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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugenddranleit

unterhandeln. Alle seine Getreuen raten ihm ab, dem falschen und hinter¬
listigen Heinrich zu trauen; der ganze erste Akt stellt diesen Kampf Roberts
mit feinen Unterthanen, feinen Feldherren, schließlich feinem geliebten Weibe
dar, die alle vor dem geplanten Schritte als einer fruchtlosen Selbstaufopferung
warnen. Robert aber traut dem Fürstenwort Heinrichs und muß zu spät
erfahren, daß er unklug gehandelt hat. In verräterischer Weise wird Roberts
Begleitung vor dem Zelte Heinrichs niedergemacht und er selbst mit Weib und
Kind gefangen genommen. Den dritten Akt eröffnet eine Szene, die eine hoch¬
verräterische Intrigue von Heinrichs Neffen gegen den verachteten König ein¬
fädeln soll. Hier bricht das Bruchstück ab. Die Lagerszenen, das soldatische
Kolorit, die Gegenüberstellung der Brüder sind sehr anziehend.

Die erste Szene eines Trauerspiels "Drahomira" bringt einen prächtigen
Monolog der Titelheldin, der Heidin im Bunde mit unterirdischen Gewalten,
die das in Böhmen um sich greifende Christentum bekämpfen will. Motive
der Medea und Libusfa klingen hier an. Auch eine "Rosamunde" wollte
Grillparzer dichten.

Im Stile Goethes ist die erste von der süßen Sinnlichkeit der Hero¬
tragödie erfüllte Szene eines Dramas "Psyche" geschrieben. Man erinnert
sich, daß im ersten Akte von "Des Meeres und der Liebe Wellen" Hero ein
keckes Liedchen von der Leda mit dem Schwane trällert; sie versteht es nicht ein¬
mal, sie wundert sich über die Hartnäckigkeit, mit der das Liedchen ihr im Ohre
bleibt; der Oheim hat es ihr sogar zu singen verboten. Hier eröffnet Psyche
mit demselben Motive die Szene und in ganz derselben Stimmung:


Wie doch dies Lied, das ich kaum halb begreife,
Das Innerste des Herzens mir beweget
Der Vater meint, ich soll es nicht mehr singen,
Und gern gehorcht' ich ihm; doch unbewußt
Entschlüpft es immer wieder meinen Lippen,
So^ost ich mich auch schon darum gescholten.
Ein dunkles, froh wehmütiges Gefühl ergreift
Mich bei den seltsam wunderbaren Tönen.

Für die Geschichte der Kunst Grillparzers ist gerade dieses Bruchstück von
großem Werte. In der Herotragödie nimmt das verräterische Liedchen nicht
den fünften Teil des Raumes ein, den es im Bruchstück der "Psyche" füllt.
Über die ersten zwei ganz kurzen Strophen kommt die Venuspriesterin gar
nicht hinaus; Psyche singt ein sieben Strophen langes, jede Strophe mit vier
vierfüßige Jamben langen Versen von Anfang bis zu Ende. Hero trällert
nur selbstvergessen, Psyche ist weit von dieser Naturwahrheit entfernt. Solchen
aus den spätern Werken des Dichters bekannten Motiven begegnet man öfter
in den Studien des jungen Grillparzer. So findet sich schon aus den Jahren
1812--1813 die Bemerkung: "Alphons VIII., König von Castilien, verliebt


Grenzboten I 138" 77
Grillparzer und seine Jugenddranleit

unterhandeln. Alle seine Getreuen raten ihm ab, dem falschen und hinter¬
listigen Heinrich zu trauen; der ganze erste Akt stellt diesen Kampf Roberts
mit feinen Unterthanen, feinen Feldherren, schließlich feinem geliebten Weibe
dar, die alle vor dem geplanten Schritte als einer fruchtlosen Selbstaufopferung
warnen. Robert aber traut dem Fürstenwort Heinrichs und muß zu spät
erfahren, daß er unklug gehandelt hat. In verräterischer Weise wird Roberts
Begleitung vor dem Zelte Heinrichs niedergemacht und er selbst mit Weib und
Kind gefangen genommen. Den dritten Akt eröffnet eine Szene, die eine hoch¬
verräterische Intrigue von Heinrichs Neffen gegen den verachteten König ein¬
fädeln soll. Hier bricht das Bruchstück ab. Die Lagerszenen, das soldatische
Kolorit, die Gegenüberstellung der Brüder sind sehr anziehend.

Die erste Szene eines Trauerspiels „Drahomira" bringt einen prächtigen
Monolog der Titelheldin, der Heidin im Bunde mit unterirdischen Gewalten,
die das in Böhmen um sich greifende Christentum bekämpfen will. Motive
der Medea und Libusfa klingen hier an. Auch eine „Rosamunde" wollte
Grillparzer dichten.

Im Stile Goethes ist die erste von der süßen Sinnlichkeit der Hero¬
tragödie erfüllte Szene eines Dramas „Psyche" geschrieben. Man erinnert
sich, daß im ersten Akte von „Des Meeres und der Liebe Wellen" Hero ein
keckes Liedchen von der Leda mit dem Schwane trällert; sie versteht es nicht ein¬
mal, sie wundert sich über die Hartnäckigkeit, mit der das Liedchen ihr im Ohre
bleibt; der Oheim hat es ihr sogar zu singen verboten. Hier eröffnet Psyche
mit demselben Motive die Szene und in ganz derselben Stimmung:


Wie doch dies Lied, das ich kaum halb begreife,
Das Innerste des Herzens mir beweget
Der Vater meint, ich soll es nicht mehr singen,
Und gern gehorcht' ich ihm; doch unbewußt
Entschlüpft es immer wieder meinen Lippen,
So^ost ich mich auch schon darum gescholten.
Ein dunkles, froh wehmütiges Gefühl ergreift
Mich bei den seltsam wunderbaren Tönen.

Für die Geschichte der Kunst Grillparzers ist gerade dieses Bruchstück von
großem Werte. In der Herotragödie nimmt das verräterische Liedchen nicht
den fünften Teil des Raumes ein, den es im Bruchstück der „Psyche" füllt.
Über die ersten zwei ganz kurzen Strophen kommt die Venuspriesterin gar
nicht hinaus; Psyche singt ein sieben Strophen langes, jede Strophe mit vier
vierfüßige Jamben langen Versen von Anfang bis zu Ende. Hero trällert
nur selbstvergessen, Psyche ist weit von dieser Naturwahrheit entfernt. Solchen
aus den spätern Werken des Dichters bekannten Motiven begegnet man öfter
in den Studien des jungen Grillparzer. So findet sich schon aus den Jahren
1812—1813 die Bemerkung: „Alphons VIII., König von Castilien, verliebt


Grenzboten I 138» 77
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[0617] Grillparzer und seine Jugenddranleit unterhandeln. Alle seine Getreuen raten ihm ab, dem falschen und hinter¬ listigen Heinrich zu trauen; der ganze erste Akt stellt diesen Kampf Roberts mit feinen Unterthanen, feinen Feldherren, schließlich feinem geliebten Weibe dar, die alle vor dem geplanten Schritte als einer fruchtlosen Selbstaufopferung warnen. Robert aber traut dem Fürstenwort Heinrichs und muß zu spät erfahren, daß er unklug gehandelt hat. In verräterischer Weise wird Roberts Begleitung vor dem Zelte Heinrichs niedergemacht und er selbst mit Weib und Kind gefangen genommen. Den dritten Akt eröffnet eine Szene, die eine hoch¬ verräterische Intrigue von Heinrichs Neffen gegen den verachteten König ein¬ fädeln soll. Hier bricht das Bruchstück ab. Die Lagerszenen, das soldatische Kolorit, die Gegenüberstellung der Brüder sind sehr anziehend. Die erste Szene eines Trauerspiels „Drahomira" bringt einen prächtigen Monolog der Titelheldin, der Heidin im Bunde mit unterirdischen Gewalten, die das in Böhmen um sich greifende Christentum bekämpfen will. Motive der Medea und Libusfa klingen hier an. Auch eine „Rosamunde" wollte Grillparzer dichten. Im Stile Goethes ist die erste von der süßen Sinnlichkeit der Hero¬ tragödie erfüllte Szene eines Dramas „Psyche" geschrieben. Man erinnert sich, daß im ersten Akte von „Des Meeres und der Liebe Wellen" Hero ein keckes Liedchen von der Leda mit dem Schwane trällert; sie versteht es nicht ein¬ mal, sie wundert sich über die Hartnäckigkeit, mit der das Liedchen ihr im Ohre bleibt; der Oheim hat es ihr sogar zu singen verboten. Hier eröffnet Psyche mit demselben Motive die Szene und in ganz derselben Stimmung: Wie doch dies Lied, das ich kaum halb begreife, Das Innerste des Herzens mir beweget Der Vater meint, ich soll es nicht mehr singen, Und gern gehorcht' ich ihm; doch unbewußt Entschlüpft es immer wieder meinen Lippen, So^ost ich mich auch schon darum gescholten. Ein dunkles, froh wehmütiges Gefühl ergreift Mich bei den seltsam wunderbaren Tönen. Für die Geschichte der Kunst Grillparzers ist gerade dieses Bruchstück von großem Werte. In der Herotragödie nimmt das verräterische Liedchen nicht den fünften Teil des Raumes ein, den es im Bruchstück der „Psyche" füllt. Über die ersten zwei ganz kurzen Strophen kommt die Venuspriesterin gar nicht hinaus; Psyche singt ein sieben Strophen langes, jede Strophe mit vier vierfüßige Jamben langen Versen von Anfang bis zu Ende. Hero trällert nur selbstvergessen, Psyche ist weit von dieser Naturwahrheit entfernt. Solchen aus den spätern Werken des Dichters bekannten Motiven begegnet man öfter in den Studien des jungen Grillparzer. So findet sich schon aus den Jahren 1812—1813 die Bemerkung: „Alphons VIII., König von Castilien, verliebt Grenzboten I 138» 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/617>, abgerufen am 09.06.2024.