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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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beschreibt. (Was darin allzu unverständlich ist, drücke ich ueudeutsch aus.)
"He nom tha Engliska hoc, tha malete Seine Veda; an other he nom vn
"alm, tha malete Semle Albin; hoc he nom the thriddc, leide der amiddeu,
tha malete a Freuchis clere, Waee was ihoten (war er geheißen), the wei
evnthe writen. Lahamon leide thevs hoc, und wandte die Blätter um; liebreich
sah er sie an, Gott sei ihm gnädig! Fethereu he nom mit singren, und schrieb
ans Buchfelle; die wahren Worte setzte er zusammen und die drei Bücher drängte
er in eins." Ungestört in der stillen Klosterzelle sitzen, mit drei Büchern als
ganzer Litteratur, und dem einfältigen, andächtigen Glauben mi die volle Wahr¬
heit jedes Wortes, das auf den liebem Buchseiten steht, und das schöne Bewußt¬
sein : kein Treiber steht mit der Hetzpeitsche hinter dir; ob du übers Jahr oder
" zehn Jahren oder gar nicht mit deiner Arbeit fertig wirst, das kümmert
keinen Menschen und macht dir selbst keine Sorgen -- da kaun einer freilich
"gut reiten." Aber unser heutiger Beamter, der in einer Woche einen buchdicken
Bericht "fertig stellen" muß, unser Penny-a-tirer, der in einem Vormittage
die fällige Fortsetzung seines Feuilletouromaus, einen Leitartikel über die Zucker¬
steuer und den Bericht über die Straßeuprügeleien der letzten Nackt zusammen¬
schmiert, ein Mauöverberichterstatter, der es sich uicht so bequem macht wie
Wippchen, wie können die bei ihrer Hetzjagd auf den Stil achten? Und wie
soll sich bei unsrer Vielleserei, die uns den Kopf in eine Musterkarte von
Stilprvben verwandelt, Stilgefühl bilden oder das schon vorhandene nicht zu
Grunde gehen? lind ist nicht für die in unserm heutigen Leben so wichtige
Reklame das Verrückteste gerade das Wirksamste, daher der Nonveantvstil gar
"icht zu entbehren?

Gut und schön sprechen und schreiben ist, wie gesagt, eine Kunst. Die
'lnsübnng einer Kunst beruht einerseits ans natürlicher Anlage und Inspira¬
tion, anderseits auf technischer Vorbildung. Die Anlage kann sich niemand
erwerben, der sie nicht als Geschenk der Natur empfangen hat; Inspirationen
tasten sich nicht erzwingen. Zum Schreiben pflegen Ereignisse und Leidenschaften
M begeistern. Wenn sich einer gedrungen fühlt, wie Schiller vor Abfassung
der Räuber, ein Stück zu schreibe", "das absolut durch den Schinder ver¬
brannt werden muß," so wird das, was herauskommt, zwar uicht übermäßig
seltsam, aber stilistisch gar uicht schlecht sein. Goethe schrieb nicht, wenn es
ihn nicht "auf die Nägel brannte." Wir Heutigen müssen oft schreiben, wenn
^ir keine Lust haben, iuvitA Ninorva, und wenn uns einmal etwas ans die
Nägel brennt, so haben wir entweder keine Zeit dazu, oder nur schreiben es
"war, aber -- es eignet sich nicht für den Druck. Solche Sachen, bei denen
uns die Feder fliegt und deu Gedanken trotzdem nicht schnell genug zu folgen
vermag, stwaß wir hernach das Geschriebene selber uicht lesen können, die
haben immer auch ihre eigentümliche Stilschönheit, eine Schönheit, die sich
durch keine Mühe, keinen Fleiß, kein Studium erzwingen läßt,


beschreibt. (Was darin allzu unverständlich ist, drücke ich ueudeutsch aus.)
»He nom tha Engliska hoc, tha malete Seine Veda; an other he nom vn
"alm, tha malete Semle Albin; hoc he nom the thriddc, leide der amiddeu,
tha malete a Freuchis clere, Waee was ihoten (war er geheißen), the wei
evnthe writen. Lahamon leide thevs hoc, und wandte die Blätter um; liebreich
sah er sie an, Gott sei ihm gnädig! Fethereu he nom mit singren, und schrieb
ans Buchfelle; die wahren Worte setzte er zusammen und die drei Bücher drängte
er in eins." Ungestört in der stillen Klosterzelle sitzen, mit drei Büchern als
ganzer Litteratur, und dem einfältigen, andächtigen Glauben mi die volle Wahr¬
heit jedes Wortes, das auf den liebem Buchseiten steht, und das schöne Bewußt¬
sein : kein Treiber steht mit der Hetzpeitsche hinter dir; ob du übers Jahr oder
» zehn Jahren oder gar nicht mit deiner Arbeit fertig wirst, das kümmert
keinen Menschen und macht dir selbst keine Sorgen — da kaun einer freilich
»gut reiten." Aber unser heutiger Beamter, der in einer Woche einen buchdicken
Bericht „fertig stellen" muß, unser Penny-a-tirer, der in einem Vormittage
die fällige Fortsetzung seines Feuilletouromaus, einen Leitartikel über die Zucker¬
steuer und den Bericht über die Straßeuprügeleien der letzten Nackt zusammen¬
schmiert, ein Mauöverberichterstatter, der es sich uicht so bequem macht wie
Wippchen, wie können die bei ihrer Hetzjagd auf den Stil achten? Und wie
soll sich bei unsrer Vielleserei, die uns den Kopf in eine Musterkarte von
Stilprvben verwandelt, Stilgefühl bilden oder das schon vorhandene nicht zu
Grunde gehen? lind ist nicht für die in unserm heutigen Leben so wichtige
Reklame das Verrückteste gerade das Wirksamste, daher der Nonveantvstil gar
"icht zu entbehren?

Gut und schön sprechen und schreiben ist, wie gesagt, eine Kunst. Die
'lnsübnng einer Kunst beruht einerseits ans natürlicher Anlage und Inspira¬
tion, anderseits auf technischer Vorbildung. Die Anlage kann sich niemand
erwerben, der sie nicht als Geschenk der Natur empfangen hat; Inspirationen
tasten sich nicht erzwingen. Zum Schreiben pflegen Ereignisse und Leidenschaften
M begeistern. Wenn sich einer gedrungen fühlt, wie Schiller vor Abfassung
der Räuber, ein Stück zu schreibe», „das absolut durch den Schinder ver¬
brannt werden muß," so wird das, was herauskommt, zwar uicht übermäßig
seltsam, aber stilistisch gar uicht schlecht sein. Goethe schrieb nicht, wenn es
ihn nicht „auf die Nägel brannte." Wir Heutigen müssen oft schreiben, wenn
^ir keine Lust haben, iuvitA Ninorva, und wenn uns einmal etwas ans die
Nägel brennt, so haben wir entweder keine Zeit dazu, oder nur schreiben es
»war, aber — es eignet sich nicht für den Druck. Solche Sachen, bei denen
uns die Feder fliegt und deu Gedanken trotzdem nicht schnell genug zu folgen
vermag, stwaß wir hernach das Geschriebene selber uicht lesen können, die
haben immer auch ihre eigentümliche Stilschönheit, eine Schönheit, die sich
durch keine Mühe, keinen Fleiß, kein Studium erzwingen läßt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/293>, abgerufen am 17.06.2024.