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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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England und Frankreich am Nil

Erfolge kundzugeben, und dazu hatten sie allerdings reichlich Grund und Ur¬
sache. Es mußte bei der öffentlichen Meinung in Frankreich schon lange
bittere Gefühle erwecken, wenn sie erfuhr, daß England sich in einem Lande
festgesetzt und bei dessen Bevölkerung durch gute Verwaltung empfohlen hatte,
das man sich in Frankreich seit Jahrzehnten halt, als eignen Besitz anzusehen
gewohnt hatte. Seine Entwicklung ans unnatürlicher Armut zu Fülle und
Wohlstand schreitet stetig sort, es blüht auf, seine Hilfsquellen sind erschlossen
und fließen reichlich, aber nicht zum Korteile der Franzosen. Zwar ist das
Begehren darnach nicht leicht zu verstehen; denn wenn es erfüllt würde, wenn
Ägypten wie Tunesien unter ausschließlichen französischen Einfluß gelangte oder
gar wie Algerien in französischen Besitz überginge, so würden die Franzosen
nicht zu kolonisiren verstehen. Die Gabe ist ihnen eben nicht zu teil geworden,
wie alle überseeischen Länder, die sie sich angeeignet haben, mehr oder minder
deutlich beweisen. Auch würden sie kaum imstande sein, es gegen eine starke
Seemacht auf die Dauer zu behaupten, namentlich wenn diese mit einer oder
mehreren Landmächten ersten Ranges verbündet aufträte. Frankreich hat in
den genannten beiden Landschaften schon mehr vom afrikanischen Gebiete, als
es verdauen kann. Sein Handel mit Ägypten ist verhältnismäßig unbeträcht¬
lich. Dennoch klammert es sich an alte Überlieferungen ans der Zeit, wo die
Beherrscher des untern Nillandes ganz unter französischem Einflüsse standen
und fast unbedingt den Ratschlägen folgten, die ihnen von Paris zugingen.
Diese Erinnerungen beginnen mit der Ära des ersten Napoleon, dessen Zug
nach dem Lande der Pyramiden ein Teil seines großartigen Planes war,
den Engländern im Osten einen vernichtenden Schlag beizubringen und so die
Niederlage zu rächen, die kurz vorher die französische ostindische Kompagnie
mit ihrem Plane erlitten hatte, in Indien ein großes Reich zu gründen. So
lebte die erbliche Nebenbuhlerschaft der beiden Völker, die bald auf dem euro¬
päischen Festlande, bald in Nordamerika, bald auf der indischen Halbinsel mit
einander gekämpft hatten, jetzt am Nil wieder auf, und Frankreich schien bereits
den Sieg behalten zu sollen, als Nelson durch seinen Erfolg bei Abukir den
Hoffnungen der Franzosen gründlich ein Ende bereitete. Diese flammten in
andrer Gestalt unter Mehemed Ali wieder ans, dessen Politik in der zweiten
Hälfte seiner Herrschaft vo" Paris hergeleitet wurde, und der auch der fran¬
zösischen Kultur sein Land öffnete, französische Offiziere und Ingenieure be¬
schäftigte und französische Einrichtungen einführte, was von seinen Nachfolgern,
namentlich Ismail Pascha, fortgesetzt wurde. Noch mehr aber erhoben sich
diese Hoffnungen, als Ferdinand von Lesfeps in Übereinstimmung und mit Unter¬
stützung des vorletzten Khedive den Suezkanal erbaute, und noch später, als die
republikanischen Staatsweisen in Paris die sogenannte Doppelkontrole erfanden.
Aber wieder endigten die Erwartungen, die man an diese Unternehmungen und
Einrichtungen geknüpft hatte, mit schweren Enttäuschungen: der Kanal wurde


England und Frankreich am Nil

Erfolge kundzugeben, und dazu hatten sie allerdings reichlich Grund und Ur¬
sache. Es mußte bei der öffentlichen Meinung in Frankreich schon lange
bittere Gefühle erwecken, wenn sie erfuhr, daß England sich in einem Lande
festgesetzt und bei dessen Bevölkerung durch gute Verwaltung empfohlen hatte,
das man sich in Frankreich seit Jahrzehnten halt, als eignen Besitz anzusehen
gewohnt hatte. Seine Entwicklung ans unnatürlicher Armut zu Fülle und
Wohlstand schreitet stetig sort, es blüht auf, seine Hilfsquellen sind erschlossen
und fließen reichlich, aber nicht zum Korteile der Franzosen. Zwar ist das
Begehren darnach nicht leicht zu verstehen; denn wenn es erfüllt würde, wenn
Ägypten wie Tunesien unter ausschließlichen französischen Einfluß gelangte oder
gar wie Algerien in französischen Besitz überginge, so würden die Franzosen
nicht zu kolonisiren verstehen. Die Gabe ist ihnen eben nicht zu teil geworden,
wie alle überseeischen Länder, die sie sich angeeignet haben, mehr oder minder
deutlich beweisen. Auch würden sie kaum imstande sein, es gegen eine starke
Seemacht auf die Dauer zu behaupten, namentlich wenn diese mit einer oder
mehreren Landmächten ersten Ranges verbündet aufträte. Frankreich hat in
den genannten beiden Landschaften schon mehr vom afrikanischen Gebiete, als
es verdauen kann. Sein Handel mit Ägypten ist verhältnismäßig unbeträcht¬
lich. Dennoch klammert es sich an alte Überlieferungen ans der Zeit, wo die
Beherrscher des untern Nillandes ganz unter französischem Einflüsse standen
und fast unbedingt den Ratschlägen folgten, die ihnen von Paris zugingen.
Diese Erinnerungen beginnen mit der Ära des ersten Napoleon, dessen Zug
nach dem Lande der Pyramiden ein Teil seines großartigen Planes war,
den Engländern im Osten einen vernichtenden Schlag beizubringen und so die
Niederlage zu rächen, die kurz vorher die französische ostindische Kompagnie
mit ihrem Plane erlitten hatte, in Indien ein großes Reich zu gründen. So
lebte die erbliche Nebenbuhlerschaft der beiden Völker, die bald auf dem euro¬
päischen Festlande, bald in Nordamerika, bald auf der indischen Halbinsel mit
einander gekämpft hatten, jetzt am Nil wieder auf, und Frankreich schien bereits
den Sieg behalten zu sollen, als Nelson durch seinen Erfolg bei Abukir den
Hoffnungen der Franzosen gründlich ein Ende bereitete. Diese flammten in
andrer Gestalt unter Mehemed Ali wieder ans, dessen Politik in der zweiten
Hälfte seiner Herrschaft vo» Paris hergeleitet wurde, und der auch der fran¬
zösischen Kultur sein Land öffnete, französische Offiziere und Ingenieure be¬
schäftigte und französische Einrichtungen einführte, was von seinen Nachfolgern,
namentlich Ismail Pascha, fortgesetzt wurde. Noch mehr aber erhoben sich
diese Hoffnungen, als Ferdinand von Lesfeps in Übereinstimmung und mit Unter¬
stützung des vorletzten Khedive den Suezkanal erbaute, und noch später, als die
republikanischen Staatsweisen in Paris die sogenannte Doppelkontrole erfanden.
Aber wieder endigten die Erwartungen, die man an diese Unternehmungen und
Einrichtungen geknüpft hatte, mit schweren Enttäuschungen: der Kanal wurde


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[0354] England und Frankreich am Nil Erfolge kundzugeben, und dazu hatten sie allerdings reichlich Grund und Ur¬ sache. Es mußte bei der öffentlichen Meinung in Frankreich schon lange bittere Gefühle erwecken, wenn sie erfuhr, daß England sich in einem Lande festgesetzt und bei dessen Bevölkerung durch gute Verwaltung empfohlen hatte, das man sich in Frankreich seit Jahrzehnten halt, als eignen Besitz anzusehen gewohnt hatte. Seine Entwicklung ans unnatürlicher Armut zu Fülle und Wohlstand schreitet stetig sort, es blüht auf, seine Hilfsquellen sind erschlossen und fließen reichlich, aber nicht zum Korteile der Franzosen. Zwar ist das Begehren darnach nicht leicht zu verstehen; denn wenn es erfüllt würde, wenn Ägypten wie Tunesien unter ausschließlichen französischen Einfluß gelangte oder gar wie Algerien in französischen Besitz überginge, so würden die Franzosen nicht zu kolonisiren verstehen. Die Gabe ist ihnen eben nicht zu teil geworden, wie alle überseeischen Länder, die sie sich angeeignet haben, mehr oder minder deutlich beweisen. Auch würden sie kaum imstande sein, es gegen eine starke Seemacht auf die Dauer zu behaupten, namentlich wenn diese mit einer oder mehreren Landmächten ersten Ranges verbündet aufträte. Frankreich hat in den genannten beiden Landschaften schon mehr vom afrikanischen Gebiete, als es verdauen kann. Sein Handel mit Ägypten ist verhältnismäßig unbeträcht¬ lich. Dennoch klammert es sich an alte Überlieferungen ans der Zeit, wo die Beherrscher des untern Nillandes ganz unter französischem Einflüsse standen und fast unbedingt den Ratschlägen folgten, die ihnen von Paris zugingen. Diese Erinnerungen beginnen mit der Ära des ersten Napoleon, dessen Zug nach dem Lande der Pyramiden ein Teil seines großartigen Planes war, den Engländern im Osten einen vernichtenden Schlag beizubringen und so die Niederlage zu rächen, die kurz vorher die französische ostindische Kompagnie mit ihrem Plane erlitten hatte, in Indien ein großes Reich zu gründen. So lebte die erbliche Nebenbuhlerschaft der beiden Völker, die bald auf dem euro¬ päischen Festlande, bald in Nordamerika, bald auf der indischen Halbinsel mit einander gekämpft hatten, jetzt am Nil wieder auf, und Frankreich schien bereits den Sieg behalten zu sollen, als Nelson durch seinen Erfolg bei Abukir den Hoffnungen der Franzosen gründlich ein Ende bereitete. Diese flammten in andrer Gestalt unter Mehemed Ali wieder ans, dessen Politik in der zweiten Hälfte seiner Herrschaft vo» Paris hergeleitet wurde, und der auch der fran¬ zösischen Kultur sein Land öffnete, französische Offiziere und Ingenieure be¬ schäftigte und französische Einrichtungen einführte, was von seinen Nachfolgern, namentlich Ismail Pascha, fortgesetzt wurde. Noch mehr aber erhoben sich diese Hoffnungen, als Ferdinand von Lesfeps in Übereinstimmung und mit Unter¬ stützung des vorletzten Khedive den Suezkanal erbaute, und noch später, als die republikanischen Staatsweisen in Paris die sogenannte Doppelkontrole erfanden. Aber wieder endigten die Erwartungen, die man an diese Unternehmungen und Einrichtungen geknüpft hatte, mit schweren Enttäuschungen: der Kanal wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/354>, abgerufen am 16.06.2024.