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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart
2

ur Bekämpfung der Sozialdemokratie wird zunächst der Staat
die Aufgabe haben, durch Erfüllung der berechtigten Wünsche
des Arbeiters der Bewegung die Wurzeln abzugraben, unbe¬
rechtigte Forderungen zurückzuweisen und Ausschreitungen mit
dem vollen Gewichte seiner Macht niederzuschlagen. Aber auch
die Kirche soll helfen. Der Kaiser hat es in seiner Ansprache an den zur
Borbereitung der sozialen Gesetze versammelten Reichsrat gesagt, und neuerdings
lesen wir es wieder in den Motiven zu der gegenwärtig vorliegenden Gewerbe¬
gesetznovelle.

Von andrer Seite wendet man dagegen ein: Die soziale Frage ist eine
staatliche Frage, die Kirche soll die Hand davon lassen. Ich habe sogar ge¬
hört, daß ein Geistlicher sich auf die Schriftstelle berief, worin es Christus
ablehnt, das Erbe zwischen zwei streitenden Brüdern zu teilen, woraus er
schloß, daß das Evangelium mit Geld und Gut überhaupt nichts zu thun
habe. Wäre das so, so wäre uur zu verwundern, daß das siebente Gebot im
Dekalog stehen geblieben ist.

Die soziale Frage ist offenbar nicht allein sozial, sie bezieht sich nicht
allein auf den Besitz, sondern ebenso gut auf das sittliche Verhalten des
Menschen, sie ist ebenso gut eine religiöse Frage. Es ist sogar zu erwägen,
ob die Frage in der Gestalt, die sie gegenwärtig angenommen hat, überhaupt
uoch eine soziale sei. Dein Sozialdemokratin! ist sein Programm eine ganze
Weltanschauung, es ist seine Religion. Der Inhalt ist in kurzem der: Du
hast nur Rechte, keine Pflichten, weder Gott, noch dein König, noch dem Vater¬
lande gegenüber. Nieder mit dein allen! Der soziale Staat schafft deu Hummel


Grenzlwten II 1890 l!1


Die Aufgabe der Gegenwart
2

ur Bekämpfung der Sozialdemokratie wird zunächst der Staat
die Aufgabe haben, durch Erfüllung der berechtigten Wünsche
des Arbeiters der Bewegung die Wurzeln abzugraben, unbe¬
rechtigte Forderungen zurückzuweisen und Ausschreitungen mit
dem vollen Gewichte seiner Macht niederzuschlagen. Aber auch
die Kirche soll helfen. Der Kaiser hat es in seiner Ansprache an den zur
Borbereitung der sozialen Gesetze versammelten Reichsrat gesagt, und neuerdings
lesen wir es wieder in den Motiven zu der gegenwärtig vorliegenden Gewerbe¬
gesetznovelle.

Von andrer Seite wendet man dagegen ein: Die soziale Frage ist eine
staatliche Frage, die Kirche soll die Hand davon lassen. Ich habe sogar ge¬
hört, daß ein Geistlicher sich auf die Schriftstelle berief, worin es Christus
ablehnt, das Erbe zwischen zwei streitenden Brüdern zu teilen, woraus er
schloß, daß das Evangelium mit Geld und Gut überhaupt nichts zu thun
habe. Wäre das so, so wäre uur zu verwundern, daß das siebente Gebot im
Dekalog stehen geblieben ist.

Die soziale Frage ist offenbar nicht allein sozial, sie bezieht sich nicht
allein auf den Besitz, sondern ebenso gut auf das sittliche Verhalten des
Menschen, sie ist ebenso gut eine religiöse Frage. Es ist sogar zu erwägen,
ob die Frage in der Gestalt, die sie gegenwärtig angenommen hat, überhaupt
uoch eine soziale sei. Dein Sozialdemokratin! ist sein Programm eine ganze
Weltanschauung, es ist seine Religion. Der Inhalt ist in kurzem der: Du
hast nur Rechte, keine Pflichten, weder Gott, noch dein König, noch dem Vater¬
lande gegenüber. Nieder mit dein allen! Der soziale Staat schafft deu Hummel


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[0489] [Abbildung] Die Aufgabe der Gegenwart 2 ur Bekämpfung der Sozialdemokratie wird zunächst der Staat die Aufgabe haben, durch Erfüllung der berechtigten Wünsche des Arbeiters der Bewegung die Wurzeln abzugraben, unbe¬ rechtigte Forderungen zurückzuweisen und Ausschreitungen mit dem vollen Gewichte seiner Macht niederzuschlagen. Aber auch die Kirche soll helfen. Der Kaiser hat es in seiner Ansprache an den zur Borbereitung der sozialen Gesetze versammelten Reichsrat gesagt, und neuerdings lesen wir es wieder in den Motiven zu der gegenwärtig vorliegenden Gewerbe¬ gesetznovelle. Von andrer Seite wendet man dagegen ein: Die soziale Frage ist eine staatliche Frage, die Kirche soll die Hand davon lassen. Ich habe sogar ge¬ hört, daß ein Geistlicher sich auf die Schriftstelle berief, worin es Christus ablehnt, das Erbe zwischen zwei streitenden Brüdern zu teilen, woraus er schloß, daß das Evangelium mit Geld und Gut überhaupt nichts zu thun habe. Wäre das so, so wäre uur zu verwundern, daß das siebente Gebot im Dekalog stehen geblieben ist. Die soziale Frage ist offenbar nicht allein sozial, sie bezieht sich nicht allein auf den Besitz, sondern ebenso gut auf das sittliche Verhalten des Menschen, sie ist ebenso gut eine religiöse Frage. Es ist sogar zu erwägen, ob die Frage in der Gestalt, die sie gegenwärtig angenommen hat, überhaupt uoch eine soziale sei. Dein Sozialdemokratin! ist sein Programm eine ganze Weltanschauung, es ist seine Religion. Der Inhalt ist in kurzem der: Du hast nur Rechte, keine Pflichten, weder Gott, noch dein König, noch dem Vater¬ lande gegenüber. Nieder mit dein allen! Der soziale Staat schafft deu Hummel Grenzlwten II 1890 l!1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/489>, abgerufen am 15.06.2024.