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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Nnmienbildnisse von Rubajat im Li ^ajum

wußte Winckelmann noch nicht. Ihre Überreste in Statuen, Reliefs und
Papyri, welche die neuere Forschung mehr und mehr erschließt, zeigen uns, daß
die Ägypter richtig sehen und künstlerisch bilden konnten, dies aber im Dienste
einer in strengem Schematismus verknöcherten Hierarchie nicht durften. Um
den Nachweis der profanen ägyptischen Kunst hat sich Professor A. Wiedemann
in Bonn besondre Verdienste erworben. Vergegenwärtigen wir uns Bildwerke
aus dem alten Reich, die hier in Frage kommen, z. B. die Figur des sitzenden
Schreibers und die beiden Priesterstat"edlen (sämtlich im Louvre) oder die
Hvlzstatue des sogenannten Dorfschulzen im Museum von Bulak, lauter Dinge
aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. Wie scharf realistisch und wie vollkommen
frei in natürlicher Formgestaltung! Aber selbst in hieratischen Bildwerken ist
dieser Realismus nicht ganz zurückgedrängt. Streben nach Individualisirung
und Porträtähnlichkeit tritt uns auch in solchen entgegen, so in einer Reihe von
Statuen des Königs Schafra (4. Dynastie) im Museum von Bulak, in einer
Statue aus dem alten Reiche im Gräbersaale der ägyptischen Abteilung der könig¬
lichen Museen in Berlin und andern. Der starre Kanon hat offenbar den natür¬
lichen Wunsch der Pharaonen, ähnlich auf die Nachwelt zu kommen, nicht ganz
überwunden. Daß der Realismus nicht mit dem alten Reiche verschwunden ist,
zeigen Bildwerke aus dem neuen, z. B. Statuen Ramses' II. u. a., und mittelbar
lehren es auch die oben erwähnten athenischen Funde aus einer noch unter orien¬
talischen: "ut ägyptischem Einflüsse stehenden archaischen Zeit. Diesem Streben
nach Darstellung des Wirklichen entsprach die überaus feine Beobachtungsgabe
der Ägypter, die sich sogar in den hieratischen Werken nicht verleugnet, denn so
seltsam und unnatürlich der Kanon sie gestaltet haben mag, tragen sie doch
stets einen die Sache scharf charakterisirenden Zug. Dies tritt uns auch in
der ägyptischen Bilderschrift und der daraus entwickelten hieratischen entgegen;
es ist bewmidernswürdig, wie treffend hier mit wenigen Strichen ein Ding,
z. B. irgend ein Tier, gekennzeichnet ist.

Angesichts der von jeher so überaus realistischen Richtung aller ägyptischen
Kunst drängt sich nun die Frage auf, warum denn gerade die so aus¬
gesprochen realistischen Mumienbilder von Rubajat der doch seit Phidias stets von
einem das Vielgestaltige menschlicher Gesichtsbildung vermeidenden Idealismus
beseelten griechischen Kunst ihr Dasein verdanken sollen. Der Realismus der
alexandrinischen Zeit konnte sich eben nur auf ägyptischem Boden unter eiuer
durchaus realistisch gerichteten Bevölkerung entfalten, ist also im Grunde viel mehr
ägyptisch als griechisch. Dieser Realismus kann sür die Bestimmung der Zeit
und Nationalität der Kunst von Rubajat, oder allgemein gesprochen von El Fajum,
nicht maßgebend sein. Es scheint mir vielmehr ein Umstano, der ganz unbeachtet
geblieben ist, den Allsschlag zu geben, freilich nicht zu Gunsten der griechischen
Herkunft. Wäre nämlich die Malkunst von El Fajum eine griechische, so müßten
Erzeugnisse derselben doch auch dort gefunden worden sein, wo griechische Kunst-


Die Nnmienbildnisse von Rubajat im Li ^ajum

wußte Winckelmann noch nicht. Ihre Überreste in Statuen, Reliefs und
Papyri, welche die neuere Forschung mehr und mehr erschließt, zeigen uns, daß
die Ägypter richtig sehen und künstlerisch bilden konnten, dies aber im Dienste
einer in strengem Schematismus verknöcherten Hierarchie nicht durften. Um
den Nachweis der profanen ägyptischen Kunst hat sich Professor A. Wiedemann
in Bonn besondre Verdienste erworben. Vergegenwärtigen wir uns Bildwerke
aus dem alten Reich, die hier in Frage kommen, z. B. die Figur des sitzenden
Schreibers und die beiden Priesterstat»edlen (sämtlich im Louvre) oder die
Hvlzstatue des sogenannten Dorfschulzen im Museum von Bulak, lauter Dinge
aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. Wie scharf realistisch und wie vollkommen
frei in natürlicher Formgestaltung! Aber selbst in hieratischen Bildwerken ist
dieser Realismus nicht ganz zurückgedrängt. Streben nach Individualisirung
und Porträtähnlichkeit tritt uns auch in solchen entgegen, so in einer Reihe von
Statuen des Königs Schafra (4. Dynastie) im Museum von Bulak, in einer
Statue aus dem alten Reiche im Gräbersaale der ägyptischen Abteilung der könig¬
lichen Museen in Berlin und andern. Der starre Kanon hat offenbar den natür¬
lichen Wunsch der Pharaonen, ähnlich auf die Nachwelt zu kommen, nicht ganz
überwunden. Daß der Realismus nicht mit dem alten Reiche verschwunden ist,
zeigen Bildwerke aus dem neuen, z. B. Statuen Ramses' II. u. a., und mittelbar
lehren es auch die oben erwähnten athenischen Funde aus einer noch unter orien¬
talischen: »ut ägyptischem Einflüsse stehenden archaischen Zeit. Diesem Streben
nach Darstellung des Wirklichen entsprach die überaus feine Beobachtungsgabe
der Ägypter, die sich sogar in den hieratischen Werken nicht verleugnet, denn so
seltsam und unnatürlich der Kanon sie gestaltet haben mag, tragen sie doch
stets einen die Sache scharf charakterisirenden Zug. Dies tritt uns auch in
der ägyptischen Bilderschrift und der daraus entwickelten hieratischen entgegen;
es ist bewmidernswürdig, wie treffend hier mit wenigen Strichen ein Ding,
z. B. irgend ein Tier, gekennzeichnet ist.

Angesichts der von jeher so überaus realistischen Richtung aller ägyptischen
Kunst drängt sich nun die Frage auf, warum denn gerade die so aus¬
gesprochen realistischen Mumienbilder von Rubajat der doch seit Phidias stets von
einem das Vielgestaltige menschlicher Gesichtsbildung vermeidenden Idealismus
beseelten griechischen Kunst ihr Dasein verdanken sollen. Der Realismus der
alexandrinischen Zeit konnte sich eben nur auf ägyptischem Boden unter eiuer
durchaus realistisch gerichteten Bevölkerung entfalten, ist also im Grunde viel mehr
ägyptisch als griechisch. Dieser Realismus kann sür die Bestimmung der Zeit
und Nationalität der Kunst von Rubajat, oder allgemein gesprochen von El Fajum,
nicht maßgebend sein. Es scheint mir vielmehr ein Umstano, der ganz unbeachtet
geblieben ist, den Allsschlag zu geben, freilich nicht zu Gunsten der griechischen
Herkunft. Wäre nämlich die Malkunst von El Fajum eine griechische, so müßten
Erzeugnisse derselben doch auch dort gefunden worden sein, wo griechische Kunst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/576>, abgerufen am 18.05.2024.