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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

Blanka von Castilien, die Gemahlin Petros, welche dieser aber noch niemals
gesehen haben soll. Auch sie sehnt sich nach dem schönern und menschlichem
Frankreich. In beiderseitigen Inkognito war dort, an den Ufern des Rhone,
zwischen Blanka und Fedriko ein Liebesbündnis entstanden, das die politischen
Zufälle zerrissen. Fedriko mußte nach Spanien eilen, wo der Bürgerkrieg aus-
gebrochen war, der noch andauert; Blanka mußte einem Gebote ihres Vaters
gehorchen und König Pedro sich antrauen lassen, ohne Liebe und mit der
Sehnsucht im Herzen nach dem Verlornen Geliebten. Wie Carlos natürliche
Bande an König Philipp knüpfen und ihn tragisch in seinen Wünschen be¬
beschränken, so ist Guzman durch die Bande der Vasallentreue und des Blutes,
denn er ist ein natürlicher Bruder Petros, in seiner Gegnerschaft beengt. Und
doch ist Anlaß genug zur Feindschaft da. Graf Heinrich von Trastamara, ein
andrer Bruder Guzmans, hat sich an die Spitze des Aufruhrs gegen den
schwachen Lüstling Pedro gestellt; er lockt nun Fedriko, gleichfalls den König
zu verlassen. So lange dieser nicht wußte, daß die neue Königin Blanka mit
seiner aus Pflicht gegen die spanische Heimat von ihm verlassenen französischen
Geliebten ein und dieselbe Person sei -- der Gedanke an das Cölibat wird
nie hervorgehoben --, wankte auch Fedrikos Treue für den König nicht, soviel er
anch an ihm zu tadeln hatte. Nun aber macht Guzman diese Entdeckung,
Blanka gesteht ihm ihre unveränderte Neigung ein, sie ist um so reiner, als
sie Pedro niemals auch nur zu Gesichte bekommen hat. Der Konflikt, in den
nun Guzman gerät, ist groß. Die durchsichtige Ironie des Tragikers will es,
daß gerade er der Gouverneur der letzten Festung Xeres de la Frontera (Ort
der Handlung) ist, die dem Könige noch geblieben ist, und auch diese wird
schon von den Aufständischen belagert. Außerdem wird gerade Guzman zum
Hüter Vlankcis bestellt, was die dramatisch bewegten Erkennungsszeuen zur
Folge hat. In seiner Hand liegt nun das Schicksal aller, und unsre Sym¬
pathie ist natürlich auch auf seiner Seite; denn Pedro steckt in den Banden
einer schlauen Kokette, der Maria Padilla, die ihn gar nicht liebt, sondern
nur als Werkzeug ihres nach der Krone strebenden Ehrgeizes betrachtet. Aber
Guzmans Liebe zu Blanka verrät sich selbst. Pedro kommt, sieht seine Gattin
zum erstenmale und verliebt sich in sie trotz Maria, Blanka sinkt bei diesem
ersten Gegenübertreten Petros ihrem Fedriko ohnmächtig in die Arme. Ihren
Gegnern gelingt es nun, Pedro eifersüchtig zu machen. Dieser unterschreibt
ein zu jeder Zeit ausführbares Todesurteil Blaukas und Guzmans und läßt
ihm die Schlüssel der Festung abfordern. Guzman kann gleichwohl seine
Flucht mit Blanka vorbereiten. In dem Augenblicke jedoch, wo er sie durch
einen verborgnen Gang entweichen läßt, wird er von Petros Soldaten über¬
fallen und niedergemacht. Man eilt Blanka in den dunkeln Gang nach, er¬
reicht sie, tötet sie im Dunkel (wie die Königin im "Treuen Diener"), trotz¬
dem daß Pedro selbst sie geschont wissen will. An ihrer Leiche sinkt der


Grillparzer und seine Jugendtraum

Blanka von Castilien, die Gemahlin Petros, welche dieser aber noch niemals
gesehen haben soll. Auch sie sehnt sich nach dem schönern und menschlichem
Frankreich. In beiderseitigen Inkognito war dort, an den Ufern des Rhone,
zwischen Blanka und Fedriko ein Liebesbündnis entstanden, das die politischen
Zufälle zerrissen. Fedriko mußte nach Spanien eilen, wo der Bürgerkrieg aus-
gebrochen war, der noch andauert; Blanka mußte einem Gebote ihres Vaters
gehorchen und König Pedro sich antrauen lassen, ohne Liebe und mit der
Sehnsucht im Herzen nach dem Verlornen Geliebten. Wie Carlos natürliche
Bande an König Philipp knüpfen und ihn tragisch in seinen Wünschen be¬
beschränken, so ist Guzman durch die Bande der Vasallentreue und des Blutes,
denn er ist ein natürlicher Bruder Petros, in seiner Gegnerschaft beengt. Und
doch ist Anlaß genug zur Feindschaft da. Graf Heinrich von Trastamara, ein
andrer Bruder Guzmans, hat sich an die Spitze des Aufruhrs gegen den
schwachen Lüstling Pedro gestellt; er lockt nun Fedriko, gleichfalls den König
zu verlassen. So lange dieser nicht wußte, daß die neue Königin Blanka mit
seiner aus Pflicht gegen die spanische Heimat von ihm verlassenen französischen
Geliebten ein und dieselbe Person sei — der Gedanke an das Cölibat wird
nie hervorgehoben —, wankte auch Fedrikos Treue für den König nicht, soviel er
anch an ihm zu tadeln hatte. Nun aber macht Guzman diese Entdeckung,
Blanka gesteht ihm ihre unveränderte Neigung ein, sie ist um so reiner, als
sie Pedro niemals auch nur zu Gesichte bekommen hat. Der Konflikt, in den
nun Guzman gerät, ist groß. Die durchsichtige Ironie des Tragikers will es,
daß gerade er der Gouverneur der letzten Festung Xeres de la Frontera (Ort
der Handlung) ist, die dem Könige noch geblieben ist, und auch diese wird
schon von den Aufständischen belagert. Außerdem wird gerade Guzman zum
Hüter Vlankcis bestellt, was die dramatisch bewegten Erkennungsszeuen zur
Folge hat. In seiner Hand liegt nun das Schicksal aller, und unsre Sym¬
pathie ist natürlich auch auf seiner Seite; denn Pedro steckt in den Banden
einer schlauen Kokette, der Maria Padilla, die ihn gar nicht liebt, sondern
nur als Werkzeug ihres nach der Krone strebenden Ehrgeizes betrachtet. Aber
Guzmans Liebe zu Blanka verrät sich selbst. Pedro kommt, sieht seine Gattin
zum erstenmale und verliebt sich in sie trotz Maria, Blanka sinkt bei diesem
ersten Gegenübertreten Petros ihrem Fedriko ohnmächtig in die Arme. Ihren
Gegnern gelingt es nun, Pedro eifersüchtig zu machen. Dieser unterschreibt
ein zu jeder Zeit ausführbares Todesurteil Blaukas und Guzmans und läßt
ihm die Schlüssel der Festung abfordern. Guzman kann gleichwohl seine
Flucht mit Blanka vorbereiten. In dem Augenblicke jedoch, wo er sie durch
einen verborgnen Gang entweichen läßt, wird er von Petros Soldaten über¬
fallen und niedergemacht. Man eilt Blanka in den dunkeln Gang nach, er¬
reicht sie, tötet sie im Dunkel (wie die Königin im „Treuen Diener"), trotz¬
dem daß Pedro selbst sie geschont wissen will. An ihrer Leiche sinkt der


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[0611] Grillparzer und seine Jugendtraum Blanka von Castilien, die Gemahlin Petros, welche dieser aber noch niemals gesehen haben soll. Auch sie sehnt sich nach dem schönern und menschlichem Frankreich. In beiderseitigen Inkognito war dort, an den Ufern des Rhone, zwischen Blanka und Fedriko ein Liebesbündnis entstanden, das die politischen Zufälle zerrissen. Fedriko mußte nach Spanien eilen, wo der Bürgerkrieg aus- gebrochen war, der noch andauert; Blanka mußte einem Gebote ihres Vaters gehorchen und König Pedro sich antrauen lassen, ohne Liebe und mit der Sehnsucht im Herzen nach dem Verlornen Geliebten. Wie Carlos natürliche Bande an König Philipp knüpfen und ihn tragisch in seinen Wünschen be¬ beschränken, so ist Guzman durch die Bande der Vasallentreue und des Blutes, denn er ist ein natürlicher Bruder Petros, in seiner Gegnerschaft beengt. Und doch ist Anlaß genug zur Feindschaft da. Graf Heinrich von Trastamara, ein andrer Bruder Guzmans, hat sich an die Spitze des Aufruhrs gegen den schwachen Lüstling Pedro gestellt; er lockt nun Fedriko, gleichfalls den König zu verlassen. So lange dieser nicht wußte, daß die neue Königin Blanka mit seiner aus Pflicht gegen die spanische Heimat von ihm verlassenen französischen Geliebten ein und dieselbe Person sei — der Gedanke an das Cölibat wird nie hervorgehoben —, wankte auch Fedrikos Treue für den König nicht, soviel er anch an ihm zu tadeln hatte. Nun aber macht Guzman diese Entdeckung, Blanka gesteht ihm ihre unveränderte Neigung ein, sie ist um so reiner, als sie Pedro niemals auch nur zu Gesichte bekommen hat. Der Konflikt, in den nun Guzman gerät, ist groß. Die durchsichtige Ironie des Tragikers will es, daß gerade er der Gouverneur der letzten Festung Xeres de la Frontera (Ort der Handlung) ist, die dem Könige noch geblieben ist, und auch diese wird schon von den Aufständischen belagert. Außerdem wird gerade Guzman zum Hüter Vlankcis bestellt, was die dramatisch bewegten Erkennungsszeuen zur Folge hat. In seiner Hand liegt nun das Schicksal aller, und unsre Sym¬ pathie ist natürlich auch auf seiner Seite; denn Pedro steckt in den Banden einer schlauen Kokette, der Maria Padilla, die ihn gar nicht liebt, sondern nur als Werkzeug ihres nach der Krone strebenden Ehrgeizes betrachtet. Aber Guzmans Liebe zu Blanka verrät sich selbst. Pedro kommt, sieht seine Gattin zum erstenmale und verliebt sich in sie trotz Maria, Blanka sinkt bei diesem ersten Gegenübertreten Petros ihrem Fedriko ohnmächtig in die Arme. Ihren Gegnern gelingt es nun, Pedro eifersüchtig zu machen. Dieser unterschreibt ein zu jeder Zeit ausführbares Todesurteil Blaukas und Guzmans und läßt ihm die Schlüssel der Festung abfordern. Guzman kann gleichwohl seine Flucht mit Blanka vorbereiten. In dem Augenblicke jedoch, wo er sie durch einen verborgnen Gang entweichen läßt, wird er von Petros Soldaten über¬ fallen und niedergemacht. Man eilt Blanka in den dunkeln Gang nach, er¬ reicht sie, tötet sie im Dunkel (wie die Königin im „Treuen Diener"), trotz¬ dem daß Pedro selbst sie geschont wissen will. An ihrer Leiche sinkt der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/611>, abgerufen am 10.06.2024.