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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die deutsche Sprache in Österreich

zurüsten? Zu diesen Waffen gehört aber ohne Zweifel auch die gründliche
Kenntnis der modernen Weltsprachen, für Österreich, mit Rücksicht auf feine
besondern Verhältnisse und auf seine nächste Umgebung, in erster Reihe
die der deutschen. Dem Nachwüchse diese unentbehrliche Kenntnis zu ver¬
schaffen ist zunächst Aufgabe der Schule. Unbestreitbar hat Österreich, das
sein Schulwesen vorwiegend nach deutschem Muster umgestaltet und eingerichtet
hat, im Laufe der letzte" Jahrzehnte auf diesem Gebiete sehr Bedeutendes ge¬
schaffen. Nur wer die frühern Zustände noch aus eigner Anschauung kennt,
vermag den Fortschritt nach Gebühr zu würdigen. Wie viel sich auch vom
politischen Standpunkt aus gegen den seligen Konkordatsgrafen Leo Thun
sagen läßt, das große Verdienst, als Unterrichtsminister die Umgestaltung des
österreichischen Gymnasial- und Universitätswesens mit fester Hand angebahnt
und größtenteils auch durchgeführt zu haben, muß ihm ungeschmälert bleiben.
Trotz aller politischen und nationalen Wirren wurde seitdem auf dein Gesamt¬
gebiete des öffentlichen Unterrichts rüstig weiter gearbeitet, und heute hat die
diesseitige Hälfte der Monarchie in Herrn von Ganthas einen Unterrichtsminister,
der sein Amt sehr ernst nimmt und nicht nur den guten Willen, sondern auch
die Thatkraft besitzt, trotz der ihm von so mancher Seite in den Weg gelegten
Hindernisse seine Ideen zur Geltung zu bringen.

Aber ein> schwerer Übelstand, um nicht zu sagen ein organisches Gebrechen,
ist vorhanden, der sich von Jahr zu Jahr lebhafter fühlbar macht, und auf
den sowohl in der Presse wie in dem österreichischen Parlament bereits mehrfach
und mit Nachdruck Angewiesen wurde. Um es kurz zu sagen: der nichtdeutsche
Nachwuchs, gleichviel ob er seine Bildung an nationalen Gymnasien, Real¬
schulen, Handelsschüler, Lehrerbildungsanstalten oder Priesterseminarien erhält,
lernt heute nur noch sehr unvollkommen Deutsch. Die Prüfnngsergebnisse an
der juristischem (hier sagt man juridischen) Fakultät der Prager tschechischen
Hochschule haben dies seit einiger Zeit schlagend dargethan. Ferner ist es
bereits öffentliches Geheimnis, daß die Reifeprüfungen aus den nationalen
Mittelschnlen, sowie die Prüfungen zum Einjährig-Freiwilligendienste, was die
Kenntnis der deutschen Sprache betrifft, immer kläglichere Ergebnisse ausweisen.
Der Germanist or. Werner, Professor an der Lemberger Universität, sagte
neulich rund heraus, die Mehrzahl der mit dem deutschen Unterricht an den
polnischen Mittelschulen betrauten Lehrkräfte besäße selbst mir eine ganz un¬
genügende Kenntnis des Deutschen. An gewissen nationalen Mittelschulen soll
man sich sogar schon stillschweigend dahin geeinigt haben, einer mangelhaften
Kenntnis der deutschen Sprache keinen entscheidenden Einfluß auf das Gesamt¬
ergebnis der Reifeprüfungen einzuräumen.

Unter solchen Umstünden liegt wohl die Frage nahe, was aus den jungen
Leuten, die mit mangelhafter, wenn nicht ganz unzureichender Kenntnis des
Deutschen aus der Mittelschule zur Hochschule oder ins praktische Leben über-


Die deutsche Sprache in Österreich

zurüsten? Zu diesen Waffen gehört aber ohne Zweifel auch die gründliche
Kenntnis der modernen Weltsprachen, für Österreich, mit Rücksicht auf feine
besondern Verhältnisse und auf seine nächste Umgebung, in erster Reihe
die der deutschen. Dem Nachwüchse diese unentbehrliche Kenntnis zu ver¬
schaffen ist zunächst Aufgabe der Schule. Unbestreitbar hat Österreich, das
sein Schulwesen vorwiegend nach deutschem Muster umgestaltet und eingerichtet
hat, im Laufe der letzte» Jahrzehnte auf diesem Gebiete sehr Bedeutendes ge¬
schaffen. Nur wer die frühern Zustände noch aus eigner Anschauung kennt,
vermag den Fortschritt nach Gebühr zu würdigen. Wie viel sich auch vom
politischen Standpunkt aus gegen den seligen Konkordatsgrafen Leo Thun
sagen läßt, das große Verdienst, als Unterrichtsminister die Umgestaltung des
österreichischen Gymnasial- und Universitätswesens mit fester Hand angebahnt
und größtenteils auch durchgeführt zu haben, muß ihm ungeschmälert bleiben.
Trotz aller politischen und nationalen Wirren wurde seitdem auf dein Gesamt¬
gebiete des öffentlichen Unterrichts rüstig weiter gearbeitet, und heute hat die
diesseitige Hälfte der Monarchie in Herrn von Ganthas einen Unterrichtsminister,
der sein Amt sehr ernst nimmt und nicht nur den guten Willen, sondern auch
die Thatkraft besitzt, trotz der ihm von so mancher Seite in den Weg gelegten
Hindernisse seine Ideen zur Geltung zu bringen.

Aber ein> schwerer Übelstand, um nicht zu sagen ein organisches Gebrechen,
ist vorhanden, der sich von Jahr zu Jahr lebhafter fühlbar macht, und auf
den sowohl in der Presse wie in dem österreichischen Parlament bereits mehrfach
und mit Nachdruck Angewiesen wurde. Um es kurz zu sagen: der nichtdeutsche
Nachwuchs, gleichviel ob er seine Bildung an nationalen Gymnasien, Real¬
schulen, Handelsschüler, Lehrerbildungsanstalten oder Priesterseminarien erhält,
lernt heute nur noch sehr unvollkommen Deutsch. Die Prüfnngsergebnisse an
der juristischem (hier sagt man juridischen) Fakultät der Prager tschechischen
Hochschule haben dies seit einiger Zeit schlagend dargethan. Ferner ist es
bereits öffentliches Geheimnis, daß die Reifeprüfungen aus den nationalen
Mittelschnlen, sowie die Prüfungen zum Einjährig-Freiwilligendienste, was die
Kenntnis der deutschen Sprache betrifft, immer kläglichere Ergebnisse ausweisen.
Der Germanist or. Werner, Professor an der Lemberger Universität, sagte
neulich rund heraus, die Mehrzahl der mit dem deutschen Unterricht an den
polnischen Mittelschulen betrauten Lehrkräfte besäße selbst mir eine ganz un¬
genügende Kenntnis des Deutschen. An gewissen nationalen Mittelschulen soll
man sich sogar schon stillschweigend dahin geeinigt haben, einer mangelhaften
Kenntnis der deutschen Sprache keinen entscheidenden Einfluß auf das Gesamt¬
ergebnis der Reifeprüfungen einzuräumen.

Unter solchen Umstünden liegt wohl die Frage nahe, was aus den jungen
Leuten, die mit mangelhafter, wenn nicht ganz unzureichender Kenntnis des
Deutschen aus der Mittelschule zur Hochschule oder ins praktische Leben über-


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[0538] Die deutsche Sprache in Österreich zurüsten? Zu diesen Waffen gehört aber ohne Zweifel auch die gründliche Kenntnis der modernen Weltsprachen, für Österreich, mit Rücksicht auf feine besondern Verhältnisse und auf seine nächste Umgebung, in erster Reihe die der deutschen. Dem Nachwüchse diese unentbehrliche Kenntnis zu ver¬ schaffen ist zunächst Aufgabe der Schule. Unbestreitbar hat Österreich, das sein Schulwesen vorwiegend nach deutschem Muster umgestaltet und eingerichtet hat, im Laufe der letzte» Jahrzehnte auf diesem Gebiete sehr Bedeutendes ge¬ schaffen. Nur wer die frühern Zustände noch aus eigner Anschauung kennt, vermag den Fortschritt nach Gebühr zu würdigen. Wie viel sich auch vom politischen Standpunkt aus gegen den seligen Konkordatsgrafen Leo Thun sagen läßt, das große Verdienst, als Unterrichtsminister die Umgestaltung des österreichischen Gymnasial- und Universitätswesens mit fester Hand angebahnt und größtenteils auch durchgeführt zu haben, muß ihm ungeschmälert bleiben. Trotz aller politischen und nationalen Wirren wurde seitdem auf dein Gesamt¬ gebiete des öffentlichen Unterrichts rüstig weiter gearbeitet, und heute hat die diesseitige Hälfte der Monarchie in Herrn von Ganthas einen Unterrichtsminister, der sein Amt sehr ernst nimmt und nicht nur den guten Willen, sondern auch die Thatkraft besitzt, trotz der ihm von so mancher Seite in den Weg gelegten Hindernisse seine Ideen zur Geltung zu bringen. Aber ein> schwerer Übelstand, um nicht zu sagen ein organisches Gebrechen, ist vorhanden, der sich von Jahr zu Jahr lebhafter fühlbar macht, und auf den sowohl in der Presse wie in dem österreichischen Parlament bereits mehrfach und mit Nachdruck Angewiesen wurde. Um es kurz zu sagen: der nichtdeutsche Nachwuchs, gleichviel ob er seine Bildung an nationalen Gymnasien, Real¬ schulen, Handelsschüler, Lehrerbildungsanstalten oder Priesterseminarien erhält, lernt heute nur noch sehr unvollkommen Deutsch. Die Prüfnngsergebnisse an der juristischem (hier sagt man juridischen) Fakultät der Prager tschechischen Hochschule haben dies seit einiger Zeit schlagend dargethan. Ferner ist es bereits öffentliches Geheimnis, daß die Reifeprüfungen aus den nationalen Mittelschnlen, sowie die Prüfungen zum Einjährig-Freiwilligendienste, was die Kenntnis der deutschen Sprache betrifft, immer kläglichere Ergebnisse ausweisen. Der Germanist or. Werner, Professor an der Lemberger Universität, sagte neulich rund heraus, die Mehrzahl der mit dem deutschen Unterricht an den polnischen Mittelschulen betrauten Lehrkräfte besäße selbst mir eine ganz un¬ genügende Kenntnis des Deutschen. An gewissen nationalen Mittelschulen soll man sich sogar schon stillschweigend dahin geeinigt haben, einer mangelhaften Kenntnis der deutschen Sprache keinen entscheidenden Einfluß auf das Gesamt¬ ergebnis der Reifeprüfungen einzuräumen. Unter solchen Umstünden liegt wohl die Frage nahe, was aus den jungen Leuten, die mit mangelhafter, wenn nicht ganz unzureichender Kenntnis des Deutschen aus der Mittelschule zur Hochschule oder ins praktische Leben über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/538>, abgerufen am 16.06.2024.