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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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(trüber, die spätere Witwe des Kommerzienrntes Pitersen, zur gemeinsamen
Haupt- und Mittelfigur der Erzählungen haben; auch einzelne episodische
Charaktere des ersten Bandes treten im zweiten und dritten Romane mehr oder
weniger wieder hervor. Alles übrige aber ist in jedem Bande selbständig er¬
funden, es ist keine Entwicklung des vorhergehenden. Die drei Romane geben
keine Geschichte des Berliner Westens, sondern nur Ansichten verschiedner Teile
dieses Westens.

Gleich im Beginn des "Quartetts" verrät uns der Erzähler, daß ihm
Leontine nicht blos; persönlich, sondern auch als Symbol, als ein im Brenn¬
spiegel des Moralisten verdichtetes Bild von Berlins wichtig ist, und wir
miiffen uns das merken.

Leontine Gruber ist von niedriger Herkunft, sie soll von Zigeunern ab¬
stammen, aber sie ist eine wunderbar schone Frau, und damit macht sie Karriere.
Sie ist sehr klug, sehr berechnend, Herrin über ihre Sinne, dabei gewissenlos,
neidisch, genuß- und putzsüchtig, ohne Güte, sie denkt immer nur um sich selbst.
Im "Quartett" lernen wir sie als die Gattin eines braven und grundgütigen
Künstlers, des Musikers Gruber keime". Sie treibt ihn durch ihre Ansprüche
auf die Jagd nach Lektionen, wobei er sich körperlich und geistig schädigt und
doch ihren Bedarf nicht befriedigen kann. Sie betrügt ihn mit dem Börsen¬
mann Herbig, dem Gatten ihrer vertrauensseligen Freundin Martha, geborenen
Pitersen. Als diese das Spiel entdeckt, stürzt sie sich in den Halensee; Leontine
verläßt ihren moralisch zerschmetterten Gatten, heiratet aber nicht Herbig,
sondern Marthas Vater, den Kommerzienrat Pitersen: dieser hat die Millionen,
die sie braucht.

In der "Fanfare," deren Handlung drei.Jahre später mit dein Tode
Pitersens einsetzt, ist Leontine schon mit der Lebensart des Berliner Westens
vertraut. Wie sie es gelernt hat, sich in den Reichtum zu finden, das fällt
in das Dunkel jener drei Jahre, obwohl die Vorführung dieser Umbildung von
poetischem Reize wäre. Nun aber, nachdem ihr der Plan gelungen ist, als
junge Witwe über Millionen zu verfügen, möchte sie auch ihr Dasein genießen-
Noch bedarf sie dazu der Liebe, und sie liebt leidenschaftlich einen junge"
schönen Mann, den Sohn des Zeitnngsbesitzers Gottlob Mettmann, der alle
Aussicht zu haben scheint, mit seiner Oper "Fata Morgana" berühmt zu werden-
Sie hofft also das doppelte Glück der Jugend und des Ruhmes zu besitzen-
Aber die Ironie des Schicksale bildenden Erzählers läßt den Sohn des brutalen
"Fanfaren"-Mannes einen zwar schwankenden, aber dennoch redlichen Idealisten
sein. Richard hängt unerschütterlich an seiner Jugendliebe, dein verarmten
Edelfräulein Johanna von Trienitz, und überdies verbrennt er seine Oper w
dem Augenblicke, wo er von zuverlässigen Kunstrichtern erfährt, daß sie nur
Dilettantenarbeit ist. Doppelt wertlos geworden, wird er endlich von Leon-
tinen freigelassen. .


(trüber, die spätere Witwe des Kommerzienrntes Pitersen, zur gemeinsamen
Haupt- und Mittelfigur der Erzählungen haben; auch einzelne episodische
Charaktere des ersten Bandes treten im zweiten und dritten Romane mehr oder
weniger wieder hervor. Alles übrige aber ist in jedem Bande selbständig er¬
funden, es ist keine Entwicklung des vorhergehenden. Die drei Romane geben
keine Geschichte des Berliner Westens, sondern nur Ansichten verschiedner Teile
dieses Westens.

Gleich im Beginn des „Quartetts" verrät uns der Erzähler, daß ihm
Leontine nicht blos; persönlich, sondern auch als Symbol, als ein im Brenn¬
spiegel des Moralisten verdichtetes Bild von Berlins wichtig ist, und wir
miiffen uns das merken.

Leontine Gruber ist von niedriger Herkunft, sie soll von Zigeunern ab¬
stammen, aber sie ist eine wunderbar schone Frau, und damit macht sie Karriere.
Sie ist sehr klug, sehr berechnend, Herrin über ihre Sinne, dabei gewissenlos,
neidisch, genuß- und putzsüchtig, ohne Güte, sie denkt immer nur um sich selbst.
Im „Quartett" lernen wir sie als die Gattin eines braven und grundgütigen
Künstlers, des Musikers Gruber keime». Sie treibt ihn durch ihre Ansprüche
auf die Jagd nach Lektionen, wobei er sich körperlich und geistig schädigt und
doch ihren Bedarf nicht befriedigen kann. Sie betrügt ihn mit dem Börsen¬
mann Herbig, dem Gatten ihrer vertrauensseligen Freundin Martha, geborenen
Pitersen. Als diese das Spiel entdeckt, stürzt sie sich in den Halensee; Leontine
verläßt ihren moralisch zerschmetterten Gatten, heiratet aber nicht Herbig,
sondern Marthas Vater, den Kommerzienrat Pitersen: dieser hat die Millionen,
die sie braucht.

In der „Fanfare," deren Handlung drei.Jahre später mit dein Tode
Pitersens einsetzt, ist Leontine schon mit der Lebensart des Berliner Westens
vertraut. Wie sie es gelernt hat, sich in den Reichtum zu finden, das fällt
in das Dunkel jener drei Jahre, obwohl die Vorführung dieser Umbildung von
poetischem Reize wäre. Nun aber, nachdem ihr der Plan gelungen ist, als
junge Witwe über Millionen zu verfügen, möchte sie auch ihr Dasein genießen-
Noch bedarf sie dazu der Liebe, und sie liebt leidenschaftlich einen junge»
schönen Mann, den Sohn des Zeitnngsbesitzers Gottlob Mettmann, der alle
Aussicht zu haben scheint, mit seiner Oper „Fata Morgana" berühmt zu werden-
Sie hofft also das doppelte Glück der Jugend und des Ruhmes zu besitzen-
Aber die Ironie des Schicksale bildenden Erzählers läßt den Sohn des brutalen
„Fanfaren"-Mannes einen zwar schwankenden, aber dennoch redlichen Idealisten
sein. Richard hängt unerschütterlich an seiner Jugendliebe, dein verarmten
Edelfräulein Johanna von Trienitz, und überdies verbrennt er seine Oper w
dem Augenblicke, wo er von zuverlässigen Kunstrichtern erfährt, daß sie nur
Dilettantenarbeit ist. Doppelt wertlos geworden, wird er endlich von Leon-
tinen freigelassen. .


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[0326] (trüber, die spätere Witwe des Kommerzienrntes Pitersen, zur gemeinsamen Haupt- und Mittelfigur der Erzählungen haben; auch einzelne episodische Charaktere des ersten Bandes treten im zweiten und dritten Romane mehr oder weniger wieder hervor. Alles übrige aber ist in jedem Bande selbständig er¬ funden, es ist keine Entwicklung des vorhergehenden. Die drei Romane geben keine Geschichte des Berliner Westens, sondern nur Ansichten verschiedner Teile dieses Westens. Gleich im Beginn des „Quartetts" verrät uns der Erzähler, daß ihm Leontine nicht blos; persönlich, sondern auch als Symbol, als ein im Brenn¬ spiegel des Moralisten verdichtetes Bild von Berlins wichtig ist, und wir miiffen uns das merken. Leontine Gruber ist von niedriger Herkunft, sie soll von Zigeunern ab¬ stammen, aber sie ist eine wunderbar schone Frau, und damit macht sie Karriere. Sie ist sehr klug, sehr berechnend, Herrin über ihre Sinne, dabei gewissenlos, neidisch, genuß- und putzsüchtig, ohne Güte, sie denkt immer nur um sich selbst. Im „Quartett" lernen wir sie als die Gattin eines braven und grundgütigen Künstlers, des Musikers Gruber keime». Sie treibt ihn durch ihre Ansprüche auf die Jagd nach Lektionen, wobei er sich körperlich und geistig schädigt und doch ihren Bedarf nicht befriedigen kann. Sie betrügt ihn mit dem Börsen¬ mann Herbig, dem Gatten ihrer vertrauensseligen Freundin Martha, geborenen Pitersen. Als diese das Spiel entdeckt, stürzt sie sich in den Halensee; Leontine verläßt ihren moralisch zerschmetterten Gatten, heiratet aber nicht Herbig, sondern Marthas Vater, den Kommerzienrat Pitersen: dieser hat die Millionen, die sie braucht. In der „Fanfare," deren Handlung drei.Jahre später mit dein Tode Pitersens einsetzt, ist Leontine schon mit der Lebensart des Berliner Westens vertraut. Wie sie es gelernt hat, sich in den Reichtum zu finden, das fällt in das Dunkel jener drei Jahre, obwohl die Vorführung dieser Umbildung von poetischem Reize wäre. Nun aber, nachdem ihr der Plan gelungen ist, als junge Witwe über Millionen zu verfügen, möchte sie auch ihr Dasein genießen- Noch bedarf sie dazu der Liebe, und sie liebt leidenschaftlich einen junge» schönen Mann, den Sohn des Zeitnngsbesitzers Gottlob Mettmann, der alle Aussicht zu haben scheint, mit seiner Oper „Fata Morgana" berühmt zu werden- Sie hofft also das doppelte Glück der Jugend und des Ruhmes zu besitzen- Aber die Ironie des Schicksale bildenden Erzählers läßt den Sohn des brutalen „Fanfaren"-Mannes einen zwar schwankenden, aber dennoch redlichen Idealisten sein. Richard hängt unerschütterlich an seiner Jugendliebe, dein verarmten Edelfräulein Johanna von Trienitz, und überdies verbrennt er seine Oper w dem Augenblicke, wo er von zuverlässigen Kunstrichtern erfährt, daß sie nur Dilettantenarbeit ist. Doppelt wertlos geworden, wird er endlich von Leon- tinen freigelassen. .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/326>, abgerufen am 15.06.2024.