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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Abkürzung der'MilitÄrdtenstzeit

und -- spränge. Den Beweis für diese Behauptung können wir uns wohl
sparen; die einfache Überlegung ergiebt ihre Richtigkeit. Gerade die Beweg¬
lichkeit der heutigen Kriegführung, der überraschend schnelle Übergang aus dem
tiefsten Frieden mitten in das Gewühl des Kampfes, der jede allmähliche Ge¬
wöhnung an den Kriegszustand, jedes Einmarschiren u. s. w. ausschließt, machen
eine möglichst große Zahl von Führern, die mit der Technik des militärischen
Dienstes völlig vertraut sind, nicht nur wünschenswert, sondern schlechterdings
erforderlich. Man muß sich stets vor Augen halten, daß die Armee in ihrer
gegenwärtigen Verfassung mit dreijähriger Dienstzeit nach beendeter Mobil¬
machung fast zu zwei Dritteln, mit zweijähriger Dienstzeit zu drei Vierteln
aus Führern und Mannschaften bestehen würde, die geradeswegs vom Schreib¬
tisch, von der Ladenbank, vom Pfluge herkommen und ohne fortdauernde An¬
leitung wenig oder gar nicht in der Lage sind, ihre militärischen Obliegenheiten
in einigermaßen befriedigender Weise zu erfüllen.

Daher können wir, wie gesagt, die im Frieden bestehenden Kadres nicht
beschränken und müssen für ihre genügende Ausbildung alles thun, was in
unsern Kräften steht. Nun ist die wichtigste Grundlage für die Anlernung
und Durchbildung der Berufssoldaten eine ausreichende Friedensstärke der
Armee. Mit Kompagnien und Schwadronen von 75 Mann, die durch die
unvermeidlichen Abkommandirungen, die ausfallenden Kranken auf die Stärke
von 60 Mann herabsinken, lassen sich schlechterdings keine dem Ernstfall auch
nur nahe kommende Übungen anstellen. Keiner der Führer vermag sich damit
einen Begriff zu schaffen, welche Aufgabe seiner im Kriege harrt. Schott
unsre jetzigen Friedensstärken, die die eben genannten um mehr als ein Drittel
übertreffen, sind nur als ein Notbehelf anzusehen; sie genügen nur scheinbar,
weil man gelernt hat, mit großem Raffinement, das aber bei noch geringerer
Stärke gewiß wirkungslos bliebe, einen der Wirklichkeit ähnelnden Aufbau
zusammenzusetzen.

Aber auch abgesehen hiervon sinkt die Leistungsfähigkeit des Heeres auf
den entscheidenden Anfangsstufen des Krieges genau in demselben Verhältnis,
wie die Zahl der bei Kriegsausbruch zur Füllung der Truppenverbände bis auf
Kriegsstärke in sie einzustellenden Mannschaften des Beurlaubtenstandes, denen
die militärische Übung des Körpers und des Geistes mangelt, steigt.

Deshalb ist eine Verringerung der Friedensstärke des Heeres nicht möglich,
und auch nach Einführung der zweijährigen Dienstzeit würden wir die gegen¬
wärtige Stärke beibehalten müssen. Dies ließe sich sehr einfach durch ent¬
sprechende Erhöhung der jährlichen Ersatzquote erreichen, man müßte statt
170000 etwa 255 000 Mann einstellen. Die hierfür erforderlichen Leute haben
wir, wie in einem unsrer frühern Aufsätze ausgeführt worden ist, sofort zur
Verfügung, wenn man sich entschließt, die Bestimmungen des Gesetzes über die
allgemeine Wehrpflicht streng zu handhaben. Es unterliegt keinem Zweifel,


Die Abkürzung der'MilitÄrdtenstzeit

und — spränge. Den Beweis für diese Behauptung können wir uns wohl
sparen; die einfache Überlegung ergiebt ihre Richtigkeit. Gerade die Beweg¬
lichkeit der heutigen Kriegführung, der überraschend schnelle Übergang aus dem
tiefsten Frieden mitten in das Gewühl des Kampfes, der jede allmähliche Ge¬
wöhnung an den Kriegszustand, jedes Einmarschiren u. s. w. ausschließt, machen
eine möglichst große Zahl von Führern, die mit der Technik des militärischen
Dienstes völlig vertraut sind, nicht nur wünschenswert, sondern schlechterdings
erforderlich. Man muß sich stets vor Augen halten, daß die Armee in ihrer
gegenwärtigen Verfassung mit dreijähriger Dienstzeit nach beendeter Mobil¬
machung fast zu zwei Dritteln, mit zweijähriger Dienstzeit zu drei Vierteln
aus Führern und Mannschaften bestehen würde, die geradeswegs vom Schreib¬
tisch, von der Ladenbank, vom Pfluge herkommen und ohne fortdauernde An¬
leitung wenig oder gar nicht in der Lage sind, ihre militärischen Obliegenheiten
in einigermaßen befriedigender Weise zu erfüllen.

Daher können wir, wie gesagt, die im Frieden bestehenden Kadres nicht
beschränken und müssen für ihre genügende Ausbildung alles thun, was in
unsern Kräften steht. Nun ist die wichtigste Grundlage für die Anlernung
und Durchbildung der Berufssoldaten eine ausreichende Friedensstärke der
Armee. Mit Kompagnien und Schwadronen von 75 Mann, die durch die
unvermeidlichen Abkommandirungen, die ausfallenden Kranken auf die Stärke
von 60 Mann herabsinken, lassen sich schlechterdings keine dem Ernstfall auch
nur nahe kommende Übungen anstellen. Keiner der Führer vermag sich damit
einen Begriff zu schaffen, welche Aufgabe seiner im Kriege harrt. Schott
unsre jetzigen Friedensstärken, die die eben genannten um mehr als ein Drittel
übertreffen, sind nur als ein Notbehelf anzusehen; sie genügen nur scheinbar,
weil man gelernt hat, mit großem Raffinement, das aber bei noch geringerer
Stärke gewiß wirkungslos bliebe, einen der Wirklichkeit ähnelnden Aufbau
zusammenzusetzen.

Aber auch abgesehen hiervon sinkt die Leistungsfähigkeit des Heeres auf
den entscheidenden Anfangsstufen des Krieges genau in demselben Verhältnis,
wie die Zahl der bei Kriegsausbruch zur Füllung der Truppenverbände bis auf
Kriegsstärke in sie einzustellenden Mannschaften des Beurlaubtenstandes, denen
die militärische Übung des Körpers und des Geistes mangelt, steigt.

Deshalb ist eine Verringerung der Friedensstärke des Heeres nicht möglich,
und auch nach Einführung der zweijährigen Dienstzeit würden wir die gegen¬
wärtige Stärke beibehalten müssen. Dies ließe sich sehr einfach durch ent¬
sprechende Erhöhung der jährlichen Ersatzquote erreichen, man müßte statt
170000 etwa 255 000 Mann einstellen. Die hierfür erforderlichen Leute haben
wir, wie in einem unsrer frühern Aufsätze ausgeführt worden ist, sofort zur
Verfügung, wenn man sich entschließt, die Bestimmungen des Gesetzes über die
allgemeine Wehrpflicht streng zu handhaben. Es unterliegt keinem Zweifel,


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[0114] Die Abkürzung der'MilitÄrdtenstzeit und — spränge. Den Beweis für diese Behauptung können wir uns wohl sparen; die einfache Überlegung ergiebt ihre Richtigkeit. Gerade die Beweg¬ lichkeit der heutigen Kriegführung, der überraschend schnelle Übergang aus dem tiefsten Frieden mitten in das Gewühl des Kampfes, der jede allmähliche Ge¬ wöhnung an den Kriegszustand, jedes Einmarschiren u. s. w. ausschließt, machen eine möglichst große Zahl von Führern, die mit der Technik des militärischen Dienstes völlig vertraut sind, nicht nur wünschenswert, sondern schlechterdings erforderlich. Man muß sich stets vor Augen halten, daß die Armee in ihrer gegenwärtigen Verfassung mit dreijähriger Dienstzeit nach beendeter Mobil¬ machung fast zu zwei Dritteln, mit zweijähriger Dienstzeit zu drei Vierteln aus Führern und Mannschaften bestehen würde, die geradeswegs vom Schreib¬ tisch, von der Ladenbank, vom Pfluge herkommen und ohne fortdauernde An¬ leitung wenig oder gar nicht in der Lage sind, ihre militärischen Obliegenheiten in einigermaßen befriedigender Weise zu erfüllen. Daher können wir, wie gesagt, die im Frieden bestehenden Kadres nicht beschränken und müssen für ihre genügende Ausbildung alles thun, was in unsern Kräften steht. Nun ist die wichtigste Grundlage für die Anlernung und Durchbildung der Berufssoldaten eine ausreichende Friedensstärke der Armee. Mit Kompagnien und Schwadronen von 75 Mann, die durch die unvermeidlichen Abkommandirungen, die ausfallenden Kranken auf die Stärke von 60 Mann herabsinken, lassen sich schlechterdings keine dem Ernstfall auch nur nahe kommende Übungen anstellen. Keiner der Führer vermag sich damit einen Begriff zu schaffen, welche Aufgabe seiner im Kriege harrt. Schott unsre jetzigen Friedensstärken, die die eben genannten um mehr als ein Drittel übertreffen, sind nur als ein Notbehelf anzusehen; sie genügen nur scheinbar, weil man gelernt hat, mit großem Raffinement, das aber bei noch geringerer Stärke gewiß wirkungslos bliebe, einen der Wirklichkeit ähnelnden Aufbau zusammenzusetzen. Aber auch abgesehen hiervon sinkt die Leistungsfähigkeit des Heeres auf den entscheidenden Anfangsstufen des Krieges genau in demselben Verhältnis, wie die Zahl der bei Kriegsausbruch zur Füllung der Truppenverbände bis auf Kriegsstärke in sie einzustellenden Mannschaften des Beurlaubtenstandes, denen die militärische Übung des Körpers und des Geistes mangelt, steigt. Deshalb ist eine Verringerung der Friedensstärke des Heeres nicht möglich, und auch nach Einführung der zweijährigen Dienstzeit würden wir die gegen¬ wärtige Stärke beibehalten müssen. Dies ließe sich sehr einfach durch ent¬ sprechende Erhöhung der jährlichen Ersatzquote erreichen, man müßte statt 170000 etwa 255 000 Mann einstellen. Die hierfür erforderlichen Leute haben wir, wie in einem unsrer frühern Aufsätze ausgeführt worden ist, sofort zur Verfügung, wenn man sich entschließt, die Bestimmungen des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht streng zu handhaben. Es unterliegt keinem Zweifel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/114>, abgerufen am 16.06.2024.