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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ganzen ist, Sie fordert aber auch innerhalb dieses Ganzen die volle Aner¬
kennung aller; der knechtische Sinn, der auf die Geltendmachung dieser Wurde
verzichtet, ist genan so unsittlich, wie die Selbstüberhebung, die sie dein Nieder¬
stehenden abspricht. In dein Gefühle dieser sittlichen Selbstachtung, die Ach¬
tung fordert von allen, die selber der Achtung wert sind, besteht die wahre
Ehre, Standesvorurteil und persönlicher Egoismus haben ans diesem Ideal¬
bild zu allen Zeiten eine Karrikatur gemacht, Roheit und Schwäche es bei
Einzelnen wie bei ganzen Völkern oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt; aber
das soll alle die, die sich in jenem Bilde wiederfinden, nicht irre machen an
ihm und an sich selbst, es ist ihnen nur eine dringende Mahnung immer und
überall, wo irgend möglich, für seine Reinheit zu streiten.

Es giebt eine sittliche Aristokratie, die sich für besser hält und halten
soll, als den eiteln Gecken und das rohe Ncitnrkind, nicht um zu richten, sondern
um zu bessern. Dieses aristokratische Selbstgefühl trägt opferfreudig die Zivili¬
sation in die entferntesten Winkel des Erdballs, es soll aber vor allem mit
ganzer Hingebung arbeiten an der Erziehung der eignen Nation, In ihrem
Dienste steht nicht nur die Schule, die dem Knaben durch Dichtung wie Ge¬
schichte den Sinn für Treue und Charakterfestigkeit einprägt, nicht bloß das
Heer, das bei strengster Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit
doch auch im gemeinen Mann zugleich das Selbstgefühl erwecken soll, ihr
dient auch die Bühne, die sich an Alt und Jung, an Reich und Arm, an
Starke und Schwache wendet. Deswegen soll sie sich aber auch der ganzen
Verantwortlichkeit ihrer Aufgabe bewußt sei,:. Auch sie soll vornehm sein.
Vor allem sollte sie sich fernhalten von jenem sittlichen Demvkratentnm, das
noch gefährlicher ist, als das soziale. Unserm ästhetischen Gefühle macht man
schon längst die herbsten Zumutungen, als ob das Leben selbst nicht schon die
Misere des Daseins auf allen Gassen predigte; bringen wir nicht auch noch
die Moral der Gasse auf die Bühne! Wahrlich, hier brauchen wir in ästhe¬
tischer wie in sittlicher Hinsicht wieder etwas von dem Idealismus der
Schillcrischeu Dichtung. ?iuch unsre Zeit ist reich an ergreifenden Motiven;
aber die Darstellung des Dichters soll ihnen die Weihe künstlerischer Verklä¬
rung geben; auch unsre moderne Welt- und Lebensanschauung birgt in sich
eine Fülle von Konflikten, aber sie müssen ans der Tiefe geholt werden-
Mehr als je nimmt die unmittelbarste Wirklichkeit unsre Interessen in An¬
spruch, und das erfordert auch einen gewissen Realismus unsrer Dichtung-
Wenn sich diese aber in den Dienst jener zersetzenden Tendenzen stellt, die
ein so bedenkliches Zeichen unsrer Zeit sind, wenn sie die öffentliche Meinung
für diese Bestrebungen zu gewinnen sucht, so muß dagegen auch angesichts
der öffentlichen Meinung Verwahrung eingelegt werden.




Ganzen ist, Sie fordert aber auch innerhalb dieses Ganzen die volle Aner¬
kennung aller; der knechtische Sinn, der auf die Geltendmachung dieser Wurde
verzichtet, ist genan so unsittlich, wie die Selbstüberhebung, die sie dein Nieder¬
stehenden abspricht. In dein Gefühle dieser sittlichen Selbstachtung, die Ach¬
tung fordert von allen, die selber der Achtung wert sind, besteht die wahre
Ehre, Standesvorurteil und persönlicher Egoismus haben ans diesem Ideal¬
bild zu allen Zeiten eine Karrikatur gemacht, Roheit und Schwäche es bei
Einzelnen wie bei ganzen Völkern oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt; aber
das soll alle die, die sich in jenem Bilde wiederfinden, nicht irre machen an
ihm und an sich selbst, es ist ihnen nur eine dringende Mahnung immer und
überall, wo irgend möglich, für seine Reinheit zu streiten.

Es giebt eine sittliche Aristokratie, die sich für besser hält und halten
soll, als den eiteln Gecken und das rohe Ncitnrkind, nicht um zu richten, sondern
um zu bessern. Dieses aristokratische Selbstgefühl trägt opferfreudig die Zivili¬
sation in die entferntesten Winkel des Erdballs, es soll aber vor allem mit
ganzer Hingebung arbeiten an der Erziehung der eignen Nation, In ihrem
Dienste steht nicht nur die Schule, die dem Knaben durch Dichtung wie Ge¬
schichte den Sinn für Treue und Charakterfestigkeit einprägt, nicht bloß das
Heer, das bei strengster Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit
doch auch im gemeinen Mann zugleich das Selbstgefühl erwecken soll, ihr
dient auch die Bühne, die sich an Alt und Jung, an Reich und Arm, an
Starke und Schwache wendet. Deswegen soll sie sich aber auch der ganzen
Verantwortlichkeit ihrer Aufgabe bewußt sei,:. Auch sie soll vornehm sein.
Vor allem sollte sie sich fernhalten von jenem sittlichen Demvkratentnm, das
noch gefährlicher ist, als das soziale. Unserm ästhetischen Gefühle macht man
schon längst die herbsten Zumutungen, als ob das Leben selbst nicht schon die
Misere des Daseins auf allen Gassen predigte; bringen wir nicht auch noch
die Moral der Gasse auf die Bühne! Wahrlich, hier brauchen wir in ästhe¬
tischer wie in sittlicher Hinsicht wieder etwas von dem Idealismus der
Schillcrischeu Dichtung. ?iuch unsre Zeit ist reich an ergreifenden Motiven;
aber die Darstellung des Dichters soll ihnen die Weihe künstlerischer Verklä¬
rung geben; auch unsre moderne Welt- und Lebensanschauung birgt in sich
eine Fülle von Konflikten, aber sie müssen ans der Tiefe geholt werden-
Mehr als je nimmt die unmittelbarste Wirklichkeit unsre Interessen in An¬
spruch, und das erfordert auch einen gewissen Realismus unsrer Dichtung-
Wenn sich diese aber in den Dienst jener zersetzenden Tendenzen stellt, die
ein so bedenkliches Zeichen unsrer Zeit sind, wenn sie die öffentliche Meinung
für diese Bestrebungen zu gewinnen sucht, so muß dagegen auch angesichts
der öffentlichen Meinung Verwahrung eingelegt werden.




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[0324] Ganzen ist, Sie fordert aber auch innerhalb dieses Ganzen die volle Aner¬ kennung aller; der knechtische Sinn, der auf die Geltendmachung dieser Wurde verzichtet, ist genan so unsittlich, wie die Selbstüberhebung, die sie dein Nieder¬ stehenden abspricht. In dein Gefühle dieser sittlichen Selbstachtung, die Ach¬ tung fordert von allen, die selber der Achtung wert sind, besteht die wahre Ehre, Standesvorurteil und persönlicher Egoismus haben ans diesem Ideal¬ bild zu allen Zeiten eine Karrikatur gemacht, Roheit und Schwäche es bei Einzelnen wie bei ganzen Völkern oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt; aber das soll alle die, die sich in jenem Bilde wiederfinden, nicht irre machen an ihm und an sich selbst, es ist ihnen nur eine dringende Mahnung immer und überall, wo irgend möglich, für seine Reinheit zu streiten. Es giebt eine sittliche Aristokratie, die sich für besser hält und halten soll, als den eiteln Gecken und das rohe Ncitnrkind, nicht um zu richten, sondern um zu bessern. Dieses aristokratische Selbstgefühl trägt opferfreudig die Zivili¬ sation in die entferntesten Winkel des Erdballs, es soll aber vor allem mit ganzer Hingebung arbeiten an der Erziehung der eignen Nation, In ihrem Dienste steht nicht nur die Schule, die dem Knaben durch Dichtung wie Ge¬ schichte den Sinn für Treue und Charakterfestigkeit einprägt, nicht bloß das Heer, das bei strengster Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit doch auch im gemeinen Mann zugleich das Selbstgefühl erwecken soll, ihr dient auch die Bühne, die sich an Alt und Jung, an Reich und Arm, an Starke und Schwache wendet. Deswegen soll sie sich aber auch der ganzen Verantwortlichkeit ihrer Aufgabe bewußt sei,:. Auch sie soll vornehm sein. Vor allem sollte sie sich fernhalten von jenem sittlichen Demvkratentnm, das noch gefährlicher ist, als das soziale. Unserm ästhetischen Gefühle macht man schon längst die herbsten Zumutungen, als ob das Leben selbst nicht schon die Misere des Daseins auf allen Gassen predigte; bringen wir nicht auch noch die Moral der Gasse auf die Bühne! Wahrlich, hier brauchen wir in ästhe¬ tischer wie in sittlicher Hinsicht wieder etwas von dem Idealismus der Schillcrischeu Dichtung. ?iuch unsre Zeit ist reich an ergreifenden Motiven; aber die Darstellung des Dichters soll ihnen die Weihe künstlerischer Verklä¬ rung geben; auch unsre moderne Welt- und Lebensanschauung birgt in sich eine Fülle von Konflikten, aber sie müssen ans der Tiefe geholt werden- Mehr als je nimmt die unmittelbarste Wirklichkeit unsre Interessen in An¬ spruch, und das erfordert auch einen gewissen Realismus unsrer Dichtung- Wenn sich diese aber in den Dienst jener zersetzenden Tendenzen stellt, die ein so bedenkliches Zeichen unsrer Zeit sind, wenn sie die öffentliche Meinung für diese Bestrebungen zu gewinnen sucht, so muß dagegen auch angesichts der öffentlichen Meinung Verwahrung eingelegt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/324>, abgerufen am 15.06.2024.