Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Briefe von Goethes Mutter

keit, ihrer nimmermüden Sorgfalt für den Sohn, die Tochter und den Enkel,
daß die Aufgabe, daS neu gewonnene zu sammeln und zu einem schlichten
Charakterbilde zu vereinigen, überaus reizvoll erscheint. Daß wir dabei die
"Bekenntnisse einer fröhlichen Seele" meist selber reden und Frau Aja sich
selbst schildern lassen, ist wohl selbstverständlich -- wer wollte mit Frau Aja
wetteifern!

Am beste:? hat der Sohn den Charakter seiner Mutter in dem eigens für
sie geschaffenen Worte "Frvhnatnr" zusammengefaßt. "Ein fröliges Hertz ist
ein stetes Wohlleben, sagen die heiligen Schriftsteller -- und fröligkeit ist die
Mutter aller Tugenden steht im Götz von Verlichingen." "Wer lacht, kann
keine Todsünde thun" war einer ihrer Lieblingssprüche, "Freut euch des Lebens,
weil noch das Lämpchen glüht" ihr Lieblingslied. Meist "vergnügt wie eine
Göttin," hielt sie es für garstigen Undank gegen Gott, sichs auf seiner schönen
Erde nicht Wohl sein zu lassen. Und diese Heiterkeit und Fröhlichkeit übertrug
sie ans alle, die ihr nahe traten. "Ich habe die Gnade von Gott, daß noch
keine Menschenseele mißvergnügt von mir fortgegangen ist," konnte sie an Frau
von Stein schreiben. Darum wurde ihr auch von allen, vom Musiker Kranz,
der ihrer Häuslichkeit den schönen Namen o-rsA sano gab, bis zur Herzogin
Anna Amalia, die größte Verehrung und die begeistertste Liebe entgegen ge¬
bracht. Jeder glaubte von dem Glück, das Frau Aja ausstrahlte, einen Teil
"ut sich zu nehmen als dauernden Schatz und als Trost in Trübsal. Nur
mit mißvergnügten, sauertöpfischen Menschen wußte Frau Aja nichts einzu-
fangen. "Wäre ich eine Regireude Fürstin, so machte ich es wie Julius
Cäsar lauter fröliche Gesichter müßten an meinem Hof zu scheu seyn dem? das
sind der Regel nach gute Menschen, die ihr Bewußtsein froh macht -- aber
die Duckmäußer die immer nntersich sehen -- haben etwas vom Cain an sich
die fürchte ich -- Luther hat Gott zu Cain sagen laßen warum verstelts du
deine Geberde, aber es heißt eigentlich im Grundtext -- warum läßt du den
Kopf hängen."

Dieser Frohsinn, der sie selbst und alle ihr nahe stehenden beglückte, war
nicht etwa in äußern Verhältnissen begründet. Wenn sie auch durch ansehn¬
liches Vermögen von Sorgen um den Lebensunterhalt befreit war, hat sie doch
in ihrer Ehe unter dem strengen Regiment eines oft rücksichtslosen und hals¬
starrigen, dazu über zwanzig Jahre ältern Gatten schwere Tage gesehen und
viele Jahre als Pflegerin des körperlich und geistig langsam dem Ende ent¬
gegengehenden Mannes zugebracht. Nein, Frau Ajas Frohsinn war ein
Ausfluß ihres Charakters. Sie besaß die beneidenswerte Kunst, an allen
Dingen die gute Seite herauszufinden. "Es gibt doch viele Freuden in
unseres Lieben Herr Gotts feiner Welt!" schreibt sie an ihren Sohn in dem
Bericht über ihr Lesen des Don Carlos -- "Nur muß man sich aufs suchen
verstehn -- sie finden sich gewiß -- und das kleine ja nicht verschmähen --


Neue Briefe von Goethes Mutter

keit, ihrer nimmermüden Sorgfalt für den Sohn, die Tochter und den Enkel,
daß die Aufgabe, daS neu gewonnene zu sammeln und zu einem schlichten
Charakterbilde zu vereinigen, überaus reizvoll erscheint. Daß wir dabei die
„Bekenntnisse einer fröhlichen Seele" meist selber reden und Frau Aja sich
selbst schildern lassen, ist wohl selbstverständlich — wer wollte mit Frau Aja
wetteifern!

Am beste:? hat der Sohn den Charakter seiner Mutter in dem eigens für
sie geschaffenen Worte „Frvhnatnr" zusammengefaßt. „Ein fröliges Hertz ist
ein stetes Wohlleben, sagen die heiligen Schriftsteller — und fröligkeit ist die
Mutter aller Tugenden steht im Götz von Verlichingen." „Wer lacht, kann
keine Todsünde thun" war einer ihrer Lieblingssprüche, „Freut euch des Lebens,
weil noch das Lämpchen glüht" ihr Lieblingslied. Meist „vergnügt wie eine
Göttin," hielt sie es für garstigen Undank gegen Gott, sichs auf seiner schönen
Erde nicht Wohl sein zu lassen. Und diese Heiterkeit und Fröhlichkeit übertrug
sie ans alle, die ihr nahe traten. „Ich habe die Gnade von Gott, daß noch
keine Menschenseele mißvergnügt von mir fortgegangen ist," konnte sie an Frau
von Stein schreiben. Darum wurde ihr auch von allen, vom Musiker Kranz,
der ihrer Häuslichkeit den schönen Namen o-rsA sano gab, bis zur Herzogin
Anna Amalia, die größte Verehrung und die begeistertste Liebe entgegen ge¬
bracht. Jeder glaubte von dem Glück, das Frau Aja ausstrahlte, einen Teil
»ut sich zu nehmen als dauernden Schatz und als Trost in Trübsal. Nur
mit mißvergnügten, sauertöpfischen Menschen wußte Frau Aja nichts einzu-
fangen. „Wäre ich eine Regireude Fürstin, so machte ich es wie Julius
Cäsar lauter fröliche Gesichter müßten an meinem Hof zu scheu seyn dem? das
sind der Regel nach gute Menschen, die ihr Bewußtsein froh macht — aber
die Duckmäußer die immer nntersich sehen — haben etwas vom Cain an sich
die fürchte ich — Luther hat Gott zu Cain sagen laßen warum verstelts du
deine Geberde, aber es heißt eigentlich im Grundtext — warum läßt du den
Kopf hängen."

Dieser Frohsinn, der sie selbst und alle ihr nahe stehenden beglückte, war
nicht etwa in äußern Verhältnissen begründet. Wenn sie auch durch ansehn¬
liches Vermögen von Sorgen um den Lebensunterhalt befreit war, hat sie doch
in ihrer Ehe unter dem strengen Regiment eines oft rücksichtslosen und hals¬
starrigen, dazu über zwanzig Jahre ältern Gatten schwere Tage gesehen und
viele Jahre als Pflegerin des körperlich und geistig langsam dem Ende ent¬
gegengehenden Mannes zugebracht. Nein, Frau Ajas Frohsinn war ein
Ausfluß ihres Charakters. Sie besaß die beneidenswerte Kunst, an allen
Dingen die gute Seite herauszufinden. „Es gibt doch viele Freuden in
unseres Lieben Herr Gotts feiner Welt!" schreibt sie an ihren Sohn in dem
Bericht über ihr Lesen des Don Carlos — „Nur muß man sich aufs suchen
verstehn — sie finden sich gewiß — und das kleine ja nicht verschmähen —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206682"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Briefe von Goethes Mutter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_78" prev="#ID_77"> keit, ihrer nimmermüden Sorgfalt für den Sohn, die Tochter und den Enkel,<lb/>
daß die Aufgabe, daS neu gewonnene zu sammeln und zu einem schlichten<lb/>
Charakterbilde zu vereinigen, überaus reizvoll erscheint. Daß wir dabei die<lb/>
&#x201E;Bekenntnisse einer fröhlichen Seele" meist selber reden und Frau Aja sich<lb/>
selbst schildern lassen, ist wohl selbstverständlich &#x2014; wer wollte mit Frau Aja<lb/>
wetteifern!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_79"> Am beste:? hat der Sohn den Charakter seiner Mutter in dem eigens für<lb/>
sie geschaffenen Worte &#x201E;Frvhnatnr" zusammengefaßt. &#x201E;Ein fröliges Hertz ist<lb/>
ein stetes Wohlleben, sagen die heiligen Schriftsteller &#x2014; und fröligkeit ist die<lb/>
Mutter aller Tugenden steht im Götz von Verlichingen." &#x201E;Wer lacht, kann<lb/>
keine Todsünde thun" war einer ihrer Lieblingssprüche, &#x201E;Freut euch des Lebens,<lb/>
weil noch das Lämpchen glüht" ihr Lieblingslied. Meist &#x201E;vergnügt wie eine<lb/>
Göttin," hielt sie es für garstigen Undank gegen Gott, sichs auf seiner schönen<lb/>
Erde nicht Wohl sein zu lassen. Und diese Heiterkeit und Fröhlichkeit übertrug<lb/>
sie ans alle, die ihr nahe traten. &#x201E;Ich habe die Gnade von Gott, daß noch<lb/>
keine Menschenseele mißvergnügt von mir fortgegangen ist," konnte sie an Frau<lb/>
von Stein schreiben. Darum wurde ihr auch von allen, vom Musiker Kranz,<lb/>
der ihrer Häuslichkeit den schönen Namen o-rsA sano gab, bis zur Herzogin<lb/>
Anna Amalia, die größte Verehrung und die begeistertste Liebe entgegen ge¬<lb/>
bracht. Jeder glaubte von dem Glück, das Frau Aja ausstrahlte, einen Teil<lb/>
»ut sich zu nehmen als dauernden Schatz und als Trost in Trübsal. Nur<lb/>
mit mißvergnügten, sauertöpfischen Menschen wußte Frau Aja nichts einzu-<lb/>
fangen. &#x201E;Wäre ich eine Regireude Fürstin, so machte ich es wie Julius<lb/>
Cäsar lauter fröliche Gesichter müßten an meinem Hof zu scheu seyn dem? das<lb/>
sind der Regel nach gute Menschen, die ihr Bewußtsein froh macht &#x2014; aber<lb/>
die Duckmäußer die immer nntersich sehen &#x2014; haben etwas vom Cain an sich<lb/>
die fürchte ich &#x2014; Luther hat Gott zu Cain sagen laßen warum verstelts du<lb/>
deine Geberde, aber es heißt eigentlich im Grundtext &#x2014; warum läßt du den<lb/>
Kopf hängen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Dieser Frohsinn, der sie selbst und alle ihr nahe stehenden beglückte, war<lb/>
nicht etwa in äußern Verhältnissen begründet. Wenn sie auch durch ansehn¬<lb/>
liches Vermögen von Sorgen um den Lebensunterhalt befreit war, hat sie doch<lb/>
in ihrer Ehe unter dem strengen Regiment eines oft rücksichtslosen und hals¬<lb/>
starrigen, dazu über zwanzig Jahre ältern Gatten schwere Tage gesehen und<lb/>
viele Jahre als Pflegerin des körperlich und geistig langsam dem Ende ent¬<lb/>
gegengehenden Mannes zugebracht. Nein, Frau Ajas Frohsinn war ein<lb/>
Ausfluß ihres Charakters. Sie besaß die beneidenswerte Kunst, an allen<lb/>
Dingen die gute Seite herauszufinden. &#x201E;Es gibt doch viele Freuden in<lb/>
unseres Lieben Herr Gotts feiner Welt!" schreibt sie an ihren Sohn in dem<lb/>
Bericht über ihr Lesen des Don Carlos &#x2014; &#x201E;Nur muß man sich aufs suchen<lb/>
verstehn &#x2014; sie finden sich gewiß &#x2014; und das kleine ja nicht verschmähen &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] Neue Briefe von Goethes Mutter keit, ihrer nimmermüden Sorgfalt für den Sohn, die Tochter und den Enkel, daß die Aufgabe, daS neu gewonnene zu sammeln und zu einem schlichten Charakterbilde zu vereinigen, überaus reizvoll erscheint. Daß wir dabei die „Bekenntnisse einer fröhlichen Seele" meist selber reden und Frau Aja sich selbst schildern lassen, ist wohl selbstverständlich — wer wollte mit Frau Aja wetteifern! Am beste:? hat der Sohn den Charakter seiner Mutter in dem eigens für sie geschaffenen Worte „Frvhnatnr" zusammengefaßt. „Ein fröliges Hertz ist ein stetes Wohlleben, sagen die heiligen Schriftsteller — und fröligkeit ist die Mutter aller Tugenden steht im Götz von Verlichingen." „Wer lacht, kann keine Todsünde thun" war einer ihrer Lieblingssprüche, „Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht" ihr Lieblingslied. Meist „vergnügt wie eine Göttin," hielt sie es für garstigen Undank gegen Gott, sichs auf seiner schönen Erde nicht Wohl sein zu lassen. Und diese Heiterkeit und Fröhlichkeit übertrug sie ans alle, die ihr nahe traten. „Ich habe die Gnade von Gott, daß noch keine Menschenseele mißvergnügt von mir fortgegangen ist," konnte sie an Frau von Stein schreiben. Darum wurde ihr auch von allen, vom Musiker Kranz, der ihrer Häuslichkeit den schönen Namen o-rsA sano gab, bis zur Herzogin Anna Amalia, die größte Verehrung und die begeistertste Liebe entgegen ge¬ bracht. Jeder glaubte von dem Glück, das Frau Aja ausstrahlte, einen Teil »ut sich zu nehmen als dauernden Schatz und als Trost in Trübsal. Nur mit mißvergnügten, sauertöpfischen Menschen wußte Frau Aja nichts einzu- fangen. „Wäre ich eine Regireude Fürstin, so machte ich es wie Julius Cäsar lauter fröliche Gesichter müßten an meinem Hof zu scheu seyn dem? das sind der Regel nach gute Menschen, die ihr Bewußtsein froh macht — aber die Duckmäußer die immer nntersich sehen — haben etwas vom Cain an sich die fürchte ich — Luther hat Gott zu Cain sagen laßen warum verstelts du deine Geberde, aber es heißt eigentlich im Grundtext — warum läßt du den Kopf hängen." Dieser Frohsinn, der sie selbst und alle ihr nahe stehenden beglückte, war nicht etwa in äußern Verhältnissen begründet. Wenn sie auch durch ansehn¬ liches Vermögen von Sorgen um den Lebensunterhalt befreit war, hat sie doch in ihrer Ehe unter dem strengen Regiment eines oft rücksichtslosen und hals¬ starrigen, dazu über zwanzig Jahre ältern Gatten schwere Tage gesehen und viele Jahre als Pflegerin des körperlich und geistig langsam dem Ende ent¬ gegengehenden Mannes zugebracht. Nein, Frau Ajas Frohsinn war ein Ausfluß ihres Charakters. Sie besaß die beneidenswerte Kunst, an allen Dingen die gute Seite herauszufinden. „Es gibt doch viele Freuden in unseres Lieben Herr Gotts feiner Welt!" schreibt sie an ihren Sohn in dem Bericht über ihr Lesen des Don Carlos — „Nur muß man sich aufs suchen verstehn — sie finden sich gewiß — und das kleine ja nicht verschmähen —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/37>, abgerufen am 26.05.2024.