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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Glaubensbekenntnis und eine Verheißung, die den Eingeweihten nicht neu,
aber den weitern Kreisen der Neichsfreunde ein Trost war. Der Redner hat
dann, als er den Thron bestiegen hatte, am Jahrestage der Schlacht bei Mars
in Tour unumwundener ausgesprochen, was er an jenem denkwürdigen 1. April
bekundet hatte, und dem sind seitdem zahlreiche andre öffentliche Äußerungen
des jungen Monarchen gefolgt, nach denen er sich klar bewußt ist und bleibt,
wessen Verdienst es war, wenn er die Kaiserkrone trägt, und wenn er sie ohne
Schmälerung der mit ihr verlmndnen Ehren und Rechte geerbt hat. Es ist,
wie das letzte Jahr bestätigt hat, ein Verhältnis aufrichtiger Dankbarkeit und
unbedingten Vertrauens, ein nicht bloß auf politischer Überzeugung beruhendes
Verhältnis, das den Kaiser mit dem Kanzler verbindet, sondern zugleich ein
solches, das von warmherziger, tiefwurzelnder Anhänglichkeit begleitet wird und
hiermit unauflöslich erscheint. Ganz abgesehen von der Demokratie, die sich in
den 99 Tagen im Hinblick auf ihre einflußreiche Gönnerschaft am Hofe so
hoffnungsfreudig geberdete und schon am Anfang der Erfüllung ihrer Wünsche
zu sein wähnte, hat auch die Partei des unbedingten Gegenteils, dein Kanzler
in ihren Bestrebungen nicht viel weniger in seinem Wirken hinderlich und zuwider,
deu Kaiser nicht sür sich zu gewinnen vermocht, sondern auch im letzten Jahre
mit stillem Verdruße sehen müssen, wie er mit seinem bewährten Ratgeber ging,
der mit seiner Politik keiner Partei folgt, wenn sie von der Richtschnur sich
entfernt, die sein Genius ihm vorgezeichnet hat und einzuhalten gebietet, der
aber das Gute bei allen Parteien anerkennt und nach Möglichkeit berücksichtigt,
wenn sie sich zu den Zwecken des Reiches bekennen und bei deren Erreichung
ehrlich und kräftig zu dienen verspreche"?. Es unterliegt jetzt, nach anderthalb¬
jähriger Regierung Kaiser Wilhelms des Zweiten, keinerlei Zweifeln mehr,
daß die Elemente, als deren Wortführerin die Kreuzzeitung augesehen werden
muß, sich durch den Gang der Dinge seit der Thcoubesteigilng des neuen Herrschers
in ihren Hoffnungen, die sie wiederholt äußerten, vollständig getäuscht haben. Mit
eben fo viel Halsstarrigkeit als Mangel an Einsicht, was heutzutage im Staate
erreichbar oder unerreichbar, möglich oder unmöglich ist, hatten die Herren
gemeint, das neue Regiment werde ihnen erfüllen, was sie bisher nicht hatten
durchsetzen können, das Einlenken der Stnatsmaschine auf das hochkirchliche
und hochkonservative Geleise; und von dem Augenblick an, wo man sich über¬
zeugte, daß der Monarch, die Meinung seines Kanzlers und Ministers voll¬
kommen leitend, die Wege der Doktrinäre von der äußersten Rechten nicht
einschlagen werde, begann die frühere Wühler- und Hetzerarbeit gegen den
Fürsten Bismarck aufs neue. Das Jahr 1889 aber hat es bei mehreren Ge¬
legenheiten zur klaren Thatsache erhoben, daß alle Versuche der Art ihre Wirkung
am Throne verfehlt haben und mir zur Ursache geworden sind, daß eine Ver¬
schärfung des von 1872 her bestehenden Gegensatzes zwischen der Deklaranten-
sippe und dem Kanzler eingetreten ist, und'daß anderseits sich die Aussichten


Glaubensbekenntnis und eine Verheißung, die den Eingeweihten nicht neu,
aber den weitern Kreisen der Neichsfreunde ein Trost war. Der Redner hat
dann, als er den Thron bestiegen hatte, am Jahrestage der Schlacht bei Mars
in Tour unumwundener ausgesprochen, was er an jenem denkwürdigen 1. April
bekundet hatte, und dem sind seitdem zahlreiche andre öffentliche Äußerungen
des jungen Monarchen gefolgt, nach denen er sich klar bewußt ist und bleibt,
wessen Verdienst es war, wenn er die Kaiserkrone trägt, und wenn er sie ohne
Schmälerung der mit ihr verlmndnen Ehren und Rechte geerbt hat. Es ist,
wie das letzte Jahr bestätigt hat, ein Verhältnis aufrichtiger Dankbarkeit und
unbedingten Vertrauens, ein nicht bloß auf politischer Überzeugung beruhendes
Verhältnis, das den Kaiser mit dem Kanzler verbindet, sondern zugleich ein
solches, das von warmherziger, tiefwurzelnder Anhänglichkeit begleitet wird und
hiermit unauflöslich erscheint. Ganz abgesehen von der Demokratie, die sich in
den 99 Tagen im Hinblick auf ihre einflußreiche Gönnerschaft am Hofe so
hoffnungsfreudig geberdete und schon am Anfang der Erfüllung ihrer Wünsche
zu sein wähnte, hat auch die Partei des unbedingten Gegenteils, dein Kanzler
in ihren Bestrebungen nicht viel weniger in seinem Wirken hinderlich und zuwider,
deu Kaiser nicht sür sich zu gewinnen vermocht, sondern auch im letzten Jahre
mit stillem Verdruße sehen müssen, wie er mit seinem bewährten Ratgeber ging,
der mit seiner Politik keiner Partei folgt, wenn sie von der Richtschnur sich
entfernt, die sein Genius ihm vorgezeichnet hat und einzuhalten gebietet, der
aber das Gute bei allen Parteien anerkennt und nach Möglichkeit berücksichtigt,
wenn sie sich zu den Zwecken des Reiches bekennen und bei deren Erreichung
ehrlich und kräftig zu dienen verspreche«?. Es unterliegt jetzt, nach anderthalb¬
jähriger Regierung Kaiser Wilhelms des Zweiten, keinerlei Zweifeln mehr,
daß die Elemente, als deren Wortführerin die Kreuzzeitung augesehen werden
muß, sich durch den Gang der Dinge seit der Thcoubesteigilng des neuen Herrschers
in ihren Hoffnungen, die sie wiederholt äußerten, vollständig getäuscht haben. Mit
eben fo viel Halsstarrigkeit als Mangel an Einsicht, was heutzutage im Staate
erreichbar oder unerreichbar, möglich oder unmöglich ist, hatten die Herren
gemeint, das neue Regiment werde ihnen erfüllen, was sie bisher nicht hatten
durchsetzen können, das Einlenken der Stnatsmaschine auf das hochkirchliche
und hochkonservative Geleise; und von dem Augenblick an, wo man sich über¬
zeugte, daß der Monarch, die Meinung seines Kanzlers und Ministers voll¬
kommen leitend, die Wege der Doktrinäre von der äußersten Rechten nicht
einschlagen werde, begann die frühere Wühler- und Hetzerarbeit gegen den
Fürsten Bismarck aufs neue. Das Jahr 1889 aber hat es bei mehreren Ge¬
legenheiten zur klaren Thatsache erhoben, daß alle Versuche der Art ihre Wirkung
am Throne verfehlt haben und mir zur Ursache geworden sind, daß eine Ver¬
schärfung des von 1872 her bestehenden Gegensatzes zwischen der Deklaranten-
sippe und dem Kanzler eingetreten ist, und'daß anderseits sich die Aussichten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/11>, abgerufen am 10.06.2024.