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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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ur Erinnerung an Gelo Ludwig

in 25>. Februar dieses Jahres war ein Viertelsahrhundert ver¬
flossen, seit Otto Ludwig, "ein Dichter, dem seine Zeitgenossen
nicht reiche Kränze zuwarfen, und doch eine starke und urdentsche
Künstlerseele" (G. Freytag), aus dein Leben schied. Die Bedeutung
des Dichters ist nach seinein Tode durch die Herausgabe seiner
Nachlaßschriften (Shakespearestudien und Dramatische Fragmente), durch die Ver¬
anstaltung einer freilich sehr unzulänglichen Gesamtausgabe seiner Werke, durch
gelegentliche Wiederaufführungen der Tragödie "Der Erbförster" und "Die Makka-
bäer," durch einige Charakteristiken und eine Anzahl von Seiten in neuern
Litteraturgeschichten anerkannt worden; es fehlt jedoch viel, daß sie größern
Kreisen des deutschen Volkes, daß sie allen denen deutlich geworden wäre, die
vermöge ihrer Lebensanschauung, ihrer Empfindung gerade diesen starken und
ernsten Dichter kennen und lieben sollten. Bis zu diesem Ziele scheint es noch
ziemlich weit. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch Otto Ludwig in der
Reihe der Dichter steht, die scheinbar vergessen sind, im stillen aber Geister
und Gemüter fortgewinnen, die sich nicht blos durch den Reiz der Mode und
Neuheit anziehen und fesseln lassen. Es nützt nichts, sich in unfruchtbaren
Anklagen gegen das Geschick zu ergehen, das Otto Ludwigs Entwicklung zuerst
gehemmt und dann mit frühem Tode abgeschnitten hat, und es hilft nichts, mit
der Tageslitteratur zu hadern, der die Erscheinung so tief eigentümlicher Dichter-
natureu und so gewaltigen Ernstes, wie er sich im Leben und Schaffen Otto
Ludwigs offenbart, unbequem, um nicht zu sagen unheimlich bleibt. Besser ist
es, sich dankbar des geleisteten Unvergänglichen zu erinnern und der Kraft des
innern Bedürfnisses zu vertrauen, das auch in ilnerfreulichen Literaturperivden
einzelne gesunde Naturen und selbst kleine Kreise zu dem Quell echter Dichtung
führt, der in Ludwigs Dramen und Erzählungen, auch in den, vielen Un¬
vollendeten, was er hinterlassen hat, so voll und frisch sprudelt. Je stärkrer
Mißbrauch im Augenblicke mit dein Begriff "Leben" in der Litteratur getrieben
wird, um so glücklicher könnte die Zurückwendung zu einem echten Realisten
großen Stils, dessen klarer Blick das ganze Menschendasein, mit Höhen und
Tiefen, mit den dunkelsten Schatten, aber auch den hellsten Lichtern, überschaute,
der die ganze Wahrheit suchte und erfaßte, aber nieder ein Pessimist ward,
noch Vorliebe für die Wirklichkeit des Schmutzes an den Tag legte, heute wirken.




ur Erinnerung an Gelo Ludwig

in 25>. Februar dieses Jahres war ein Viertelsahrhundert ver¬
flossen, seit Otto Ludwig, „ein Dichter, dem seine Zeitgenossen
nicht reiche Kränze zuwarfen, und doch eine starke und urdentsche
Künstlerseele" (G. Freytag), aus dein Leben schied. Die Bedeutung
des Dichters ist nach seinein Tode durch die Herausgabe seiner
Nachlaßschriften (Shakespearestudien und Dramatische Fragmente), durch die Ver¬
anstaltung einer freilich sehr unzulänglichen Gesamtausgabe seiner Werke, durch
gelegentliche Wiederaufführungen der Tragödie „Der Erbförster" und „Die Makka-
bäer," durch einige Charakteristiken und eine Anzahl von Seiten in neuern
Litteraturgeschichten anerkannt worden; es fehlt jedoch viel, daß sie größern
Kreisen des deutschen Volkes, daß sie allen denen deutlich geworden wäre, die
vermöge ihrer Lebensanschauung, ihrer Empfindung gerade diesen starken und
ernsten Dichter kennen und lieben sollten. Bis zu diesem Ziele scheint es noch
ziemlich weit. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch Otto Ludwig in der
Reihe der Dichter steht, die scheinbar vergessen sind, im stillen aber Geister
und Gemüter fortgewinnen, die sich nicht blos durch den Reiz der Mode und
Neuheit anziehen und fesseln lassen. Es nützt nichts, sich in unfruchtbaren
Anklagen gegen das Geschick zu ergehen, das Otto Ludwigs Entwicklung zuerst
gehemmt und dann mit frühem Tode abgeschnitten hat, und es hilft nichts, mit
der Tageslitteratur zu hadern, der die Erscheinung so tief eigentümlicher Dichter-
natureu und so gewaltigen Ernstes, wie er sich im Leben und Schaffen Otto
Ludwigs offenbart, unbequem, um nicht zu sagen unheimlich bleibt. Besser ist
es, sich dankbar des geleisteten Unvergänglichen zu erinnern und der Kraft des
innern Bedürfnisses zu vertrauen, das auch in ilnerfreulichen Literaturperivden
einzelne gesunde Naturen und selbst kleine Kreise zu dem Quell echter Dichtung
führt, der in Ludwigs Dramen und Erzählungen, auch in den, vielen Un¬
vollendeten, was er hinterlassen hat, so voll und frisch sprudelt. Je stärkrer
Mißbrauch im Augenblicke mit dein Begriff „Leben" in der Litteratur getrieben
wird, um so glücklicher könnte die Zurückwendung zu einem echten Realisten
großen Stils, dessen klarer Blick das ganze Menschendasein, mit Höhen und
Tiefen, mit den dunkelsten Schatten, aber auch den hellsten Lichtern, überschaute,
der die ganze Wahrheit suchte und erfaßte, aber nieder ein Pessimist ward,
noch Vorliebe für die Wirklichkeit des Schmutzes an den Tag legte, heute wirken.


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[0432] [Abbildung] ur Erinnerung an Gelo Ludwig in 25>. Februar dieses Jahres war ein Viertelsahrhundert ver¬ flossen, seit Otto Ludwig, „ein Dichter, dem seine Zeitgenossen nicht reiche Kränze zuwarfen, und doch eine starke und urdentsche Künstlerseele" (G. Freytag), aus dein Leben schied. Die Bedeutung des Dichters ist nach seinein Tode durch die Herausgabe seiner Nachlaßschriften (Shakespearestudien und Dramatische Fragmente), durch die Ver¬ anstaltung einer freilich sehr unzulänglichen Gesamtausgabe seiner Werke, durch gelegentliche Wiederaufführungen der Tragödie „Der Erbförster" und „Die Makka- bäer," durch einige Charakteristiken und eine Anzahl von Seiten in neuern Litteraturgeschichten anerkannt worden; es fehlt jedoch viel, daß sie größern Kreisen des deutschen Volkes, daß sie allen denen deutlich geworden wäre, die vermöge ihrer Lebensanschauung, ihrer Empfindung gerade diesen starken und ernsten Dichter kennen und lieben sollten. Bis zu diesem Ziele scheint es noch ziemlich weit. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch Otto Ludwig in der Reihe der Dichter steht, die scheinbar vergessen sind, im stillen aber Geister und Gemüter fortgewinnen, die sich nicht blos durch den Reiz der Mode und Neuheit anziehen und fesseln lassen. Es nützt nichts, sich in unfruchtbaren Anklagen gegen das Geschick zu ergehen, das Otto Ludwigs Entwicklung zuerst gehemmt und dann mit frühem Tode abgeschnitten hat, und es hilft nichts, mit der Tageslitteratur zu hadern, der die Erscheinung so tief eigentümlicher Dichter- natureu und so gewaltigen Ernstes, wie er sich im Leben und Schaffen Otto Ludwigs offenbart, unbequem, um nicht zu sagen unheimlich bleibt. Besser ist es, sich dankbar des geleisteten Unvergänglichen zu erinnern und der Kraft des innern Bedürfnisses zu vertrauen, das auch in ilnerfreulichen Literaturperivden einzelne gesunde Naturen und selbst kleine Kreise zu dem Quell echter Dichtung führt, der in Ludwigs Dramen und Erzählungen, auch in den, vielen Un¬ vollendeten, was er hinterlassen hat, so voll und frisch sprudelt. Je stärkrer Mißbrauch im Augenblicke mit dein Begriff „Leben" in der Litteratur getrieben wird, um so glücklicher könnte die Zurückwendung zu einem echten Realisten großen Stils, dessen klarer Blick das ganze Menschendasein, mit Höhen und Tiefen, mit den dunkelsten Schatten, aber auch den hellsten Lichtern, überschaute, der die ganze Wahrheit suchte und erfaßte, aber nieder ein Pessimist ward, noch Vorliebe für die Wirklichkeit des Schmutzes an den Tag legte, heute wirken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/432>, abgerufen am 18.05.2024.