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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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die russische Knute vorziehen u. s, w. Vielleicht würden sie in den verschiednen
Spiegeln sich selbst so sehen, wie sie uns erscheinen. Auf jeden Fall hätten
sie Gelegenheit, zu bemerken, welche Elemente den Anhang der Helden der
Opposition bilden: bornirte Doktrinäre, die noch immer nicht begriffen haben,
das heute vom Übel sein kann, was gestern nützlich war, für der Sünden
schwerste halten, sich belehren zu lassen, und daher am ingrimmigsten den hassen,
der frühere Irrtümer eingesteht, heiße er Crispi, Tisza, Bennigsen oder wie
sonst, Spießbürger, die über die "beschränkenden Maßnahmen der innern
Politik" brummen (in Italien gehört z, V. zu den unerträglichen "Maßnahmen,"
daß Straßen und Plätze nicht verunreinigt werden sollen, und zu den bedrohten
unveräußerlichen Rechten das, die Singvögel auszurotten und durch Wegfangen
der Fischbrut das Meer zu entvölkern!), endlich alle jenen Armen am Geiste,
die sich durch das Wort Freiheit berauschen lassen und jedem Charlatan zu¬
jubeln, der behauptet, ein Universalmittel gegen die "Lasten" zu besitzen.

Überall klagen heute die Catos in der Presse und aus der Tribüne, daß die
Unabhängigkeit schwinde, die Völker ihre Fürsten und Staatsmänner anbeteten.
Aber daß, wenn wirklich in solchen Klagen ein Korn Wahrheit sein sollte, die
Catos selber die Hauptschuld trifft, wollen sie nicht einsehen. Die verbissene
Rechthaberei und das persönliche Gezänk in den Kanunern und in den Blättern
widert endlich jeden an, umso mehr, als fast überall die Regierenden den
ernsten Willen zeigen, zu helfen und zu bessern, wo es not thut, und da, wo
sie fehlgreifen, die Kritiker auch keinen andern Rat wissen, als Theorien, die
sich in der Praxis als ohnmächtig erwiesen haben.

Das kann sich natürlich nicht auf die neue Staats- und Gesellschafts¬
ordnung beziehen, die die Sozialdemokraten nächstens einzuführen gedenken, denn
deren Wesen wird ja eben so sorgfältig geheim gehalten, wie der eigentliche
Inhalt der Freimaurerei. Ihre Programmreden ähneln den Deklamationen
Catilinas in einem deutschen Trauerspiel, der stets von "dein Gedanken, der
sein eigen ist," spricht, den Gedanken aber vorsichtig für sich behält. Alle
"intelligenten" Arbeiter, versichert Herr Liebknecht, seien Sozialdemokraten.
Ob wirklich Intelligenz dazu gehört, sich zu dem Glaubenssätze zu bekennen,
daß alles anders werden müsse? "Es muß alles verrungenirt werden," sagten
die Ahnen der Berliner Sozialdemokraten. Und nnn Herr Bebel, der ja wohl
der zukünftige Präfekt für Deutschland in der Weltrepublik ist, die keine
Nationalitäten keimt! Das Bemühen dieses Mannes, sich zu bilden, kann nicht
verkannt werden, leider hat er-noch nicht logisch denken lernen. "Die Völker
haben kein Gefallen an den Rüstungen," lind ohne Zweifel wurden Franzosen,
Tschechen, Balkanslawen, Russen es lieber sehen, wenn ihnen gutwillig aus¬
geliefert würde, wonach ihnen der Gaumen steht! "1L7V wurde in allen
Proklamationen betont, daß Dentschland nur mit den französischen Heeren
Krieg führe"; offenbar waren es harmlose unbewaffnete Bürger, die uns bei


die russische Knute vorziehen u. s, w. Vielleicht würden sie in den verschiednen
Spiegeln sich selbst so sehen, wie sie uns erscheinen. Auf jeden Fall hätten
sie Gelegenheit, zu bemerken, welche Elemente den Anhang der Helden der
Opposition bilden: bornirte Doktrinäre, die noch immer nicht begriffen haben,
das heute vom Übel sein kann, was gestern nützlich war, für der Sünden
schwerste halten, sich belehren zu lassen, und daher am ingrimmigsten den hassen,
der frühere Irrtümer eingesteht, heiße er Crispi, Tisza, Bennigsen oder wie
sonst, Spießbürger, die über die „beschränkenden Maßnahmen der innern
Politik" brummen (in Italien gehört z, V. zu den unerträglichen „Maßnahmen,"
daß Straßen und Plätze nicht verunreinigt werden sollen, und zu den bedrohten
unveräußerlichen Rechten das, die Singvögel auszurotten und durch Wegfangen
der Fischbrut das Meer zu entvölkern!), endlich alle jenen Armen am Geiste,
die sich durch das Wort Freiheit berauschen lassen und jedem Charlatan zu¬
jubeln, der behauptet, ein Universalmittel gegen die „Lasten" zu besitzen.

Überall klagen heute die Catos in der Presse und aus der Tribüne, daß die
Unabhängigkeit schwinde, die Völker ihre Fürsten und Staatsmänner anbeteten.
Aber daß, wenn wirklich in solchen Klagen ein Korn Wahrheit sein sollte, die
Catos selber die Hauptschuld trifft, wollen sie nicht einsehen. Die verbissene
Rechthaberei und das persönliche Gezänk in den Kanunern und in den Blättern
widert endlich jeden an, umso mehr, als fast überall die Regierenden den
ernsten Willen zeigen, zu helfen und zu bessern, wo es not thut, und da, wo
sie fehlgreifen, die Kritiker auch keinen andern Rat wissen, als Theorien, die
sich in der Praxis als ohnmächtig erwiesen haben.

Das kann sich natürlich nicht auf die neue Staats- und Gesellschafts¬
ordnung beziehen, die die Sozialdemokraten nächstens einzuführen gedenken, denn
deren Wesen wird ja eben so sorgfältig geheim gehalten, wie der eigentliche
Inhalt der Freimaurerei. Ihre Programmreden ähneln den Deklamationen
Catilinas in einem deutschen Trauerspiel, der stets von „dein Gedanken, der
sein eigen ist," spricht, den Gedanken aber vorsichtig für sich behält. Alle
„intelligenten" Arbeiter, versichert Herr Liebknecht, seien Sozialdemokraten.
Ob wirklich Intelligenz dazu gehört, sich zu dem Glaubenssätze zu bekennen,
daß alles anders werden müsse? „Es muß alles verrungenirt werden," sagten
die Ahnen der Berliner Sozialdemokraten. Und nnn Herr Bebel, der ja wohl
der zukünftige Präfekt für Deutschland in der Weltrepublik ist, die keine
Nationalitäten keimt! Das Bemühen dieses Mannes, sich zu bilden, kann nicht
verkannt werden, leider hat er-noch nicht logisch denken lernen. „Die Völker
haben kein Gefallen an den Rüstungen," lind ohne Zweifel wurden Franzosen,
Tschechen, Balkanslawen, Russen es lieber sehen, wenn ihnen gutwillig aus¬
geliefert würde, wonach ihnen der Gaumen steht! „1L7V wurde in allen
Proklamationen betont, daß Dentschland nur mit den französischen Heeren
Krieg führe"; offenbar waren es harmlose unbewaffnete Bürger, die uns bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/307>, abgerufen am 16.06.2024.