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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zur Strafrechtspflege

Den macht aber auch jetzt schon der Gesetzgeber und -- der Richter.
Dies zu verkennen ist ein eben so großer Fehler als es zu -- verschweigen!
Paragraph 242 des deutschen Strafgesetzbuches lautet: "Wer eine fremde beweg¬
liche Sache einem andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zu¬
zueignen, wird wegen Diebstnhls mit Gefängnis bestraft," und Z 244: "Wer
im Inland als Dieb pp. bestraft worden ist, darauf abermals eine dieser Hand¬
lungen begangen hat und wegen derselben bestraft worden ist, wird, wenn er
einen einfachen Diebstahl (t> 242) begeht, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren,
wenn er einen schweren Diebstahl 243) begeht, mit Zuchthaus nicht unter
zwei Jahren bestraft."

Wer also zum erstenmale stiehlt -- und hierbei wird sich der betreffende wohl
in der Regel als Gelegenheitsdieb entpuppen -- kann nach den W 14--18,
die voll der Dauer der verschiednen Freiheitsstrafen reden, nur mit Gefängnis
von einem Tage bis zu fünf Jahren belegt werden; der rückfällige, also der
Gewohnheitsdieb dagegen muß mit mindestens einem Jahre Zuchthaus, ist es
ein schwerer Diebstahl, sogar mit mindestens zwei Jahren Zuchthaus, kann
aber mit Zuchthaus bis zu zehn, beziehentlich fünfzehn Jahren belegt werden.*)
Und dabei redet der Verfasser des Grenzbotenartikcls mit geradezu verblüffen¬
der Gemütsruhe davon, daß jetzt einer, der zum erstenmale stehle, nach gleichen
Grundsätzen bestraft -- man beachte wohl "bestraft" -- werde, wie der, der
zum vierzigste"male erwischt wird!

Daß die Richter von der Schärfe des Gesetzes 'häufig nicht den für die
Interessen der menschlichen Gesellschaft vielleicht gebotenen oder wenigstens
vielfach gewünschten schneidigen Gebrauch machen, wollen wir^zugeben; doch
liegt das an Umständen, die zu erörtern hier zu weit führen würde. Unter
allen Umständen aber kaun angesichts der von uns angeführten gesetzlichen Be¬
stimmungen doch wahrhaftig keine Rede davon sein, daß bei uns der Gelegenheits¬
dieb nach gleichen Grundsätzen behandelt und bestraft werde wie der Gewohnheits¬
dieb, und auch in andern Kulturstaaten ist dies bekanntlich riethe der Fall.

Was für Unterschiede will denn der Verfasser eigentlich gemacht haben?
Soll der Dieb, der zum drittenmale stiehlt, vielleicht gehenkt werden, wie nach
der Carolina? das wäre allerdings ein gründlicher und nicht mehr mißzudeutender
gesetzlicher Unterschied in der "Behandlung und Bestrafung" des Gewohnheits¬
diebes im Gegensatz zu den kleinen, für den Gelegenheitsdieb vorgesehenen
Freiheitsstrafen. Dann hätten wir auf einmal Ruhe "vor dem Gesindel, das
seine viehischen Triebe nun einmal nicht zu bändigen vermag", und die "Gesell¬
schaft" wäre gerettet.



*) Abgesehen von den Abänderungen, die noch durch die sogenannten mildernden Um¬
stände eintreten können, und die gänzlich wegzuwerfen wieder ungerechtfertigte Härten veran¬
lassen müßte.
Zur Strafrechtspflege

Den macht aber auch jetzt schon der Gesetzgeber und — der Richter.
Dies zu verkennen ist ein eben so großer Fehler als es zu — verschweigen!
Paragraph 242 des deutschen Strafgesetzbuches lautet: „Wer eine fremde beweg¬
liche Sache einem andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zu¬
zueignen, wird wegen Diebstnhls mit Gefängnis bestraft," und Z 244: „Wer
im Inland als Dieb pp. bestraft worden ist, darauf abermals eine dieser Hand¬
lungen begangen hat und wegen derselben bestraft worden ist, wird, wenn er
einen einfachen Diebstahl (t> 242) begeht, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren,
wenn er einen schweren Diebstahl 243) begeht, mit Zuchthaus nicht unter
zwei Jahren bestraft."

Wer also zum erstenmale stiehlt — und hierbei wird sich der betreffende wohl
in der Regel als Gelegenheitsdieb entpuppen — kann nach den W 14—18,
die voll der Dauer der verschiednen Freiheitsstrafen reden, nur mit Gefängnis
von einem Tage bis zu fünf Jahren belegt werden; der rückfällige, also der
Gewohnheitsdieb dagegen muß mit mindestens einem Jahre Zuchthaus, ist es
ein schwerer Diebstahl, sogar mit mindestens zwei Jahren Zuchthaus, kann
aber mit Zuchthaus bis zu zehn, beziehentlich fünfzehn Jahren belegt werden.*)
Und dabei redet der Verfasser des Grenzbotenartikcls mit geradezu verblüffen¬
der Gemütsruhe davon, daß jetzt einer, der zum erstenmale stehle, nach gleichen
Grundsätzen bestraft — man beachte wohl „bestraft" — werde, wie der, der
zum vierzigste»male erwischt wird!

Daß die Richter von der Schärfe des Gesetzes 'häufig nicht den für die
Interessen der menschlichen Gesellschaft vielleicht gebotenen oder wenigstens
vielfach gewünschten schneidigen Gebrauch machen, wollen wir^zugeben; doch
liegt das an Umständen, die zu erörtern hier zu weit führen würde. Unter
allen Umständen aber kaun angesichts der von uns angeführten gesetzlichen Be¬
stimmungen doch wahrhaftig keine Rede davon sein, daß bei uns der Gelegenheits¬
dieb nach gleichen Grundsätzen behandelt und bestraft werde wie der Gewohnheits¬
dieb, und auch in andern Kulturstaaten ist dies bekanntlich riethe der Fall.

Was für Unterschiede will denn der Verfasser eigentlich gemacht haben?
Soll der Dieb, der zum drittenmale stiehlt, vielleicht gehenkt werden, wie nach
der Carolina? das wäre allerdings ein gründlicher und nicht mehr mißzudeutender
gesetzlicher Unterschied in der „Behandlung und Bestrafung" des Gewohnheits¬
diebes im Gegensatz zu den kleinen, für den Gelegenheitsdieb vorgesehenen
Freiheitsstrafen. Dann hätten wir auf einmal Ruhe „vor dem Gesindel, das
seine viehischen Triebe nun einmal nicht zu bändigen vermag", und die „Gesell¬
schaft" wäre gerettet.



*) Abgesehen von den Abänderungen, die noch durch die sogenannten mildernden Um¬
stände eintreten können, und die gänzlich wegzuwerfen wieder ungerechtfertigte Härten veran¬
lassen müßte.
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[0603] Zur Strafrechtspflege Den macht aber auch jetzt schon der Gesetzgeber und — der Richter. Dies zu verkennen ist ein eben so großer Fehler als es zu — verschweigen! Paragraph 242 des deutschen Strafgesetzbuches lautet: „Wer eine fremde beweg¬ liche Sache einem andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zu¬ zueignen, wird wegen Diebstnhls mit Gefängnis bestraft," und Z 244: „Wer im Inland als Dieb pp. bestraft worden ist, darauf abermals eine dieser Hand¬ lungen begangen hat und wegen derselben bestraft worden ist, wird, wenn er einen einfachen Diebstahl (t> 242) begeht, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, wenn er einen schweren Diebstahl 243) begeht, mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft." Wer also zum erstenmale stiehlt — und hierbei wird sich der betreffende wohl in der Regel als Gelegenheitsdieb entpuppen — kann nach den W 14—18, die voll der Dauer der verschiednen Freiheitsstrafen reden, nur mit Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren belegt werden; der rückfällige, also der Gewohnheitsdieb dagegen muß mit mindestens einem Jahre Zuchthaus, ist es ein schwerer Diebstahl, sogar mit mindestens zwei Jahren Zuchthaus, kann aber mit Zuchthaus bis zu zehn, beziehentlich fünfzehn Jahren belegt werden.*) Und dabei redet der Verfasser des Grenzbotenartikcls mit geradezu verblüffen¬ der Gemütsruhe davon, daß jetzt einer, der zum erstenmale stehle, nach gleichen Grundsätzen bestraft — man beachte wohl „bestraft" — werde, wie der, der zum vierzigste»male erwischt wird! Daß die Richter von der Schärfe des Gesetzes 'häufig nicht den für die Interessen der menschlichen Gesellschaft vielleicht gebotenen oder wenigstens vielfach gewünschten schneidigen Gebrauch machen, wollen wir^zugeben; doch liegt das an Umständen, die zu erörtern hier zu weit führen würde. Unter allen Umständen aber kaun angesichts der von uns angeführten gesetzlichen Be¬ stimmungen doch wahrhaftig keine Rede davon sein, daß bei uns der Gelegenheits¬ dieb nach gleichen Grundsätzen behandelt und bestraft werde wie der Gewohnheits¬ dieb, und auch in andern Kulturstaaten ist dies bekanntlich riethe der Fall. Was für Unterschiede will denn der Verfasser eigentlich gemacht haben? Soll der Dieb, der zum drittenmale stiehlt, vielleicht gehenkt werden, wie nach der Carolina? das wäre allerdings ein gründlicher und nicht mehr mißzudeutender gesetzlicher Unterschied in der „Behandlung und Bestrafung" des Gewohnheits¬ diebes im Gegensatz zu den kleinen, für den Gelegenheitsdieb vorgesehenen Freiheitsstrafen. Dann hätten wir auf einmal Ruhe „vor dem Gesindel, das seine viehischen Triebe nun einmal nicht zu bändigen vermag", und die „Gesell¬ schaft" wäre gerettet. *) Abgesehen von den Abänderungen, die noch durch die sogenannten mildernden Um¬ stände eintreten können, und die gänzlich wegzuwerfen wieder ungerechtfertigte Härten veran¬ lassen müßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/603>, abgerufen am 02.06.2024.