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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Richts letztes Ncwellenbnch

Eleonore, die Tochter des Kanzlers, und die Schlußszene stellen uns nicht bloß
Umrisse, sondern Lebensvorgänge selbst mit allen Farben und Stimmungen
vor Augen. In ihnen überkommt den knappen und vorwärtsdrängenden Er¬
zähler die Lust und die Macht des Dichters, der sein Empfinden und inneres
Anschauen Hörern und Lesern zugleich mit den Thatsachen aufzwingt, die er
berichtet. Am wenigsten ist dies der Fall in einer Erfindung, wie der Er¬
zählung "Am Quell der Genesung." Obschon sie mit gutem Humor eingeleitet
ist -- wie sich denn niemand dem Reiz in der Schilderung der Vergnügungsreise
des Herrn Eugen Milett entziehen wird -- leidet die Erzählung doch gegen ihren
Schluß hin an lehrhafter Unwahrscheinliche, die Mängel der Holzschnittmanier
machen sich unwillkürlich oder auch willkürlich geltend. Die beiden Ritter
geschichten dagegen am Eingänge und am Schlüsse des Bandes "Damals wie heute"
und "Die Gerechtigkeit Gottes" zeichnen sich durch dieselbe glückliche Mischung von
Lebensernst und Humor ans, die Riehl so oft bethätigt hat. In der modernen
Musikgeschichte "Hraäus g,et ?ÄrnÄL8ulu" ersteht der Psiffige Bediente der alt¬
spanischen Komödie in der Gestalt des genialen Stiefelwichsers Achilles Schneider
recht hübsch wieder, aber der Cembalist und Sonntenkvmponist Ludolf Hilmer
ist zu sehr der Träger jeuer wunderlichen musikalischen Anschauungen, nach
denen mau schließlich die kleinen Meister den großen, die unproduktiven Naturen
den produktiven vorziehen müßte. Es ist ja richtig, und kein wahrhaft künst¬
lerisch empfindender Mensch wird sich darüber täuschen, daß alle harmonisch reine
und edle Kirnst ein Gepräge von Schlichtheit hat und das Widerspiel zu eiteln
Künsten ist. Aber der Musiker, den Fräulein Marie Dagolf begehrt, gleicht
doch gar zu sehr dem Riesen, der zugleich wie ein Zwerg aussieht, und den
(wie Moritz von Schwind -- auch ein Münchner Meister! -- lachend zu sagen
Pflegte) die Leute fürs Leben gern hätten. Wenn Ludolf Hilmer, wie am
Schluß seiner Geschichte versichert wird, ein berühmter Tonsetzer geworden
ist, so kann das Schöne, das er geschaffen hat, eben nicht fo geklungen haben,
als ob es jeder machen könnte.

Doch nichts für ungut, die neuen Novellen Nichts find ja keine ästhetischen
oder kunstgeschichtlichen freien Borträge. Des jugendlichen Feuers, der kräftigen
Lebenslust, der frischen Teilnahme um Welt und Menschen, an Natur und
Kunst, die überall aus ihnen spricht, können wir uns von Herzen erfreuen, auch
ohne alle Anschauungen des Verfassers zu teilen. Wenn Riehl meint, er müsse
als Novellist fortwährend versichern, daß er kein Professor, und als Professor,
daß er kein Novellist sei, so ist das eine der minder erfreulichen Folgen des
glorreichen Zeitalters der Spezialität. Im großen und ganzen hindert dies
Zeitalter doch nicht, sich an einer tüchtigen, geistvollen Natur zu erfreuen, deren
Vielseitigkeit und Drang ins Weite durch einen gesunden Kern von Anschauungs¬
kraft, von gestaltenden Talent und von unartikulirter Frömmigkeit trefflich
zusammengehalten wird.


Richts letztes Ncwellenbnch

Eleonore, die Tochter des Kanzlers, und die Schlußszene stellen uns nicht bloß
Umrisse, sondern Lebensvorgänge selbst mit allen Farben und Stimmungen
vor Augen. In ihnen überkommt den knappen und vorwärtsdrängenden Er¬
zähler die Lust und die Macht des Dichters, der sein Empfinden und inneres
Anschauen Hörern und Lesern zugleich mit den Thatsachen aufzwingt, die er
berichtet. Am wenigsten ist dies der Fall in einer Erfindung, wie der Er¬
zählung „Am Quell der Genesung." Obschon sie mit gutem Humor eingeleitet
ist — wie sich denn niemand dem Reiz in der Schilderung der Vergnügungsreise
des Herrn Eugen Milett entziehen wird — leidet die Erzählung doch gegen ihren
Schluß hin an lehrhafter Unwahrscheinliche, die Mängel der Holzschnittmanier
machen sich unwillkürlich oder auch willkürlich geltend. Die beiden Ritter
geschichten dagegen am Eingänge und am Schlüsse des Bandes „Damals wie heute"
und „Die Gerechtigkeit Gottes" zeichnen sich durch dieselbe glückliche Mischung von
Lebensernst und Humor ans, die Riehl so oft bethätigt hat. In der modernen
Musikgeschichte „Hraäus g,et ?ÄrnÄL8ulu" ersteht der Psiffige Bediente der alt¬
spanischen Komödie in der Gestalt des genialen Stiefelwichsers Achilles Schneider
recht hübsch wieder, aber der Cembalist und Sonntenkvmponist Ludolf Hilmer
ist zu sehr der Träger jeuer wunderlichen musikalischen Anschauungen, nach
denen mau schließlich die kleinen Meister den großen, die unproduktiven Naturen
den produktiven vorziehen müßte. Es ist ja richtig, und kein wahrhaft künst¬
lerisch empfindender Mensch wird sich darüber täuschen, daß alle harmonisch reine
und edle Kirnst ein Gepräge von Schlichtheit hat und das Widerspiel zu eiteln
Künsten ist. Aber der Musiker, den Fräulein Marie Dagolf begehrt, gleicht
doch gar zu sehr dem Riesen, der zugleich wie ein Zwerg aussieht, und den
(wie Moritz von Schwind — auch ein Münchner Meister! — lachend zu sagen
Pflegte) die Leute fürs Leben gern hätten. Wenn Ludolf Hilmer, wie am
Schluß seiner Geschichte versichert wird, ein berühmter Tonsetzer geworden
ist, so kann das Schöne, das er geschaffen hat, eben nicht fo geklungen haben,
als ob es jeder machen könnte.

Doch nichts für ungut, die neuen Novellen Nichts find ja keine ästhetischen
oder kunstgeschichtlichen freien Borträge. Des jugendlichen Feuers, der kräftigen
Lebenslust, der frischen Teilnahme um Welt und Menschen, an Natur und
Kunst, die überall aus ihnen spricht, können wir uns von Herzen erfreuen, auch
ohne alle Anschauungen des Verfassers zu teilen. Wenn Riehl meint, er müsse
als Novellist fortwährend versichern, daß er kein Professor, und als Professor,
daß er kein Novellist sei, so ist das eine der minder erfreulichen Folgen des
glorreichen Zeitalters der Spezialität. Im großen und ganzen hindert dies
Zeitalter doch nicht, sich an einer tüchtigen, geistvollen Natur zu erfreuen, deren
Vielseitigkeit und Drang ins Weite durch einen gesunden Kern von Anschauungs¬
kraft, von gestaltenden Talent und von unartikulirter Frömmigkeit trefflich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/45>, abgerufen am 18.05.2024.