklichkeit verwandelten Ausführung
ihrer Erfindungen nicht gewachsen sind und meinen, im „Umriß" gehe jede
Verzeichnung und jedes Mißverhältnis der Proportionen hin, während bekannt¬
lich das Gegenteil der Fall ist.


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[0043] Richis letztes Novellcnbuch und Gedanken selbst zu machen. Ein Vortrag, entsprechend dem Stil des alten Holzschnittes, sitzt darum solchen Geschichten besonders gut." Mit diesen Worten charakterisirt Riehl Vorzug und bewußte Haltung seiner meisten und auch dieser neuesten Novellen vortrefflich und ausreichend. Er ist unter den Erzählern im Holzschnittstil, bei denen das meiste auf kräftigen Umriß, auf Hervorhebung der sprechendsten Züge, auf glückliche Andeutung des Entfernteren ankommt, ein Meister, der seines gleichen sucht. Nur sollte die Anerkennung, die man dem glücklichen ud phantasiereichen Zeichner für den Holzschnitt zollt, nicht dahin führen, nach leidiger, deutscher Sitte sofort mit dem Künstler andrer Richtung, sagen wir mit dem Aquarellisten, in Hader zu geraten. Daß Richts Novellen neben denen Kellers, Heyses, Storms, der Ebner-Eschenbach und andrer nichts zu be¬ deuten hätten, ist ein Irrtum; daß umgekehrt die ausgeführte, farbenreiche, stimmungsvolle Novelle einer Reihe unsrer besten Dichter nichts bedeute, ist eine Unwahrheit. Das Verständnis für Kunst und Verdienst des Holzschnittes schließt das Verständnis für Kunst und Verdienst des Aquarellbildes nicht aus; für beide Richtungen giebt es Grenzen, mit beiden sind gewisse Gefahren verbunden. Wir haben hier die der ausgeführten, psychologisch feinere Empfindungen und Stimmungen breiter ausmalenden Novelle nicht zu erörtern. Die Gefahren der — sagen wir mit Riehl — Holzschnittnvvelle liegen in der^ allzugroßen Freiheit des erfindenden Dichters, der, da er die Situationen nicht auszuführen, die Übergänge nicht lebendig darzustellen, sondern nur zu berichten braucht, gelegentlich der „Bescheidenheit der Natur" ein Schnippchen schlagen kann, sie liegen in der Leichtigkeit, womit Gedankeuwaudlungeu, Gemütserschütterungen, innere Katastrophen behauptet werden können, ohne überzeugend dargestellt zu werden, sie liegen endlich in der Möglichkeit, äußere Ereignisse ohne besondere Motivirung und ohne die dazwischen liegenden Vorbereitungsmomente zu ver¬ knüpfen. Vonall diesen Freiheiten wird natürlich ein Meister wie Riehl nur bescheid-. nen Gebrauch machen, er wird sich vor der Willkür hüten, Handlungen zu vor¬ gefaßten moralischen Sentenzen zu erdenken oder Menschengestalten durch Situationen zu geleiten, die bei ausgeführter, dramatisch anschaulicher Dar¬ stellung vollkommen unmöglich wären. Er wird in dem glücklichen Falle sein, gelegentlich ein Erlebnis, einen Konflikt im engen Rahmen der Novelle dar¬ stellen zu können, das in der Aquarellmanier (um bei unserm wie die meisten wilder nicht vollkommen zutreffenden Bilde zu bleiben) einen ganzen kleinen Roman beanspruchen würde, und wird doch der Versuchung ausweichen, ein Weltbild in der einfachen Erzählung spiegeln zu wollen. Er wird aber selbst wenigsten verkennen, daß gar viele zur Holzschnittmanier greifen, weil sie der lebendig-realistischen, in glaubhafte Wirklichkeit verwandelten Ausführung ihrer Erfindungen nicht gewachsen sind und meinen, im „Umriß" gehe jede Verzeichnung und jedes Mißverhältnis der Proportionen hin, während bekannt¬ lich das Gegenteil der Fall ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/43>, abgerufen am 18.05.2024.