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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

herum, und es wurde Schule gehalten. Die Kleinen mußten von der Geburt
des Christkindes erzählen, zum großen Teil wörtlich in den Ausdrücken des Evan¬
geliums, dann wurde eine Zeit lang von den Bestandteilen des Baumes gesprochen
(Wurzeln, Stamm, Aeste, Zweige u. s. w,), dann kamen allerhand "Beschäftigungs¬
spiele" an die Reihe: Papierflechtcn, Ausstechen, Ausnähen u. dergl., und endlich
Wurden "Bewegungsspiele" gemacht und Liedchen dazu gesungen.

Es liegt mir fern, die Einrichtung und die Thätigkeit der Kindergärten hier
einer herben Kritik unterziehen zu wollen. Aber das muß ich sagen: was ich da
s"h und hörte, erschien mir zum großen Teil verfehlt, grundverfehlt. Am ehesten
konnte ich mich noch mit den "Beschäftigungsspielen" befreunden; die Kinder lernen
dabei ihre Augen und ihre kleinen ungeschickten Hände brauchen und werden zur
Ordnung, Sauberkeit, Sorgfalt angehalten. Bedenklicher schon erschien mir der
Unterricht. Nicht daß die Lehrerin die Sache falsch angefaßt und in die Kinder
hineingefüllt hätte, was sie vielmehr aus ihnen hätte herausholen sollen, aber fast
^es, was da getrieben wurde, erschien mir als durchaus verfrüht, namentlich
lui Hinblick auf die spätere Elementarschule. In welche Lage muß der Elementar¬
erer solchen Kindergartensprößlingen gegenüber kommen! Er wird seine liebe
^vt haben, sie zum Aufpassen zu bringen, weil sie sich immer einbilden werden,
M hätten ja alles im Kindergarten schon "gehabt". Der allcrbcdeuklichste Punkt
6ber in unserm Kindergartenweseu ist die "Poesie", mit der die Kleinen bei den
Bewegungsspielen gefüttert werden. Ich gebe ein paar Proben davon, wie ich sie
nur nachgeschrieben habe. Ein Liedchen, wozu die Kleinen tanzen, lautet:


Liebe Schwester, tanz mit mir,
Deine Händchen reiche mir,
Einmal hin, einmal her,
Und herum, das ist nicht schwer.
Noch einmal das schöne Spiel,
Weil mir's gar so sehr gefiel,
Einmal hin, einmal her,
Und herum, das ist nicht schwer.
El, das hätt' ich nicht gedacht,
Daß du's gar so schön gemacht,
Einmal bill, einmal her,
Und herum, das ist nicht schwer.

^eben sie jm Gänsemarsch im Zimmer herum, so singen sie:


Eine Schlange, eine Schlange
Machen wir ans unserm Gange,
El wie herrlich, el wie schön,
Wenn wir wie die Schlange gehn!

Bei einem dritten Spiele legt ein Kind seinen Kopf in den Schoß eines andern
no ^bli,,^.^ während die übrigen singen (nach der Melodie: Kommt ein Vogel
Lestogen):


DaS gemeinsame Spielen
Macht uns alle so froh,
Wenn allein wir uns fühlen,
Sind wir's lange nicht so.

°"u stellt sich ein Kind hinter das "blinzende", und die andern singen:


Da nun eine verschwunden,
Eine fehlet im Kreis,
Sollst du sie uns erkunde",
Sie erraten mit Fleiß.

Maßgebliches und Unmaßgebliches

herum, und es wurde Schule gehalten. Die Kleinen mußten von der Geburt
des Christkindes erzählen, zum großen Teil wörtlich in den Ausdrücken des Evan¬
geliums, dann wurde eine Zeit lang von den Bestandteilen des Baumes gesprochen
(Wurzeln, Stamm, Aeste, Zweige u. s. w,), dann kamen allerhand „Beschäftigungs¬
spiele" an die Reihe: Papierflechtcn, Ausstechen, Ausnähen u. dergl., und endlich
Wurden „Bewegungsspiele" gemacht und Liedchen dazu gesungen.

Es liegt mir fern, die Einrichtung und die Thätigkeit der Kindergärten hier
einer herben Kritik unterziehen zu wollen. Aber das muß ich sagen: was ich da
s"h und hörte, erschien mir zum großen Teil verfehlt, grundverfehlt. Am ehesten
konnte ich mich noch mit den „Beschäftigungsspielen" befreunden; die Kinder lernen
dabei ihre Augen und ihre kleinen ungeschickten Hände brauchen und werden zur
Ordnung, Sauberkeit, Sorgfalt angehalten. Bedenklicher schon erschien mir der
Unterricht. Nicht daß die Lehrerin die Sache falsch angefaßt und in die Kinder
hineingefüllt hätte, was sie vielmehr aus ihnen hätte herausholen sollen, aber fast
^es, was da getrieben wurde, erschien mir als durchaus verfrüht, namentlich
lui Hinblick auf die spätere Elementarschule. In welche Lage muß der Elementar¬
erer solchen Kindergartensprößlingen gegenüber kommen! Er wird seine liebe
^vt haben, sie zum Aufpassen zu bringen, weil sie sich immer einbilden werden,
M hätten ja alles im Kindergarten schon „gehabt". Der allcrbcdeuklichste Punkt
6ber in unserm Kindergartenweseu ist die „Poesie", mit der die Kleinen bei den
Bewegungsspielen gefüttert werden. Ich gebe ein paar Proben davon, wie ich sie
nur nachgeschrieben habe. Ein Liedchen, wozu die Kleinen tanzen, lautet:


Liebe Schwester, tanz mit mir,
Deine Händchen reiche mir,
Einmal hin, einmal her,
Und herum, das ist nicht schwer.
Noch einmal das schöne Spiel,
Weil mir's gar so sehr gefiel,
Einmal hin, einmal her,
Und herum, das ist nicht schwer.
El, das hätt' ich nicht gedacht,
Daß du's gar so schön gemacht,
Einmal bill, einmal her,
Und herum, das ist nicht schwer.

^eben sie jm Gänsemarsch im Zimmer herum, so singen sie:


Eine Schlange, eine Schlange
Machen wir ans unserm Gange,
El wie herrlich, el wie schön,
Wenn wir wie die Schlange gehn!

Bei einem dritten Spiele legt ein Kind seinen Kopf in den Schoß eines andern
no ^bli,,^.^ während die übrigen singen (nach der Melodie: Kommt ein Vogel
Lestogen):


DaS gemeinsame Spielen
Macht uns alle so froh,
Wenn allein wir uns fühlen,
Sind wir's lange nicht so.

°"u stellt sich ein Kind hinter das „blinzende", und die andern singen:


Da nun eine verschwunden,
Eine fehlet im Kreis,
Sollst du sie uns erkunde»,
Sie erraten mit Fleiß.

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[0055] Maßgebliches und Unmaßgebliches herum, und es wurde Schule gehalten. Die Kleinen mußten von der Geburt des Christkindes erzählen, zum großen Teil wörtlich in den Ausdrücken des Evan¬ geliums, dann wurde eine Zeit lang von den Bestandteilen des Baumes gesprochen (Wurzeln, Stamm, Aeste, Zweige u. s. w,), dann kamen allerhand „Beschäftigungs¬ spiele" an die Reihe: Papierflechtcn, Ausstechen, Ausnähen u. dergl., und endlich Wurden „Bewegungsspiele" gemacht und Liedchen dazu gesungen. Es liegt mir fern, die Einrichtung und die Thätigkeit der Kindergärten hier einer herben Kritik unterziehen zu wollen. Aber das muß ich sagen: was ich da s"h und hörte, erschien mir zum großen Teil verfehlt, grundverfehlt. Am ehesten konnte ich mich noch mit den „Beschäftigungsspielen" befreunden; die Kinder lernen dabei ihre Augen und ihre kleinen ungeschickten Hände brauchen und werden zur Ordnung, Sauberkeit, Sorgfalt angehalten. Bedenklicher schon erschien mir der Unterricht. Nicht daß die Lehrerin die Sache falsch angefaßt und in die Kinder hineingefüllt hätte, was sie vielmehr aus ihnen hätte herausholen sollen, aber fast ^es, was da getrieben wurde, erschien mir als durchaus verfrüht, namentlich lui Hinblick auf die spätere Elementarschule. In welche Lage muß der Elementar¬ erer solchen Kindergartensprößlingen gegenüber kommen! Er wird seine liebe ^vt haben, sie zum Aufpassen zu bringen, weil sie sich immer einbilden werden, M hätten ja alles im Kindergarten schon „gehabt". Der allcrbcdeuklichste Punkt 6ber in unserm Kindergartenweseu ist die „Poesie", mit der die Kleinen bei den Bewegungsspielen gefüttert werden. Ich gebe ein paar Proben davon, wie ich sie nur nachgeschrieben habe. Ein Liedchen, wozu die Kleinen tanzen, lautet: Liebe Schwester, tanz mit mir, Deine Händchen reiche mir, Einmal hin, einmal her, Und herum, das ist nicht schwer. Noch einmal das schöne Spiel, Weil mir's gar so sehr gefiel, Einmal hin, einmal her, Und herum, das ist nicht schwer. El, das hätt' ich nicht gedacht, Daß du's gar so schön gemacht, Einmal bill, einmal her, Und herum, das ist nicht schwer. ^eben sie jm Gänsemarsch im Zimmer herum, so singen sie: Eine Schlange, eine Schlange Machen wir ans unserm Gange, El wie herrlich, el wie schön, Wenn wir wie die Schlange gehn! Bei einem dritten Spiele legt ein Kind seinen Kopf in den Schoß eines andern no ^bli,,^.^ während die übrigen singen (nach der Melodie: Kommt ein Vogel Lestogen): DaS gemeinsame Spielen Macht uns alle so froh, Wenn allein wir uns fühlen, Sind wir's lange nicht so. °"u stellt sich ein Kind hinter das „blinzende", und die andern singen: Da nun eine verschwunden, Eine fehlet im Kreis, Sollst du sie uns erkunde», Sie erraten mit Fleiß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/55>, abgerufen am 25.05.2024.