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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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parlamentarisches aus (Österreich

gehaltenen Beschuldigungen nicht allein Männer wie Stadion und Clam-
Martinitz und Tcmffe, den Vater des Ministerpräsidenten, sondern sogar die
Erzherzoge Maximilian und Karl Ludwig antrafen, die, wenn nicht selbst das
Volk "ausgebeutet" und "sich bereichert," mindestens ein "Willkürregiment"
geduldet haben müßten, das nach Jaworskis Ansicht ein "Schandblatt" in der
Geschichte Österreichs fülle: erst da ermannte sich der Minister sür Galizien
zu der Erklärung, Herr v. Jaworski habe seine Worte nicht so böse gemeint.
Dieser milden Auslegung widersprechen aber die polnischen Organe ganz be¬
stimmt!

Solche Sprache verrät wohl, wie sehr den Herren der Kamin geschwollen
ist, etwas Neues enthüllt sie uns nicht. Die Polen verlieren nie "ihre Zu¬
kunft aus den Augen." Ähnlich den Sozialdemokraten teilen sie sich in Auf¬
richtige und Opportunisten, die vom Staate zu erringen trachten, was
möglich ist, ihn aber nur anerkennen, so lange sie müssen. Ihnen jetzt Vor¬
träge über polnische Geschichte und über Zustände, auf die sich die deutsche
Redensart "polnische Wirtschaft" bezieht, zu halten, ist eine fruchtlose Mühe.
Die glorreiche Republik mit dem Wahlkönig, der Adelsherrschaft, dem Veto,
den Konföderationen und dem lustigen Leben ist und bleibt ihr Ideal, und die
Hoffnung, daß eine europäische Verwicklung die Wiederherstellung des polnischen
Reiches ermöglichen werde, verläßt sie nicht. Der alte Pierer hielt den Gali-
ziern vor, daß sie Grund hätten sich zu beglückwünschen, weil sie unter keine
andre als österreichische Herrschaft gekommen seien, und das thun sie auch im
Stillen, oder wenn Loyalität "opportun" erscheint, laut, doch aufrichtig nur
in dem Sinne, daß sie aus Österreichs Kosten "ihre Zukunft im Auge behalten"
dürfen.

Man könnte damit zufrieden sein, daß Tschechen und Polen so ungescheut
die Masken abwerfen und für die Erkenntnis der Wahrheit wirken: das stnats-
erhaltende Element in Österreich muß auf Seiten der Deutschen gesucht werden.
Leider ist ans der linken Seite des Abgeordnetenhauses der Zeitpunkt für passend
gehalten worden, zu zeigen, daß auch da wenigstens die politischen Kinderschuhe
noch nicht ausgetreten sind. Haut die Rechte die Beamten, so reibt sich die
Linke an der Armee. In den Ostertagen gab es bekanntlich in einigen Vor¬
orten Wiens Krawatte, die von der liberalen Presse sehr ernst genommen
wurden, da der Pöbel sich an jüdischen Branntweinschänken vergriffen hatte.
Ein Abgeordneter rügte die Verspätung des militärischen Eingreifens und
lieferte eine mit abgeschmackten Witzeleien verbrämte Erzählung, aus der her¬
vorging, daß in einer Kaserne die Mannschaft, die vorschriftsmüßig in Bereit¬
schaft sein sollte, nicht bereit gewesen sei, der Offizier erst aus einem Theater
geholt werden mußte u. dergl. in. Diese Erzählung erwies sich als grobe
Entstellung. Als nun der Oberst des betreffenden Regiments vom Redner in
der üblichen Weise Genugthuung verlangte, verschlang dieser seine eignen, in


parlamentarisches aus (Österreich

gehaltenen Beschuldigungen nicht allein Männer wie Stadion und Clam-
Martinitz und Tcmffe, den Vater des Ministerpräsidenten, sondern sogar die
Erzherzoge Maximilian und Karl Ludwig antrafen, die, wenn nicht selbst das
Volk „ausgebeutet" und „sich bereichert," mindestens ein „Willkürregiment"
geduldet haben müßten, das nach Jaworskis Ansicht ein „Schandblatt" in der
Geschichte Österreichs fülle: erst da ermannte sich der Minister sür Galizien
zu der Erklärung, Herr v. Jaworski habe seine Worte nicht so böse gemeint.
Dieser milden Auslegung widersprechen aber die polnischen Organe ganz be¬
stimmt!

Solche Sprache verrät wohl, wie sehr den Herren der Kamin geschwollen
ist, etwas Neues enthüllt sie uns nicht. Die Polen verlieren nie „ihre Zu¬
kunft aus den Augen." Ähnlich den Sozialdemokraten teilen sie sich in Auf¬
richtige und Opportunisten, die vom Staate zu erringen trachten, was
möglich ist, ihn aber nur anerkennen, so lange sie müssen. Ihnen jetzt Vor¬
träge über polnische Geschichte und über Zustände, auf die sich die deutsche
Redensart „polnische Wirtschaft" bezieht, zu halten, ist eine fruchtlose Mühe.
Die glorreiche Republik mit dem Wahlkönig, der Adelsherrschaft, dem Veto,
den Konföderationen und dem lustigen Leben ist und bleibt ihr Ideal, und die
Hoffnung, daß eine europäische Verwicklung die Wiederherstellung des polnischen
Reiches ermöglichen werde, verläßt sie nicht. Der alte Pierer hielt den Gali-
ziern vor, daß sie Grund hätten sich zu beglückwünschen, weil sie unter keine
andre als österreichische Herrschaft gekommen seien, und das thun sie auch im
Stillen, oder wenn Loyalität „opportun" erscheint, laut, doch aufrichtig nur
in dem Sinne, daß sie aus Österreichs Kosten „ihre Zukunft im Auge behalten"
dürfen.

Man könnte damit zufrieden sein, daß Tschechen und Polen so ungescheut
die Masken abwerfen und für die Erkenntnis der Wahrheit wirken: das stnats-
erhaltende Element in Österreich muß auf Seiten der Deutschen gesucht werden.
Leider ist ans der linken Seite des Abgeordnetenhauses der Zeitpunkt für passend
gehalten worden, zu zeigen, daß auch da wenigstens die politischen Kinderschuhe
noch nicht ausgetreten sind. Haut die Rechte die Beamten, so reibt sich die
Linke an der Armee. In den Ostertagen gab es bekanntlich in einigen Vor¬
orten Wiens Krawatte, die von der liberalen Presse sehr ernst genommen
wurden, da der Pöbel sich an jüdischen Branntweinschänken vergriffen hatte.
Ein Abgeordneter rügte die Verspätung des militärischen Eingreifens und
lieferte eine mit abgeschmackten Witzeleien verbrämte Erzählung, aus der her¬
vorging, daß in einer Kaserne die Mannschaft, die vorschriftsmüßig in Bereit¬
schaft sein sollte, nicht bereit gewesen sei, der Offizier erst aus einem Theater
geholt werden mußte u. dergl. in. Diese Erzählung erwies sich als grobe
Entstellung. Als nun der Oberst des betreffenden Regiments vom Redner in
der üblichen Weise Genugthuung verlangte, verschlang dieser seine eignen, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/444>, abgerufen am 15.06.2024.