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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals die Getreidezölle und die Notlage der östlichen Provinzen

ernte großer Gebiete der östlichen Provinzen noch nicht kennt und gegenwärtig
noch nicht kennen kann. Wäre insbesondre in Ost- und Westpreußen die
Kartoffelernte nicht so ungewöhnlich günstig ausgefallen, wie sie es in Wirk¬
lichkeit ist, dann wäre, wie in Galizien, in großen Teilen der genannten beiden
Provinzen ein Notstand zu erwarten, zu dessen Beseitigung Staatshilfe ein¬
treten müßte. Die Provinzen werden nicht uur kein Getreide ausführen,
sondern -- erst im nächsten Frühjahre wird Mangel und Not hervor¬
treten -- bedeutende Getreidemassen einführen, und da sich auch die übrigen
östlichen Provinzen in ähnlicher Lage befinden, so wird sich die Einfuhr nicht,
wie Freiherr von Maltzahn annimmt, in den nächsten Monaten verringern,
sondern sie wird sich erhöhen und der Ertrag der Kornzölle sich einer Gesamt¬
summe von hundert Millionen Mark nähern. Allein an Roggen beträgt nach
einer uns vorliegenden Nachweisung die monatliche Einfuhr über eine Million
Zentner, und wir glauben nicht fehl zu greifen, wenn wir die im Etatsjahre
zu erwartende Roggeneinfuhr auf 15 Millionen Zentner oder 7^ Millionen
Doppelzentner (Kilogramm) mit einem Zolle von 5 x 7^ gleich 37^ Mil¬
lionen Mark anschlagen. Trotz dieser riesigen Einfuhr bleibt der Preis des
Roggens hoch, verhältnismäßig höher als der Preis des Weizens. Denn in
den an der Ostsee gelegenen Handelsstädten werden gegenwärtig für je 1000
Kilogramm Weizen 175, für Roggen 160 Mark bezahlt, während das richtige
Verhältnis 175 und 150 Mark betragen dürfte. Diese Erscheinung beruht
darauf, daß der in den östlichen Provinzen erzeugte Roggen zur Ernährung
der eignen Bevölkerung kaum ausreicht, und daß dort Roggen mehr als Weizen
begehrt wird. Die östlichen Provinzen haben stets Überfluß an Weizen, aber
oft Mangel an Roggen. Im Westen, namentlich in den Handelsstädten Köln
und Mannheim, gestalten sich die Preisverhältnisse anders, stets zu Gunsten
des Weizens, wie denn gegenwärtig dort sür Weizen 193, für Roggen 16!>
Mark bezahlt werden, weil dort ein größerer Begehr nach Weizen ist. Durch
die Zollgesetzgebung muß dafür gesorgt werden, daß der stets und alljährlich
vorhandne Weizenüberschuß des deutschen Ostens nach dem Westen geschafft
wird. Über die Erhöhung des Weizeuzvlles allem würde wiederum nur dem
Westen, nicht dem Osten helfen. Nur die gleichzeitige Ermäßigung der Eisen-
bahngetreidetarife würde den Osten in den Stand setzen, seinen Weizeu-
überschnß nach dem Westen zu schaffen und dort den Wettbewerb des fremd¬
ländischen Weizens zu überwinden. Wird ferner erwogen, daß Roggen das
Nahrungsmittel der arbeitenden und armen Bevölkerung, Weizen aber vor¬
herrschend das Nahrungsmittel der wohlhabenden Klassen ist, so dürfte unser
Vorschlag, den Roggeuzoll um fünfzig Pfennige für den Doppelzentner zu er¬
mäßigen und den Weizenzoll um zwei Mark zu erhöhen, wohl gerechtfertigt
erscheinen. Man erhebe auch nicht den Einwand, daß der Noggenban mit
gleichen Kosten wie der Weizenball verbunden sei. Der preußische Finanz-


Nochmals die Getreidezölle und die Notlage der östlichen Provinzen

ernte großer Gebiete der östlichen Provinzen noch nicht kennt und gegenwärtig
noch nicht kennen kann. Wäre insbesondre in Ost- und Westpreußen die
Kartoffelernte nicht so ungewöhnlich günstig ausgefallen, wie sie es in Wirk¬
lichkeit ist, dann wäre, wie in Galizien, in großen Teilen der genannten beiden
Provinzen ein Notstand zu erwarten, zu dessen Beseitigung Staatshilfe ein¬
treten müßte. Die Provinzen werden nicht uur kein Getreide ausführen,
sondern — erst im nächsten Frühjahre wird Mangel und Not hervor¬
treten — bedeutende Getreidemassen einführen, und da sich auch die übrigen
östlichen Provinzen in ähnlicher Lage befinden, so wird sich die Einfuhr nicht,
wie Freiherr von Maltzahn annimmt, in den nächsten Monaten verringern,
sondern sie wird sich erhöhen und der Ertrag der Kornzölle sich einer Gesamt¬
summe von hundert Millionen Mark nähern. Allein an Roggen beträgt nach
einer uns vorliegenden Nachweisung die monatliche Einfuhr über eine Million
Zentner, und wir glauben nicht fehl zu greifen, wenn wir die im Etatsjahre
zu erwartende Roggeneinfuhr auf 15 Millionen Zentner oder 7^ Millionen
Doppelzentner (Kilogramm) mit einem Zolle von 5 x 7^ gleich 37^ Mil¬
lionen Mark anschlagen. Trotz dieser riesigen Einfuhr bleibt der Preis des
Roggens hoch, verhältnismäßig höher als der Preis des Weizens. Denn in
den an der Ostsee gelegenen Handelsstädten werden gegenwärtig für je 1000
Kilogramm Weizen 175, für Roggen 160 Mark bezahlt, während das richtige
Verhältnis 175 und 150 Mark betragen dürfte. Diese Erscheinung beruht
darauf, daß der in den östlichen Provinzen erzeugte Roggen zur Ernährung
der eignen Bevölkerung kaum ausreicht, und daß dort Roggen mehr als Weizen
begehrt wird. Die östlichen Provinzen haben stets Überfluß an Weizen, aber
oft Mangel an Roggen. Im Westen, namentlich in den Handelsstädten Köln
und Mannheim, gestalten sich die Preisverhältnisse anders, stets zu Gunsten
des Weizens, wie denn gegenwärtig dort sür Weizen 193, für Roggen 16!>
Mark bezahlt werden, weil dort ein größerer Begehr nach Weizen ist. Durch
die Zollgesetzgebung muß dafür gesorgt werden, daß der stets und alljährlich
vorhandne Weizenüberschuß des deutschen Ostens nach dem Westen geschafft
wird. Über die Erhöhung des Weizeuzvlles allem würde wiederum nur dem
Westen, nicht dem Osten helfen. Nur die gleichzeitige Ermäßigung der Eisen-
bahngetreidetarife würde den Osten in den Stand setzen, seinen Weizeu-
überschnß nach dem Westen zu schaffen und dort den Wettbewerb des fremd¬
ländischen Weizens zu überwinden. Wird ferner erwogen, daß Roggen das
Nahrungsmittel der arbeitenden und armen Bevölkerung, Weizen aber vor¬
herrschend das Nahrungsmittel der wohlhabenden Klassen ist, so dürfte unser
Vorschlag, den Roggeuzoll um fünfzig Pfennige für den Doppelzentner zu er¬
mäßigen und den Weizenzoll um zwei Mark zu erhöhen, wohl gerechtfertigt
erscheinen. Man erhebe auch nicht den Einwand, daß der Noggenban mit
gleichen Kosten wie der Weizenball verbunden sei. Der preußische Finanz-


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[0309] Nochmals die Getreidezölle und die Notlage der östlichen Provinzen ernte großer Gebiete der östlichen Provinzen noch nicht kennt und gegenwärtig noch nicht kennen kann. Wäre insbesondre in Ost- und Westpreußen die Kartoffelernte nicht so ungewöhnlich günstig ausgefallen, wie sie es in Wirk¬ lichkeit ist, dann wäre, wie in Galizien, in großen Teilen der genannten beiden Provinzen ein Notstand zu erwarten, zu dessen Beseitigung Staatshilfe ein¬ treten müßte. Die Provinzen werden nicht uur kein Getreide ausführen, sondern — erst im nächsten Frühjahre wird Mangel und Not hervor¬ treten — bedeutende Getreidemassen einführen, und da sich auch die übrigen östlichen Provinzen in ähnlicher Lage befinden, so wird sich die Einfuhr nicht, wie Freiherr von Maltzahn annimmt, in den nächsten Monaten verringern, sondern sie wird sich erhöhen und der Ertrag der Kornzölle sich einer Gesamt¬ summe von hundert Millionen Mark nähern. Allein an Roggen beträgt nach einer uns vorliegenden Nachweisung die monatliche Einfuhr über eine Million Zentner, und wir glauben nicht fehl zu greifen, wenn wir die im Etatsjahre zu erwartende Roggeneinfuhr auf 15 Millionen Zentner oder 7^ Millionen Doppelzentner (Kilogramm) mit einem Zolle von 5 x 7^ gleich 37^ Mil¬ lionen Mark anschlagen. Trotz dieser riesigen Einfuhr bleibt der Preis des Roggens hoch, verhältnismäßig höher als der Preis des Weizens. Denn in den an der Ostsee gelegenen Handelsstädten werden gegenwärtig für je 1000 Kilogramm Weizen 175, für Roggen 160 Mark bezahlt, während das richtige Verhältnis 175 und 150 Mark betragen dürfte. Diese Erscheinung beruht darauf, daß der in den östlichen Provinzen erzeugte Roggen zur Ernährung der eignen Bevölkerung kaum ausreicht, und daß dort Roggen mehr als Weizen begehrt wird. Die östlichen Provinzen haben stets Überfluß an Weizen, aber oft Mangel an Roggen. Im Westen, namentlich in den Handelsstädten Köln und Mannheim, gestalten sich die Preisverhältnisse anders, stets zu Gunsten des Weizens, wie denn gegenwärtig dort sür Weizen 193, für Roggen 16!> Mark bezahlt werden, weil dort ein größerer Begehr nach Weizen ist. Durch die Zollgesetzgebung muß dafür gesorgt werden, daß der stets und alljährlich vorhandne Weizenüberschuß des deutschen Ostens nach dem Westen geschafft wird. Über die Erhöhung des Weizeuzvlles allem würde wiederum nur dem Westen, nicht dem Osten helfen. Nur die gleichzeitige Ermäßigung der Eisen- bahngetreidetarife würde den Osten in den Stand setzen, seinen Weizeu- überschnß nach dem Westen zu schaffen und dort den Wettbewerb des fremd¬ ländischen Weizens zu überwinden. Wird ferner erwogen, daß Roggen das Nahrungsmittel der arbeitenden und armen Bevölkerung, Weizen aber vor¬ herrschend das Nahrungsmittel der wohlhabenden Klassen ist, so dürfte unser Vorschlag, den Roggeuzoll um fünfzig Pfennige für den Doppelzentner zu er¬ mäßigen und den Weizenzoll um zwei Mark zu erhöhen, wohl gerechtfertigt erscheinen. Man erhebe auch nicht den Einwand, daß der Noggenban mit gleichen Kosten wie der Weizenball verbunden sei. Der preußische Finanz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/309>, abgerufen am 16.06.2024.