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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Iugendjcchren der Sozicildemokratie

Wer unsrer Darstellung bisher aufmerksam gefolgt ist, wird begreifen,
warum und wie es zu dieser blutigen Auseinandersetzung der Bourgeoisie und
des Proletariats im Lager der Demokraten kommen mußte. Seit dem Triumphe
der Februarrevolution verließe" die Forderungen des siegestrunkenen, durch
sozialistische und komnrunistische Phantasiegebilde erhitzten, seit langer Zeit von
den geheimen Gesellschnfteu mit Neid und Haß gegen die Besitzenden erfüllten
und aufgesetzten Proletariats den Boden des geschichtlich gegebenen und uach
der Natur der Dinge möglichen vollständig. Seine Ansprüche und die Not
des Augenblicks führten zur Errichtung von großen Werkstätten, in denen der
Staat der Arbeitgeber und Lvhuzahler war und als gewaltigster Konkurrent
die unbedingte Herrschaft über die private Gütererzeugung, mit andern Worten,
über das werbende Capital der Einzelnen erlangen sollte. Der Versuch be¬
drohte also, wenn er nicht bloß zeitweilig die Lage der Arbeiter verbesserte,
die infolge der durch die Revolution herbeigeführten Geschäftsstockung brotlos
geworden waren, sondern eine dauernde Einrichtung schuf, den gesamten indi¬
viduellen Besitz des Landes und stellte somit die Rechte der Persönlichkeit und
die Grundlagen aller Lebensverhältnisse in Frage. Man sah in der Ferne
den Kommunismus und zunächst wenigstens eine Welt sich ausbilde", wie
Fourier sie sich gedacht hatte. Aber die Umwälzungen, die man von der Zu¬
kunft erwarten mußte, hatten als bloße Wahrscheinlichkeiten weniger Bedeu¬
tung als die unmittelbaren Folgen des Experimentes, das seine Unnatur und
Unvernunft ohne Verzug zu äußern begann. Die Nationalwerkstütteu ver¬
schlangen mit ihrer Gleichstellung der Fleißigen, mit den Trägen, der Geschickten
und Geübten mit den Untauglichen die Mittel deS Staates und leisteten wenig-
Ein Teil der Arbeiter ließ sich geradezu ans öffentliche Kosten ernähren und
steigerte dabei noch seine Ansprüche. Es wurde immer klarer, daß eine Er¬
weiterung der Einrichtung über ganz Frankreich in kurzer Zeit das Kapital
der Nation völlig aufzehren, alle Quellen der Produktion versiegen lassen und
mit allgemeiner Verwirrung und Zerrüttung endigen würde. Gegen einen
solchen Verfall und Untergang mußten sich die Besitzenden und Gebildeten,
mußten sich überhaupt alle erklären, die sich einige Einsicht und einigen In¬
stinkt für die Zukunft bewahrt hatten. Die Staatswerkstätten wurde" zunächst
nach Beschluß der Nationalversanunlung einer Umgestaltung unterworfen, die
als erster Schritt zu ihrer Auflösung angesehen werden konnte. Das Pro¬
letariat aber, bearbeitet, gehetzt und geführt von phantastischen Schwärmern
und ehrgeizigen Strebern, griff in dem Augenblick, wo man Hand an du'
öffentliche" Beschäftigungsanstalten legte, zu den Waffen, um sich nicht nur
die Staatsgewalt, sondern auch die Welt der materiellen Güter durch eine"
Kampf auf Leben und Tod zu erobern.




Aus den Iugendjcchren der Sozicildemokratie

Wer unsrer Darstellung bisher aufmerksam gefolgt ist, wird begreifen,
warum und wie es zu dieser blutigen Auseinandersetzung der Bourgeoisie und
des Proletariats im Lager der Demokraten kommen mußte. Seit dem Triumphe
der Februarrevolution verließe» die Forderungen des siegestrunkenen, durch
sozialistische und komnrunistische Phantasiegebilde erhitzten, seit langer Zeit von
den geheimen Gesellschnfteu mit Neid und Haß gegen die Besitzenden erfüllten
und aufgesetzten Proletariats den Boden des geschichtlich gegebenen und uach
der Natur der Dinge möglichen vollständig. Seine Ansprüche und die Not
des Augenblicks führten zur Errichtung von großen Werkstätten, in denen der
Staat der Arbeitgeber und Lvhuzahler war und als gewaltigster Konkurrent
die unbedingte Herrschaft über die private Gütererzeugung, mit andern Worten,
über das werbende Capital der Einzelnen erlangen sollte. Der Versuch be¬
drohte also, wenn er nicht bloß zeitweilig die Lage der Arbeiter verbesserte,
die infolge der durch die Revolution herbeigeführten Geschäftsstockung brotlos
geworden waren, sondern eine dauernde Einrichtung schuf, den gesamten indi¬
viduellen Besitz des Landes und stellte somit die Rechte der Persönlichkeit und
die Grundlagen aller Lebensverhältnisse in Frage. Man sah in der Ferne
den Kommunismus und zunächst wenigstens eine Welt sich ausbilde», wie
Fourier sie sich gedacht hatte. Aber die Umwälzungen, die man von der Zu¬
kunft erwarten mußte, hatten als bloße Wahrscheinlichkeiten weniger Bedeu¬
tung als die unmittelbaren Folgen des Experimentes, das seine Unnatur und
Unvernunft ohne Verzug zu äußern begann. Die Nationalwerkstütteu ver¬
schlangen mit ihrer Gleichstellung der Fleißigen, mit den Trägen, der Geschickten
und Geübten mit den Untauglichen die Mittel deS Staates und leisteten wenig-
Ein Teil der Arbeiter ließ sich geradezu ans öffentliche Kosten ernähren und
steigerte dabei noch seine Ansprüche. Es wurde immer klarer, daß eine Er¬
weiterung der Einrichtung über ganz Frankreich in kurzer Zeit das Kapital
der Nation völlig aufzehren, alle Quellen der Produktion versiegen lassen und
mit allgemeiner Verwirrung und Zerrüttung endigen würde. Gegen einen
solchen Verfall und Untergang mußten sich die Besitzenden und Gebildeten,
mußten sich überhaupt alle erklären, die sich einige Einsicht und einigen In¬
stinkt für die Zukunft bewahrt hatten. Die Staatswerkstätten wurde» zunächst
nach Beschluß der Nationalversanunlung einer Umgestaltung unterworfen, die
als erster Schritt zu ihrer Auflösung angesehen werden konnte. Das Pro¬
letariat aber, bearbeitet, gehetzt und geführt von phantastischen Schwärmern
und ehrgeizigen Strebern, griff in dem Augenblick, wo man Hand an du'
öffentliche« Beschäftigungsanstalten legte, zu den Waffen, um sich nicht nur
die Staatsgewalt, sondern auch die Welt der materiellen Güter durch eine»
Kampf auf Leben und Tod zu erobern.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/264>, abgerufen am 16.06.2024.